Dreistufige Kläranlagen fischen längst nicht alle bedenklichen Stoffe aus dem Abwasser. Mikroplastik, multiresistente Keime und Medikamentenrückstände haben der Problematik Auftrieb gegeben. Städte und Kommunen suchen bereits Lösungen zur erweiterten Abwasserreinigung. Eine solche könnte das „membrangestützte Pulveraktivkohleverfahren“ sein, das Professor Stefan Krause derzeit mit seinen Studierenden untersucht. Mit vielversprechenden Zwischenergebnissen.
Es gibt Klärungsbedarf. „In unseren Kläranlagen werden Spurenstoffe, die nicht biologisch abbaubar und nicht am Klärschlamm adsorbierbar sind, bislang nicht eliminiert“, beschreibt h_da-Professor Stefan Krause nüchtern den Status quo. Krause betreut am Fachbereich Bauingenieurwesen den Bereich Siedlungswasserwesen und Umwelttechnik. Er erforscht Wege, um Abwässer „weitergehender“ zu reinigen, wie es fachsprachlich heißt. Spurenstoffe sind synthetische organische Stoffe, die in sehr geringen Konzentrationen, im Nano- und Mikrogrammbereich pro Liter, in Gewässern vorkommen. Darunter fallen beispielsweise Arzneimittel, Kosmetika, Wasch- und Putzmittel, Biozide, Pestizide oder Industriechemikalien. Die Auswirkungen dieser auch als Mikroverunreinigungen bezeichneten Bestandteile des Wassers auf Mensch und Natur sind noch weitgehend unklar. Was auch daran liegt, dass zahlreiche Schadstoffe lange Zeit schlicht nicht bekannt oder nicht feststellbar waren. „Heute lassen sich über sensible Messmethoden auch geringe Konzentrationen nachweisen“, sagt Stefan Krause.
Versuchsanlage im Container
An diesem Spätsommermorgen trifft sich Krause mit Jasmin Werner, Pierre Böhler und Konstantin Schymura, alle Masterstudierende des Umweltingenieurwesens, an der Kläranlage in Griesheim bei Darmstadt. „Wir erproben unseren Ansatz hier seit Sommer 2017 in einer Versuchsanlage“, erklärt Stefan Krause. Das gesamte Equipment findet in einem silberfarbenen Container auf zwei mal drei Meter Grundfläche Platz. Für die Versuche wird ein Teil des geklärten Abwassers per Schlauch und Pumpe aus dem kreisrunden Griesheimer Nachklärbecken entnommen. Damit dockt die Versuchsanlage dort an, wo die konventionelle Abwasserreinigung endet: nach der dritten Klärstufe (siehe Infobox Kläranlage). Was Krause als „unseren Ansatz“ bezeichnet, ist die Beseitigung von Spurenstoffen durch das membrangestützte Pulveraktivkohleverfahren. Kooperationspartner ist der Wiesbadener Membran- und Modulhersteller Microdyn-Nadir.
Das deutsche Wasserhaushaltsgesetz (WHG) verlangt bislang lediglich schwammig, im Abwasser enthaltene Schadstoffe so weit zu reduzieren, wie es der Stand der Technik ermöglicht. „Die Schweiz gilt als Vorreiter, dort wurde der Gewässerschutz bereits verschärft“, erklärt Stefan Krause. „In der EU wird das Thema noch diskutiert.“ Zwar dürfte noch einiges Wasser unsere Flüsse hinunterfließen, bis konkrete Richt- oder Überwachungswerte festgelegt sind. Doch die strengeren Vorgaben werden kommen. Dann müssen die konventionellen Kläranlagen um weitere Reinigungsstufen erweitert werden, um auch Mikroschadstoffe zu eliminieren. Der von Stefan Krause und seinen Studierenden auf der kleinen Versuchsanlage verfolgte Ansatz könnte den Weg zu einem marktfähigen Verfahren zur weitergehenden Abwasserreinigung ebnen.
Knotenpunkt Kontaktreaktor
Eine Leuchtstoffröhre taucht das Innere des Versuchscontainers in fahles Licht. Mehrere Stromkabel enden im großen Schaltkasten an der Stirnseite. Schläuche und Rohre verschiedener Durchmesser führen zu einem etwa zwei Meter hohen schwarzen Kunststoffbehälter. „Das ist der Kontaktreaktor“, sagt Krause. „Darin mischen wir dem Wasser das Aktivkohlepulver bei.“ Pierre Böhler füllt das schwarze Pulver gerade mit einer Kelle in einen Messbecher (siehe Infobox Aktivkohle). Wie die Aktivkohle zu dosieren ist, ist Teil der Versuche. Ein Rührwerk bewegt und durchmischt das Abwasser. „Die im Wasser gelösten Spurenstoffe lagern sich an der Oberfläche der Aktivkohle an“, sagt Krause. Der Reaktor ist zugleich Filterbecken: Er enthält ein etwa 1,50 Meter hohes Modul mit Membranen.
Auf dem Dach des Containers hat Konstantin Schymura die Abdeckung entfernt. Vor der Öffnung kniend, blickt er auf das Membranmodul herab, das im Zentrum des Behälters montiert ist. Umgeben ist das Modul von einer pechschwarzen brodelnden Brühe. „Die Aktivkohle färbt das Abwasser schwarz“, sagt Schymura. „Das gefilterte Wasser, das wir unten entnehmen, ist dann wieder weitgehend klar.“ Denn die Membranen leisten ganze Arbeit. Durch deren etwa 40 Nanometer – 40 millionstel Millimeter – kleinen Poren ist für die mit Spurenstoffen beladene Aktivkohle kein Durchkommen. „An dieser physikalischen Barriere wird die Aktivkohle samt der Spurenstoffe vom Wasser abgetrennt“, erklärt Stefan Krause. Beides wird zum Teil des Klärschlamms.
Aktivkohle oder Membranen zur erweiterten Abwasserbehandlung einzusetzen, ist nicht neu. Verschiedene Ansätze für eine vierte Reinigungsstufe werden bereits in Pilotanlagen erprobt. Doch nach bisherigen Erkenntnissen scheinen diese bislang entweder nur bedingt wirksam oder sehr aufwendig zu sein. Zum Beispiel die Kombination von Ozonung und Sandfiltration. Hierbei wird Ozon über fein verteilte Gasblasen ins biologisch-mechanisch behandelte Abwasser eingetragen. Dort reagiert es chemisch mit den Mikroverunreinigungen, was diesen die Wirkung nehmen soll. Die gelösten Stoffe werden herausgefiltert. „Problematisch daran ist die nicht selektive Oxidation der organischen Substanzen“, sagt Stefan Krause. „Man weiß nicht, welche Verbindungen man dabei erzeugt.“ Zudem benötigt die Nachbehandlung des Abwassers, beispielsweise über biologisch aktive Sandfilter, viel Platz. Das könnte das Verfahren teuer machen.
Zwei Stufen mit einem Schritt?
Der von Krause verfolgte Ansatz kombiniert nun Aktivkohle und Filtration – mit bislang überzeugender Wirkung. „Wir konnten die Spurenstoffe weitgehend eliminieren. Das würde die sogenannte vierte Reinigungsstufe der Kläranlagen abdecken“, sagt Krause. Mehr noch: Durch das Verfahren würde außerdem Mikroplastik abgefischt, jene in unserer Umwelt, und inzwischen auch der öffentlichen Diskussion, omnipräsenten Kunststoffpartikel. Die bis zu fünf Millimeter großen Teilchen gelangen etwa als Bestandteile von Kosmetikprodukten oder sich zersetzenden Verpackungen ins Abwasser. Sie abzufangen, ist für die Membran ein Leichtes. Und womöglich hat das Verfahren einen weiteren entscheidenden Vorteil. „Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass unsere Technik auch antibiotikaresistente Bakterien und antibiotikaresistente Gene, ARB und ARG, abtrennt“, berichtet Krause. „Das wäre dann sogar die fünfte Reinigungsstufe.
“Multiresistente Keime, wie ARB und ARG allgemein genannt werden, sind seit einiger Zeit in den Medien ähnlich stark vertreten wie Mikroplastik. Sie stehen im Verdacht, ernsthafte Krankheiten verursacht zu haben, die sogar zu Todesfällen geführt haben könnten. Mutmaßlich, nachdem die Betroffenen mit belastetem Abwasser in Kontakt gekommen waren. Stefan Krause ordnet solche Nachrichten wissenschaftlich-besonnen ein: „Unsere Umwelt ist voll von solchen Bakterien. Für gesunde Menschen sind sie normalerweise ungefährlich.“ Eine Risikobewertung stehe noch aus und sei in der wissenschaftlichen Diskussion. Tatsache aber ist: Die konventionelle Abwasserreinigung filtert diese Erreger ebenso wenig heraus wie Spurenstoffe. Im Gegenteil: Die Bakterien und Gene finden in den Kläranlagen optimale Bedingungen vor, um sich zu vermehren. Was weiteres (Ab-)Wasser auf die Mühlen der Befürworter zusätzlicher Klärstufen ist.
Krause und seine Studierenden sind daher gespannt, ob das membrangestützte Pulveraktivkohleverfahren tatsächlich alles hält, was es verspricht. Inzwischen widmen sich mehrere Bachelor- und Masterarbeiten sowie Masterprojekte dem Verfahren und der Versuchsanlage. Die Untersuchungen in Griesheim sind abgeschlossen; der Container wird nun ins benachbarte Weiterstadt gebracht. Dort werden die Versuche im Herbst fortgesetzt – denn jedes Abwasser setzt sich anderes zusammen. Die weiteren Untersuchungen sollen die Antwort auf die Frage liefern, ob sich mit der Technik tatsächlich antibiotikaresistente Bakterien und Gene abtrennen lassen. „Außerdem wollen wir die wirtschaftliche Umsetzbarkeit unseres Ansatzes überprüfen und ihn mit alternativen Verfahren vergleichen“, sagt Stefan Krause.
Einblicke in die Black Box
Umzug und Abbau der Anlage bieten die Gelegenheit, deren Herzstück zu inspizieren: das Membranmodul. Unterstützt von Mitarbeitern der Griesheimer Kläranlage und mithilfe eines Gabelstaplers haben Stefan Krause und seine Studierende das flache schwarze Modul aus dem Container herausgehoben und auf einer Plane abgestellt. Während unten Reste des Abwassers herauströpfeln, nehmen der Professor und die Studierenden das Modul in Augenschein. „Überraschend sauber“, befindet Stefan Krause, während er die zwölf parallel eingehängten Membranen leicht mit den Fingern auseinanderschiebt. „Es hat sich kaum Schmutz in den Zwischenräumen gesammelt. Eine gute Voraussetzung für den Dauerbetrieb.“ Dann nimmt er einen Wasserschlauch zur Hand und spült die letzten Rückstände heraus.Spurenstoffe, Mikroplastik, Keime und Gene – welche Gefahr von diesen Stoffen ausgeht, lässt sich noch nicht abschließend beurteilen. Solange keine Grenzwerte existieren, fehlt auch der Maßstab, an dem sich neue Technologien messen und vergleichen lassen. Doch mit jedem Mikrostoff, dem gesundheitsschädigende Wirkung nachgewiesen wird, werden entsprechende Vorgaben und Grenzwerte wahrscheinlicher. Die Anlage, die Stefan Krause und seine Studierenden designt haben, könnte also noch von sich reden machen. Denn: Klärungsbedarf besteht allemal.
Autor
Daniel Timme
November 2018
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Aktivkohle
Aktivkohle findet zahlreiche Anwendungen, wobei das Funktionsprinzip sich ähnelt. In Tablettenform entzieht sie dem menschlichen Darm bestimmte Stoffe, als Kohlefilter in der Abzugshaube filtert sie Geruchsstoffe aus der Küchenluft, in der Industrie vollbringt sie Gleiches bei Gasen oder Flüssigkeiten. Das macht sie auch für die Abwasserreinigung interessant. Entscheidendes Merkmal der Aktivkohle ist ihre hochporöse, schwammartige Struktur, die ihr eine sehr große innere Oberfläche gibt. So entspricht die innere Oberfläche von wenigen Gramm Aktivkohle der Fläche eines Fußballfeldes. Das macht sie zu einem vorzüglichen Adsorptionsmittel, das sehr viele andere Stoffe aufnehmen kann. Dabei entstehen keine chemischen Verbindungen, sondern wirken physikalische Anziehungskräfte im Molekularbereich, die sogenannten Van-der-Waals-Kräfte. Daher lässt sich benutzte Aktivkohle teilweise auch zurückgewinnen (regenerieren, reaktivieren).
Kläranlage
Konventionelle Kläranlagen reinigen das Abwasser dreistufig. Die erste Stufe bilden mechanische Verfahren: Zunächst wird in der Rechenanlage mit Rechen und Sieben der gröbste Schmutz entfernt, etwa Hygieneartikel oder Essensreste. Steinchen und Sand setzen sich in den Rinnen des Sandfangs ab. Weitere Teilchen sammeln sich im Vorklärbecken: Schwerere Stoffe sinken zum Beckenboden, schwimmfähige wie Fett werden an der Oberfläche abgefischt. Nun wird das vorgeklärte Wasser biologisch und chemisch behandelt. Im ersten, sauerstoffarmen Abschnitt des Belebungsbeckens werden vor allem Nitrate entfernt. Die dann ins Abwasser geblasene Druckluft nährt Bakterien und andere Mikroorganismen, die den Belebtschlamm bilden. Mit dessen Hilfe werden organische Stoffe, Phosphate und Stickstoffverbindungen abgebaut. Die Zugabe von Eisensulfat unterstützt die Phosphatentfernung. Anschließend fließt das Abwasser ins Nachklärbecken, wo sich der belebte Schlamm am Boden absetzt. Der größte Teil des Klärschlamms gelangt zurück ins Belebungsbecken. Der Rest wird entwässert und verbrannt beziehungsweise im Faulturm ausgefault und getrocknet oder kompostiert.
Wasserversorgung
Unser Grundwasser speist sich aus im Boden versickernden Niederschlägen sowie aus in den Untergrund fließenden Oberflächengewässern – Flüssen, Bächen und Seen. Auf dem Weg nach unten wird dieses Wasser durch die unterschiedlichen Gesteinsschichten gefiltert und gereinigt. Es sammelt sich oberhalb wasserundurchlässiger Schichten und in Hohlräumen und wird dort zur Basis für unser Trinkwasser. In Deutschland werden rund 70 Prozent des Trinkwassers aus Grundwasser gewonnen. Um Oberflächenwasser als Trinkwasser zu nutzen, bedarf es einer aufwendigeren Aufbereitung. Daher geschieht dies nur in geringem Maß. Im Regelfall pumpen Brunnen Grundwasser in unsere Wasserwerke, wo es von Roh- zu Reinwasser aufbereitet wird. Das Trinkwassernetz versorgt die Haushalte. Unser Abwasser geht über die Kanalisation in die Klärwerke und gelangt von dort gereinigt zurück in Flüsse, Bäche und Seen. Dieses Wasser hat noch keine Badewasser- oder gar Trinkwasserqualität. Die dafür nötige Reinigung besorgen wiederum die das versickernde Wasser filternden Gesteinsschichten.