Spitzenforschung in Europa

Die Landwirtschaft steht angesichts von Wasserknappheit, intensivem Düngemitteleinsatz und steigenden CO2- wie Methan-Emissionen vor großen Herausforderungen. Im Rahmen des europäischen Horizon-Europe-Projekts FARMWISE arbeiten Forschende der Hochschule Darmstadt (h_da) an der Entwicklung innovativer KI-Systeme, um diese Probleme anzugehen. Sie sollen nicht nur Landwirtinnen und Landwirten, sondern auch politischen und zivilgesellschaftlichen Gruppen helfen, auf der Basis wissenschaftlicher Daten fundierte Entscheidungen zu treffen. An dem Projekt sind 20 Partner aus zwölf europäischen Ländern beteiligt. Die EU fördert das auf drei Jahre angelegte Forschungsvorhaben mit sechs Millionen Euro, davon erhält die h_da rund 600.000 Euro.

Von Canan Topçu, 4.3.2024

Prof. Dr. Kawa Nazemi, renommierter Experte für Mensch-Computer-Interaktion und Visual Analytics, spielt eine Schlüsselrolle in dem groß angelegten Forschungsvorhaben, das Landwirt*innen und Politker*innen ein „Entscheidungsunterstützungssystem“ an die Hand geben will. „Unser Ziel ist es, relevante Informationen durch künstliche Intelligenz so aufzubereiten und durch Visual Analytics so zu visualisieren, dass sie von verschiedenen Zielgruppen verstanden und genutzt werden können“, erläutert Nazemi, der an der Hochschule Darmstadt lehrt und forscht.

Die Forschungsgruppe „Human-Computer Interaction und Visual Visual Analytics“ an der h_da, die Kawa Nazemi leitet, fokussiert sich dabei auf die Entwicklung von KI-basierten Visual-Analytics-Systemen. Sie integrieren KI-basierte Analysen mit benutzerfreundlichen interaktiven Visualisierungen, um ein umfassendes Verständnis landwirtschaftlicher Systeme und ihrer Wechselwirkungen mit Umweltfaktoren zu ermöglichen. Dadurch werden Landwirt*innen und Entscheidungsträger*innen in die Lage versetzt, nachhaltige Maßnahmen zu evaluieren und zukünftige Szenarien zu modellieren.

Das Engagement der h_da im FARMWISE-Projekt wird durch die aktive Beteiligung von Prof. Dr. Nicole Saenger, Vizepräsidentin für Forschung und nachhaltige Entwicklung, im Advisory Board des Projekts unterstrichen. Ihre Rolle gewährleistet eine enge Verzahnung zwischen den strategischen Forschungszielen der Hochschule und den ambitionierten Zielen von FARMWISE, was die Bedeutung der h_da als wichtige Institution in der Forschung weiter festigt.

Nachhaltigkeitsorientierte Entscheidungsfindung im Fokus

Das FARMWISE-Projekt, dessen Titel bereits den Schwerpunkt auf dem Agrarsektor deutlich macht, verfolgt primär das Ziel, landwirtschaftlichen Betrieben sowie Akteur*innen aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft fundierte Erkenntnisse auf der Basis von Daten zu liefern, erläutert Professor Nazemi. Sie sollen es den verschiedenen Gruppen ermöglichen, informierte Entscheidungen zu treffen. Um dies zu erreichen, ist es entscheidend, Informationen zu Wasservorkommen, Bodenqualität und Nährstoffkreisläufen zielgruppengerecht aufzubereiten. Das heißt: Die Daten müssen für Landwirt*innen, politische Entscheidungsträger*innen und zivilgesellschaftliche Organisationen jeweils spezifisch angepasst werden, um ein umfassendes Verständnis der Thematiken zu gewährleisten. Ziel ist es, allen Beteiligten innovative Systeme an die Hand zu geben, um Entscheidungen zu treffen, die nicht nur kurzfristigen Erfolg versprechen, sondern auch langfristig Nachhaltigkeit im Agrarsektor fördern.

Professor Nazemi erläutert die interdisziplinäre Zusammenarbeit innerhalb des FARMWISE-Konsortiums anhand eines Beispiels: Ein landwirtschaftlicher Betrieb erwägt in der wasserarmen Region Südspaniens den intensiven Anbau von Avocados. Diese Situation wirft zahlreiche Fragen auf, die von den beteiligten Expert*innen aus Wasserwirtschaft, Agrarwissenschaft, Klima- und KI-Forschung untersucht werden: Ist der Anbau wasserintensiver Früchte in einer Region mit Wasserknappheit vertretbar? Welche Auswirkungen hat dies auf die Bodenqualität und welche Konsequenzen ergeben sich aus dem Einsatz von Düngemitteln? Dabei werden sowohl kurz- als auch langfristige Perspektiven unter Berücksichtigung ökologischer, ökonomischer und sozialer Aspekte beleuchtet, um zu bewerten, ob eine Investition in den Avocadoanbau nachhaltig und politisch unterstützenswert ist.

Das Konsortium widmet sich der Sammlung und Analyse umfangreicher Datenmengen, um ein detailliertes Bild der aktuellen Situation und möglicher Zukunftsszenarien zu skizzieren. Diese Informationen sind nicht nur für den landwirtschaftlichen Betrieb von Bedeutung, sondern auch für politische und zivilgesellschaftliche Akteure, die die ökologischen Auswirkungen ihrer Entscheidungen verstehen müssen. Darüber hinaus werden ökonomische Faktoren untersucht, um eine mögliche Abhängigkeit von Avocadoimporten zu vermeiden. Die Ergebnisse dieser Analysen werden zielgruppengerecht aufbereitet, um eine klare und verständliche Visualisierung der Daten zu ermöglichen. So trägt FARMWISE dazu bei, dass alle Beteiligten auf einer soliden Informationsbasis Entscheidungen treffen können, die zu einer nachhaltigen Entwicklung im Agrarsektor beitragen.

Prognosen zielgruppenspezifisch visualisieren

Professor Nazemi und sein Team sind innerhalb des FARMWISE-Projekts für einen entscheidenden Bereich verantwortlich: die visuelle Aufbereitung und Darstellung von datenbasierten Analysen sowie Zukunftsprognosen durch Künstliche Intelligenz. „Es geht nicht nur um die Bereitstellung von Informationen, sondern vielmehr darum, wie diese Informationen aufbereitet und den jeweiligen Zielgruppen präsentiert werden, um die Entscheidungsfindung zu unterstützen“, erklärt der Experte für Datenanalyse, Informationsvisualisierung und KI. Vielfältige Erfahrung in diesem Bereich sammelte Nazemi bereits vor seiner Zeit an der Hochschule Darmstadt: Neun Jahre lang leitete er Forschungsgruppen am Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD in Darmstadt und führte dort Projekte an der Schnittstelle zwischen Visualisierungstechniken und künstlicher Intelligenz durch.

Aus seiner Sicht also Forscher sei es von großer Bedeutung, dass die Ergebnisse der wissenschaftlichen Arbeit transparent und verständlich für die Nutzer*innen aufbereitet würden, betont Nazemi. Er sieht seine Aufgabe darin, durch verantwortungsvolle Forschung und klare Kommunikation zur Entscheidungsfindung beizutragen. „Es ist essenziell, dass wir als Wissenschaftler und als akademische Institutionen die gesellschaftlichen Gruppen verständlich über wissenschaftliche Erkenntnisse und Themen wie etwa den Klimawandel informieren“, so Nazemi.

Das FARMWISE-Projekt zeichnet sich durch seine internationale und transdisziplinäre Zusammenarbeit aus, mit Partnern aus Ländern wie Italien, Irland, Frankreich, Finnland, Großbritannien, den Niederlanden, Schweden, der Schweiz, Spanien, Polen und der Ukraine. Die Leitung hat die Universität Lund in Schweden inne. In länderübergreifenden Task-Force-Gruppen arbeiten die Forschenden zusammen, um Daten aus verschiedenen Quellen zu sammeln, mit KI-Technologien zu analysieren und zu bewerten. Ziel ist es, ein innovatives Entscheidungsunterstützungssystem für Herausforderungen wie Wasserverschmutzung und Klimawandel zu entwickeln. Im Idealfall führt das Projekt zu handfesten Ergebnissen, die die Basis für nachhaltige Veränderungen im Umgang mit diesen globalen Problemen bilden.

Politische Leitlinien der Europäischen Kommission umsetzen

Gefördert wird das auf drei Jahre angelegte Forschungsvorhaben von der Europäischen Union mit mehr als sechs Millionen Euro, davon erhält die Hochschule Darmstadt rund 600.000 Euro. Die Mittel stammen aus dem Forschungsprogramm „Horizon Europe – Zero Pollution“, das von der EU initiiert wurde, „um eine wissens- und innovationsgestützte Gesellschaft und eine wettbewerbsfähige Wirtschaft aufzubauen sowie gleichzeitig zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen“. Horizont Europa solle dazu beitragen, die politischen Leitlinien der Europäischen Kommission umzusetzen und den „digitalen und grünen Wandel“ zu fördern.

Kontakt zur h_da-Wissenschaftsredaktion

Christina Janssen
Wissenschaftsredakteurin
Hochschulkommunikation
Tel.: +49.6151.533-60112
E-Mail: christina.janssen@h-da.de

Im Jahr 2015 einigten sich die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen auf 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs), um Armut zu beenden, den Planeten zu schützen und Wohlstand für alle zu gewährleisten. Dieses Projekt trägt zu den folgenden SDGs bei:

Dieses Projekt wurde aus Mitteln des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizon Europe der Europäischen Union unter der Grant-Agreement-Nummer 101135533 finanziert. Diese Veröffentlichung gibt ausschließlich die Meinung des Autors wieder, und die Europäische Union haftet nicht für die Verwendung der darin enthaltenen Informationen.