Nachhaltige Entwicklung von Innenstädten

Städtebau-Professorin Astrid Schmeing hat im Verbund mit mehr als 20 Fachleuten Potenziale und Pferdefüße einer zukunftsorientierten Stadtentwicklung analysiert am Beispiel der Darmstädter Mollerstadt. Die Ergebnisse sind an vielen Stellen ernüchternd. Im impact-Interview erklärt sie, warum es bei den Themen Mobilität und Begrünung so schwierig ist, Notwendiges umzusetzen. Und gibt zu bedenken, dass sich angesichts vieler Bremsfaktoren und Hemmnisse die festgeschriebenen Klimaschutzziele nicht erreichen lassen.

Interview: Alexandra Welsch, 14.12.2023

impact: Frau Schmeing, Sie wohnen im luftigen, grünen Woogsviertel, würden Sie auch in der dicht bebauten Mollerstadt leben wollen?

Prof. Astrid Schmeing: Ein Proargument wäre die Zentralität, dass man alles ums Eck und urbanes Leben hat. Ein zentraler Kontrapunkt, dass es kein Grün gibt und die mangelnde Qualität der Bausubstanz.

impact: Sie haben gerade am Beispiel dieses Darmstädter Cityquartiers eine umfassende Analyse in Buchform vorgelegt, die im interdisziplinären Verbund mit mehr als zwanzig Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis zentrale Fragen einer nachhaltigen Stadtentwicklung betrachtet. Was bedeutet nachhaltig in dem Kontext?

Schmeing: Wir haben das am Begriff der „Stadt der kurzen Wege“ festgemacht. Der Kerngedanke ist, dass alles funktionsgemischt und nah beieinander ist und man nicht mit dem Auto fahren muss. Da kommen andere Mobilitätsformen dazu. Es ist aber erst richtig nachhaltig, wenn man weitere Dimensionen mitdenkt, wie den Umbau des Bestandes anstelle von Ersatzneubauten und die Begrünung.

impact: Welche Potenziale und Pferdefüße zeigen sich in der Mollerstadt, zum Beispiel bei der Mobilität?

Schmeing: Wir haben im Buch die Grafenstraße betrachtet, weil da schon ein Sanierungsprozess gelaufen war. Es wurden Parkplätze rausgenommen, dafür haben Gastronomie, Fußgänger und Radfahrer mehr Raum bekommen. Die Stadt Darmstadt betrachtet die Grafenstraße als ein sehr geglücktes Beispiel für Stadtentwicklung. Man kann insofern zustimmen, als sie einen urbanen Charakter und weniger Autoverkehr hat. Gleichzeitig muss man einschränken, dass nicht so viele Parkplätze weggefallen sind, dass es einen Effekt auf das Quartier hätte. Die Mollerstadt hat viele Einpendler und die bringen wieder Autos mit. Viele Parkplätze in den Höfen werden an Externe vermietet. Und die Stadt hat keinen Zugriff auf den Privatraum. Das ist ein Haken, der sich ein Stück weit durchzieht durch die Frage nachhaltiger Stadtentwicklung: Es gibt wenig öffentlichen Raum und daher wenig Handlungsspielraum für die Stadt.

impact: Und wie sieht das bei den Gebäuden aus?

Schmeing: Die Häuser in der Mollerstadt wurden nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg schnell hochgezogen und hatten noch nie einen guten Standard. Vor dem Hintergrund, dass wir CO2 einsparen müssen, ist die Gebäudesubstanz schlecht. Man kommt dort auf 30, 40 Prozent mehr Energieausstoß im Vergleich zu jüngeren, gut gedämmten Bauten. Da gibt es also viel zu tun.

impact: Auch hier analysieren Sie Privateigentum als zentralen Hebel für eine nachhaltige Stadtentwicklung und sehen gleichzeitig die größten Hemmnisse, inwiefern? 

Schmeing: Die vorhandene Bebauung hat Bestandsschutz, ich kann die Eigentümer*innen nicht zwingen zu sanieren. Für viele Eigentümer ist es auch nicht einfach zu modernisieren. Das sind etwa ältere Menschen, die keine Kredite mehr bekommen, oder Eigentümergemeinschaften, die sich nicht einigen können. Die sind nicht auf Sanierung ausgerichtet. Und sie hatten auch bislang wenig Anlass, weil sie trotzdem ihre Renditen steigern konnten – unabhängig davon, ob sie was machen oder nicht.

impact: Einen Bremseffekt gibt es auch bei der Begrünung, oder?

Schmeing: Neben Mobilität ist Grün das Thema, wo wenig umgesetzt wird. Die Städte möchten begrünen, haben aber nur kaum öffentliche Fläche zur Verfügung. Auch in der Sanierung der Grafenstraße wurde Begrünung nicht ausreichend umgesetzt. Die Leitungsdichte im Boden etwa ist so hoch, dass kaum Bäume dazwischengesetzt werden konnten. Aber diese dicht bebauten, versiegelten Stadträume wirken wie eine Hitze-Insel mit bis zu 10 Grad Celsius mehr im Sommer als im Umfeld. Das kann schwere Auswirkungen haben. Frankreich zum Beispiel hatte im Sommer 2023 um die 10.000 Hitzetote. Grün ist da ein wichtiges Gegenmittel, etwa in Form von Fassadenbegrünung. Aber da kommen wir wieder zu den Eigentümern, die dafür wenig Anlass sehen. Es wurde in der Mollerstadt zwar ein Förderprogramm angeboten, das aber nicht abgefragt wurde. Die Stadt müsste hier Grün mehr erzwingen.

impact: Und wie sieht es bei der Frage der Energiewende aus?

Schmeing: Das Umsatteln auf nicht-fossile Energieträger ist eine Herausforderung. Für Erdwärme etwa müsste man in die Tiefe bohren und braucht Platz, den man in einem dicht bebauten Quartier nicht hat. Auch Wärmepumpen sind nicht einfach einzusetzen, weil sie bei einer schlecht gedämmten Bausubstanz nicht so wirkungsvoll sind. Zwar ist ein zentrales Modernisierungsziel, Gebäude zu dämmen, aber das ist für viele eine Kostenfrage. Im Buchbeitrag zum Thema Energie wurde Fernwärme aus dem Darmstädter Müllheizkraftwerk als nachhaltige Versorgung vorgeschlagen, aber von den beteiligten Fachleuten heterogen diskutiert. Denn mit der Verbrennung von Müll zu heizen, ist treibhausgasintensiv. Allerdings werden wir wohl noch mehrere Jahrzehnte so viel Müll produzieren, dass die Anlage in Betrieb bleiben wird. Wir schlagen uns so von einer Brückentechnologie zur nächsten durch. Und wir schaffen innerhalb unseres auf Wachstum ausgerichteten Wirtschaftssystem nicht den Sprung zu wirklich nachhaltigen Lösungen.

impact: Hier nehmen sie explizit auch Konsum in den Fokus, warum?

Schmeing: Der ganze Konsumsektor ist räumlich stark in der Mollerstadt verankert und überhaupt nicht nachhaltig. Es gibt eine Verlagerung zum Online-Handel, was mit mehr Lieferungen und Müllproduktion verbunden ist. Sowohl die Produktion von Konsumartikeln als auch die Lieferung sind CO2-intensiv.

impact: Nicht nur deshalb fordern Sie Alternativen zum Konsum.

Schmeing: Gerade mit Blick auf die Wohnfunktion und die Nachbarschaftsbildung im Quartier brauche ich Aufenthaltsflächen, die nicht konsumorientiert sind. Der einzige Platz im Quartier liegt vor dem Stadthaus in der Grafenstraße, der sollte im Rahmen der Sanierung der Grafenstraße als Quartiersplatz grün ausgebaut werden. Darunter liegt aber ein großer Tank und man brauchte auch noch ein paar Behindertenparkplätze – und plötzlich ist es weder ein grüner noch ein Quartiersplatz geworden. Man hat im Umfeld zwar recht viele Aufenthaltsflächen durch die Gastronomie, aber keine kollektiven „Umsonst-Räume“.

impact: Bei allem im Buch fokussierten Potenzial des urbanen Cityquartiers kommt sie zwischen „Umsetzungsdefiziten“ und „Veränderungsresistenzen“ letztlich zu der Erkenntnis: Das reicht alles nicht für die Erreichung der Klimaschutzziele. In Richtung der Politik formuliert das Autorenteam den Wunsch nach einer klaren Haltung. Die wird oft postuliert, aber nicht im notwendigen Maß umgesetzt. Woran liegt das? 

Schmeing: Die Politik ist nicht stringent und widerspricht sich. Die Regularien sind oft noch nicht auf die neuesten Erkenntnisse nachhaltiger Entwicklung abgestimmt. Irgendwann endet es aber beim Menschen, beim Eigentümer, beim Nutzer, auch die müssten sich umstellen. Und im Moment muss man sagen: Die Mehrheit möchte das nicht, sie möchte die „Zumutungen“ nicht tragen. Das hat sich zum Beispiel auch beim Heizungsgesetz gezeigt, wo der Protest groß war.

impact: Müsste Politik trotzdem stärker regulieren, mehr vorschreiben?

Schmeing: In der grünen Politik ist diese Ansicht verbreitet, ich sehe das ein bisschen anders. Ich komme als Architektin aus einer Disziplin, die entwirft. Da versucht man, integral Probleme zu lösen und Möglichkeiten zu schaffen. Und ich glaube, dass einem das stärker hilft, als wenn man Verbote setzt. Ein Beispiel ist Parkraumbewirtschaftung: Da wird Parken reguliert, aber die Leute sehen genügend Gründe, ihre Autos trotzdem zu behalten und damit auch den versiegelten Parkplatz. Die Alternativen sind oft noch zu schlecht. Da brauche ich etwa mit dem ÖPNV oft doppelt- bis dreimal so viel Zeit, und Leihautos sind noch nicht ausreichend räumlich nahe vorhanden. Ich glaube, dass man neue Lösungen als Gesamtpakete entwerfen muss. Machbare Lösungen sind die Leute auch bereit anzunehmen.

Kontakt zur h_da-Wissenschaftsredaktion

Christina Janssen
Wissenschaftsredakteurin
Hochschulkommunikation
Tel.: +49.6151.533-60112
E-Mail: christina.janssen@h-da.de

Das Buch zum Interview

Astrid Schmeing (Hrsg.): Zukunftsorientierte nachhaltige Stadtentwicklung. Eine transdisziplinäre Untersuchung am Beispiel eines innerstädtischen Quartiers. Oekom, 2023.

Auf der Verlagswebsite gibt es einen Download-Link zum Buch. 

Das PDF des Buches ist außerdem im h_da-Repositorium zu finden. 

Darmstädter Echo, 15.12.2023: Mollerstadt: Nachhaltige Stadtentwicklung geht zu langsam (Paywall)