„Darmstadt ist viel hübscher als erwartet“

Hinter der EUT+-Allianz steht die Idee einer integrierten europäischen Hochschule für Technologie. Die Hochschule Darmstadt und acht Partneruniversitäten wollen dafür das Potenzial, die Multikulturalität und Mehrsprachigkeit Europas nutzen. Ganz praktisch erlebbar macht diesen EUT+-Gedanken das Projekt DaCaDu, das vom Sprachenzentrum der h_da mit Kolleginnen und Kollegen in Irland und Spanien initiiert wurde und 2023 mit Studierenden aus Frankreich und Zypern in eine zweite Auflage ging. Das Ziel: Sprachlernende sollen ihre Deutschkenntnisse und interkulturelle Kompetenz erweitern. Auch das ein oder andere Vorurteil über Deutschland und Darmstadt wird beim persönlichen Besuch geradegerückt.

Von Astrid Ludwig, 19.12.2023

Bei „Grie Soß“ und „Sauer Gespritztem“ war Paul Paillart anfangs doch ein wenig skeptisch. „Der Apfelwein schmeckte auf den ersten Schluck etwas überraschend, aber dann schrecklich lecker“, lacht der junge Franzose. Und so ein bisschen ähnelt der saure Wein dem französischen Cidre. Das Schnitzel mit grüner Soße dagegen kam gleich gut an. Eine Erfahrung, die er wiederholen wird, denn der 21-Jährige studiert Maschinenbau an der Universität in Lille und ist derzeit für ein Semester Austauschstudent an der Hochschule Darmstadt. Die Zeit will er nutzen, um die Kultur seines Nachbarlandes kennenzulernen und an seinen Deutschkenntnissen zu feilen. „Bisher“, berichtet er von Gesprächen etwa mit Verkäufern auf dem Wochenmarkt, „verstehe ich, worum es grundsätzlich geht, aber eben nicht alles - auch wenn die Leute langsam und nicht zu kompliziert sprechen, wenn sie merken, dass ich ein Student aus dem Ausland bin.“ 

Überraschendes erlebte auch Jorgos Xidias. Er hatte sich die Stadt eigentlich ganz anders vorgestellt. „Darmstadt ist viel größer und hübscher als erwartet“, sagt der 20-Jährige, der an der University of Technology in Limassol auf Zypern Informatik und Computer Engineering studiert. Seine Heimatsstadt liegt am Meer, aber Darmstadt „ist grüner und hat große Parks, die wir leider nicht haben“, erzählt er. Jorgos Xidias gehört zu den 19 Gästen aus Zypern und Frankreich, die im Oktober für eine Woche an der Hochschule Darmstadt zu Besuch waren. Er wie auch Austauschstudent Paul sind Teilnehmer des Projektes DaCaDu, das 2022 von den drei Partner-Hochschulen in Darmstadt, Cartagena und Dublin für Deutsch-Sprachlernende entwickelt wurde. Die Initiative ist erfolgreich. Mittlerweile sind mehr als 30 Studierende und Lehrende nach Darmstadt gekommen.

Viele Studierende sind das erste Mal in Deutschland

Dazu zählt auch Oriane Titalem. Die junge Französin ist für Industrial Engineering an der Université de technologie de Troyes (UTT) eingeschrieben. Ein Bestandteil der Philosophie der EUT+-Hochschulen ist die Mehrsprachigkeit ihrer Studierenden, die sich für jeweils zwei Fremdsprachen während des Studiums entscheiden müssen. Die 20-Jährige hat Deutsch zwei Jahre während ihrer Schulzeit gelernt und nun auch im Sprachenzentrum ihrer Uni belegt. Dort erfuhr sie von dem interkulturellen Projekt und meldete sich an. „Ich wollte die deutsche Sprache und den Alltag der Menschen in Darmstadt besser kennenlernen“, sagt sie. Und wo ginge das besser als beim Einkaufen oder Essen gehen in der Stadt? „Der hessische Dialekt ist jedoch schwieriger zu verstehen, als das Deutsch, das unsere Lehrerin spricht“, findet Oriane Titalem. „Die Einheimischen sprechen natürlich auch viel schneller.“ Doch irgendwie klappte die Verständigung: „Die Verkäuferin auf dem Markt hat uns die Wörter, die wir nicht verstanden haben, in ihrem Handy aufgeschrieben“, erzählt die französische Studentin.

Die trans- und interkulturelle Verständigung, betont Dr. Stefanie Morgret vom Sprachenzentrum der h_da, stand von Beginn an ebenso im Fokus wie die Förderung der Deutschkenntnisse der Studierenden. Morgret gehört neben Kolleginnen der Universitäten Dublin und Cartagena zu den Initiatorinnen. DaCaDu steht für die drei Gründerstädte des Projekts. Um den interkulturellen Ansatz zu stärken, wollten die Dozentinnen, die Deutsch als Fremdsprache an ihren jeweiligen Hochschulen unterrichten, „im Unterricht praktisch etwas umsetzen“. So entstand die Idee für einen wöchentlichen Blog, in dem sich Sprachschülerinnen und -schüler parallel zu ihrem Deutschkurs mit dem Alltag, der Sprache und Kultur Deutschlands, aber auch ihrer eigenen Heimat befassen sollten.

20 Studierende aus Darmstadt, Cartagena und Dublin machten den Anfang. Technisch begleitet von einer Hilfskraft des h_da-Fachbereiches Media tauschten sie sich zunächst kursintern mit kurzen Filmen, Videos und Texten untereinander aus, mittlerweile ist der DaCaDu-Blog jedoch öffentlich. „Hier kann man aus Studierendenperspektive viel über die EUT+-Partner erfahren“, sagt Morgret. Für die Beiträge erhalten die Studierenden Credit Points und ganz nebenbei erweitern sie mit Unterstützung des FB Media ihre Multimedia-Kompetenzen.

Online-Sessions und ein persönlicher Besuch

„In dieser ersten Online-Phase entstand die Idee, sich auch persönlich zu treffen“, berichtet Sabine Kasten, Lehrkraft für besondere Aufgaben am Sprachenzentrum der h_da. Sie und Stefanie Morgret bereiten das Besuchsprogramm vor und koordinieren das Projekt. Acht Wochen Online-Kurse samt Blog im Frühjahr und ein einwöchiger Darmstadt-Besuch im Herbst gehören nunmehr zu den Inhalten des DaCaDu-Projektes. Beim persönlichen Treffen trainieren die Studierenden in Unterrichtsstunden ihre Deutschkenntnisse und können sie an Ort und Stelle authentisch anwenden. Sie erleben interkulturelle Workshops, lernen die Hochschule, die Stadt und den Alltag bei Besichtigungen wie etwa dem Besuch des Wochenmarktes kennen. Organisation und technische Begleitung liegen in der Hand der h_da.  

Die Unterschiede im akademischen Kalender und bei den Semesterzeiten innerhalb der europäischen Hochschulen machen eine Absprache zu Themen und Terminen nicht immer leicht. 2022 kamen jedoch die ersten 20 Sprachlernenden aus Spanien, Irland und Darmstadt zusammen. Das Interesse ist seither groß: 2023 waren es schon 35 und der Kreis wurde um die EUT+-Hochschulen in Troyes in Frankreich und Limassol auf Zypern erweitert. Auch das Projekt-Team besteht mittlerweile europaweit aus zehn Lehrenden. Dazu gehört unter anderem Kristine Brousset, die an der französischen UTT für den Deutschunterricht verantwortlich ist. Für die Dozentin aus Troyes ist DaCaDu „ein voller Erfolg“, sowohl für die Studierenden als auch sie selbst. „Der Austausch und die Zusammenarbeit mit den neuen Kolleg*innen aus Darmstadt, Limassol und Cartagena war für mich sehr interessant, lehrreich und meine erste Gelegenheit, die EUT+-Welt konkret zu erleben. Auch der Austausch mit den ausländischen Studierenden hat mir viel gebracht“, sagt sie.

Vorrangiges Ziel des Projektes ist die Verbesserung der Deutschkenntnisse der Studierenden, doch im Blog und bei den persönlichen Begegnungen herrscht zuweilen ein fröhliches Multikulti-Stimmengewirr. „Alle Sprachen dürfen gesprochen werden und fließen auch in die Beiträge ein, die zum Teil in bis zu vier Sprachen vorliegen. Diese Mehrsprachigkeit wollen wir stärken und haben sie als weitere Ebene in das Projekt aufgenommen“, sagt Sabine Kasten.

Blended Mobility

Hinzu kommt ein strategischer Aspekt. Online-Unterricht und Präsenz-Lernen – in der Lehre wird dieser neue Ansatz als „Blended Mobility“ bezeichnet. „Wir wollen das Beste aus beiden Lehrformaten verbinden“, betont Kasten. Zugleich ist DaCaDu ein niedrigschwelliges Angebot, mit dem auch Studierende zu einem Aufenthalt im Ausland motiviert werden sollen, die bisher ihre Heimatuni oder ihr Land noch nie verlassen haben. So waren laut Kristine Brousset sieben der neun französischen Studierenden der UTT das erste Mal überhaupt in Deutschland. Eine Austausch-Woche gemeinsam in der Gruppe kommt da bei den Sprachschülerinnen und -schülern gut an. Oriane Titalem hat ihr erster Besuch in Darmstadt gut gefallen: „Eine großartige Erfahrung.“  Auch ihre Sprachkenntnisse habe sie durch das persönliche Erleben verbessern können, sagt sie.

Jorgos Xidias hatte es etwas leichter. Seine Mutter kommt aus Deutschland; er spricht die Sprache fließend. „Deutsch ist meine zweite Muttersprache“, sagt der junge Mann aus Zypern. Er kannte Deutschland, doch in Darmstadt war er zuvor nie. „Die Stadt ist sehr international. Das hat mich erstaunt.“ Wie Oriane hat auch Jorgos erstmals an einem studentischen Austausch innerhalb Europas teilgenommen. „Das war spannend und endlich haben wir auch persönlich die Studierenden getroffen, die wir vorher nur online kannten.“  Das Zusammentreffen mit internationalen Studierenden, aus dem die ein oder andere Freundschaft entstanden ist, nennt auch Paul Paillart als einen Grund, der ihn zur Teilnahme am DaCaDu-Projekt bewogen hat

Realität und Vorurteil

Dass die Realität oftmals so ganz anders ist als die Erwartungen haben fast alle Studierenden festgestellt. Oriane hat sich über die Gestaltung des Luisenplatzes gewundert. „Es gibt keine Abgrenzung zwischen der Straßenbahn und dem Bürgersteig.“ Die Architektur der Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe hat ihr gut gefallen - „damit hatte ich nicht gerechnet.“ Ebenso wenig mit der Hilfsbereitschaft und Liebenswürdigkeit, die sie auf dem Campus und in der Stadt erlebt hat. „Dem Vorurteil nach sind Deutsche ja eher rau und streng, doch genau das Gegenteil war der Fall“, sagt sie. So habe eine junge Frau, die sie in Darmstadt nach dem Herrngarten fragten, sich die Zeit genommen, ihnen den Weg zu zeigen.

Der Zypriot Jorgos war vom Niveau der Hochschule, von Gebäuden und Equipment so angetan, „dass ich jetzt über ein Austausch-Semester nachdenke“, berichtet er.  Dieses Feedback hat auch Kristine Brousset von ihren Studierenden erhalten. „Viele würden gerne wiederkommen und könnten sich vorstellen, ein Semester in Darmstadt zu studieren.“ Ein willkommener Nebeneffekt. Stefanie Morgret freut sich, wenn der Besuch in Darmstadt und das DaCaDu-Projekt dazu beitragen, dass Studierende ihre Meinung über die Stadt und Deutschland ändern. „Es ist toll, wenn sich das Bild wandelt und Studierende sich anschließend auch mehr Mobilität zutrauen.“ Vielleicht animiert das in Zukunft weitere EUT+-Hochschulen zur Teilnahme. Kristine Brousset jedenfalls berichtet von einer „sehr guten, motivierenden Erfahrung, die Lust auf eine weitere Zusammenarbeit und Austausch auch mit anderen Universitäten und Ländern macht“.  Für Morgret steht daher fest: „Die Verlinkung von Mehrsprachigkeit und Interkulturalität ist sehr bereichernd.“

Von Anfang an wurde das Projekt auch wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Daraus entstanden mehrere Konferenzbeiträge, Veröffentlichungen und eine Bachelorarbeit an der Universität Cartagena. „Wir freuen uns auch hier über die internationale Zusammenarbeit mit den Kolleginnen, die dazu führt, dass unsere Ideen und Erfahrungen bereits auf mehreren Sprachen im internationalen Kontext veröffentlicht worden sind“, ergänzt Morgret. Ziel sei jetzt, das Projekt und vor allem die aufwendige Präsenzphase auf Dauer auf feste finanzielle Füße zu stellen. 

Kontakt zur Wissenschaftsredaktion

Christina Janssen
Wissenschaftsredakteurin
Hochschulkommunikation
Tel.: +49.6151.533-60112
E-Mail: christina.janssen@h-da.de

Links

DaCaDu-Blog:
interculturalblog-hda.de/

h_da-Sprachenzentrum:
sprachen.h-da.de/ueber-uns