Durchseuchung, Distanzschlange, Spuckschutzscheibe

Murtaza Akbar ist Kommunikationsberater, Kolumnist, Keynote Speaker und Geschäftsführer der Agentur Wortwahl. Der gebürtige Frankfurter mit pakistanischen Wurzeln lehrt zudem Onlinekommunikation an der Hochschule Darmstadt. Im impact-Interview spricht er über klare Kommunikation in der Corona-Krise, beschreibt die verbindende Kraft der Sozialen Medien und verrät seinen Favoriten für das Unwort des Jahres 2020.

Ein Interview von Christina Janssen, 15. Juni 2020

impact: Herr Akbar, haben Sie schon einen Tipp für das Unwort des Jahres 2020?

Akbar: Mein persönlicher Favorit ist Durchseuchung. Auch so etwas wie Hygiene-Demos finde ich schlimm. Ich könnte mir aber vorstellen, dass Lockdown und Shutdown ebenfalls ganz oben auf der Liste stehen oder, was immer falsch übersetzt wird, „Soziale Distanz“ statt „Physische Distanz“. Ich bin gespannt.

impact: Durchseuchung, Distanzschlange, Spuckschutzscheibe – befremdliche Begriffe bevölkern seit Corona unseren Wortschatz. Wie sehr hat die Pandemie unsere Sprache infiziert?

Akbar: Wir hatten zu Beginn im März einen Hype. Und ein Hype ist – egal, worum es sich handelt – immer ungesund. Jetzt hat es sich auf ein Maß eingependelt, mit dem wir arbeiten können. Und ich bin guter Dinge, dass Corona unsere Sprache nicht auf Dauer infiziert hat.

impact: Derzeit scheint Corona noch allgegenwärtig: Es gibt das Corona-Abi, die Corona-Bonds und Corona-Babys, die Coronoia und die Coronials… Glauben Sie, das wird alles wieder verschwinden?

Akbar: Das wünsche ich mir natürlich. Das Schönste wäre, wenn wir zu einer Leichtigkeit in der Sprache zurückfinden und darüber lachen können: über die Corona-Frisur, die wir mal hatten, und über das Corona-Abi, das manche machen mussten. Das wird allerdings noch eine Weile dauern. Im Moment ist es bemerkenswert zu sehen, wie sich die Sprache einzelner Gruppierungen entwickelt, denn am Anfang der Pandemie hatte links und rechts des Mainstreams niemand mehr Platz.

impact: Was meinen Sie damit?

Akbar: Im März und Anfang April hat nur die Regierung gesprochen. Oppositionspolitiker hatten extreme Schwierigkeiten, in den Medien durchzukommen. Auch rechts- und linksextreme Gruppierungen hatten keine Chance. Man war in der Schockstarre, es ging um Existenzielles. Und dann ist das passiert, was die meisten, die sich mit Kommunikation beschäftigen, geahnt haben: Auf einmal sehen wir Demos von Links und Rechts, Verschwörungstheoretiker melden sich zu Wort – dafür ist jetzt wieder Raum. Das ist auf der einen Seite schade, auf der anderen Seite sind Meinungsfreiheit und Vielfalt natürlich etwas Positives.

impact: Wie bewerten Sie die Corona-Rhetorik der Politikerinnen und Politiker in Deutschland?

Akbar: Ich war sehr beeindruckt von der Ansprache der Bundeskanzlerin: In welch einer empathischen, wertschätzenden Art und Weise sie gesprochen hat – vom Ernst der Lage, dass wir nicht von Zwang leben, sondern in Freiheit und in einer Demokratie. Da muss man den Hut ziehen. Auch viele andere Politiker haben versucht, sehr klar zu kommunizieren, obwohl die Situation überhaupt nicht klar war. Das war bemerkenswert. Natürlich haben sich dann diejenigen Gehör verschafft und durchgesetzt, die in der Krise die Sprache der Menschen sprechen und ihre Ängste verstanden haben, wie Bayerns Ministerpräsident Markus Söder.

impact: Wie steht Deutschland also im Vergleich zu anderen Ländern da, wo zunächst einmal eine erschreckende Kriegsrhetorik angestimmt wurde?

Akbar: Außergewöhnlich gut. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat von Krieg und einem unsichtbaren Feind gesprochen. Über Donald Trump müssen wir gar nicht reden. Aber selbst UN-Generalsekretär António Guterres hat gesagt: Wir müssen dem Virus den Krieg erklären. Eine ganz falsche Rhetorik. Ich bin bass erstaunt.

impact: Was ist die richtige Rhetorik?

Akbar: Gute Kommunikation ist klar, verbindlich und transparent. Denn die Menschen brauchen Sicherheit und Vertrauen. Was sehr wichtig war und auch geschehen ist: Man hat sich relativ schnell auf eine Art Glossar geeinigt: Wir reden nicht mehr von Ausgangssperren, sondern von Kontaktreduzierung, wir sprechen von Abstandsregeln und davon, dass wir Masken tragen sollten. Da hat man sich auf eine klare Sprache geeinigt. Was man auf keinen Fall tun sollte, ist, falsche Versprechungen zu machen. Und auch die Emotionalität sollte sich in dieser Situation in Grenzen halten, obwohl ich grundsätzlich ein großer Freund einer emotionalen Sprache bin.

impact: Stichwort Emotionen: Die Sprache der Politik und die Sprache der Wissenschaft gehen in dieser Krise eine interessante Verbindung ein. Erleben wir eine neue Sachlichkeit?

Akbar: Ich hatte kürzlich ein interessantes Interview mit dem TV-Magazin Galileo von ProSieben. Es ging darum zu analysieren, wie die vier weltweit führenden Corona-Forscher kommunizieren: Der deutsche Virologe Christian Drosten ist einer davon, der Immunologe Anthony Fauci aus den USA ein weiterer. Sie kommunizieren sehr unterschiedlich: Drosten sehr sachlich, wenig emotional, aber empathisch – das finde ich gut. Wissenschaft und Politik haben in Deutschland schnell eine gemeinsame Sprache gefunden. In den USA klingt das anders, Fauci spricht viel emotionaler. Er sagt in einer Pressekonferenz zum Beispiel: „Das war eine sehr schlechte Woche. Corona wird noch viele Leben kosten.“ So spricht in Deutschland niemand.

impact: Lernen wir in dieser Situation noch einmal neu, wie wertvoll unsere Sprache ist und wie behutsam wir mit ihr umgehen müssen?

Akbar: Da sprechen Sie mit dem Richtigen (lacht). Ich bin seit 20 Jahren in diesem Thema unterwegs, um den Menschen näherzubringen, wie wichtig die Wortwahl ist. Ich habe die Hoffnung nie aufgegeben, dass die Menschen das erkennen. Dass Corona hier eine Auswirkung hat, glaube ich aber nicht.

impact: Warum nicht?

Akbar: Das ist der typische Elternabend-Effekt: Es kommen fast immer die Eltern, die ohnehin im Sinne der Kinder mitziehen. Die erreichen Sie also als Lehrer, die anderen leider nicht. Bei der Sprache ist es ähnlich. Ich bin in vielen Konzernen, Verbänden und auf Kongressen unterwegs. Meine Keynotes und Vorträge dort sind immer voll. Und da sitzen diejenigen, die sich gerne mit Sprache und Kommunikation auseinandersetzen, was mich auf der seinen Seite natürlich sehr freut. Auf der anderen Seite möchte ich auch die Menschen erreichen, die sich bisher noch nicht mit Sprache und Worte tiefer beschäftigt haben. Vor Corona war ich gerade mit einer Frankfurter Brennpunktschule im Austausch, um auch jungen Menschen zu zeigen: Leute, Sprache ist so unfassbar wichtig! Dann werde ich gefragt: Wie wichtig? Was ist das Wichtigste und was das Zweitwichtigste…? Das Wichtigste ist die Anerkennung unserer demokratischen und gesellschaftlichen Werte. Das Zweitwichtigste ist die Sprache. Ich möchte zeigen, dass man mit Sprache einiges erreichen kann.

impact: Und vielleicht auch, wie kreativ sie ist. Die Corona-Pandemie hat uns ein Feuerwerk an Wortschöpfungen beschert, oder?

Danke für diese Frage! Hier spielen die Sozialen Medien eine große Rolle, die oft verteufelt werden. Gerade diese Kanäle tragen aber zur Vielfalt der Sprache bei. Und unsere Sprache ist so groß, im Duden allein stehen 135.000 Stichwörter. Wir nutzen viel zu wenig davon. Und das ist meine Mission: Nutzt die Sprache, der deutsche Wortschatz ist ein Traum!

impact: Sie haben in einem Interview gesagt, dass über die Sozialen Medien die Generationen sprachlich wieder zueinander finden. Ist das ein positiver Corona-Effekt?

Akbar: Ich habe vor einiger Zeit elf Thesen zur Zukunft der deutschen Sprache erstellt. Eine meiner Thesen ist dabei, dass unser gemeinsamer Wortschatz kleiner wird. Früher haben 20 Millionen Menschen „Wetten, dass…?“ geschaut, heute haben solche Sendungen vielleicht noch vier Millionen Zuschauer. Durch die veränderte Mediennutzung wird der Wortschatz immer stärker segmentiert. In Deutschland nutzen inzwischen aber fast 60 Millionen Menschen WhatsApp, mehr als jeder Zweite zwischen 50 und 69 tut das. Gerade jetzt kommunizieren diese Leute über WhatsApp auch mit ihren Kindern und Enkeln und haben durch Corona einen gemeinsamen Wortschatz, über alle Generationen und Bevölkerungsgruppen hinweg. Das ist traurig, aber verbindet.

impact: Hat es das in jüngster Zeit überhaupt schon einmal gegeben, dass ein Thema so die Sprache dominiert? Nine Eleven, Fukushima…?

Akbar: Nine Eleven und Fukushima waren auch schlimme Ereignisse. Aber es hat nicht in dieser Form alle gleichermaßen betroffen. Was bedeutet die Aussage eines bestimmten Politikers für mich, meinen Job, mein Unternehmen? Kann ich meine Enkel sehen, darf ich Tennis spielen gehen? Zu meinen Lebzeiten hat es so etwas nicht gegeben. Einzigartig. Und deswegen werden Worte auf die Goldwaage gelegt und in Video-Schalten wird genau hingesehen und hingehört. Ein hochinteressantes Thema.

impact: Haben Sie eigentlich ein Corona-Lieblingswort?

Solidarität finde ich schön. Aber ich würde mir eigentlich einen cooleren, moderneren Begriff dafür wünschen. Trotzdem finde ich – ebenfalls eher „old school“ – auch so etwas wie Zuhause, Freunde, Familie oder Geborgenheit wunderbar. Die ganz klassischen Werte, die viele von uns jetzt noch mehr zu schätzen wissen.

Kontakt

Christina Janssen
Wissenschaftsredakteurin
Hochschulkommunikation
Tel.: +49.6151.16-30112
E-Mail: christina.janssen@h-da.de

Murtaza Akbar in den Medien:

Mehr zum Thema:

Süddeutsche Zeitung, 6. Mai 2020: Wie Corona unsere Sprache beeinflusst

HR Info, 4. Mai 2020: Wie die Corona-Krise unsere Sprache beeinflusst