Corona und Philosophie

Prof. Dr. Arnd Steinmetz ist h_da-Vizepräsident für Forschung und wissenschaftliche Infrastruktur. Der Informatiker und Multimedia-Experte sagt im impact-Interview: Die Hochschulen werden sich durch den gegenwärtigen Digitalisierungsschub dauerhaft verändern. Aber auch die Gesellschaft werde aus der Krise lernen und sich weiterentwickeln. Deutschland sei gut daraus vorbereitet.

Ein Interview von Christina Janssen, 20. April 2020

impact: Herr Steinmetz, die Krise beschert den Hochschulen in Deutschland, auch der h_da, Digitalisierung im Zeitraffer. Wo liegen die größten Herausforderungen?

Steinmetz: Die größte Herausforderung sind die Menschen, die sich jetzt auf all die neuen Technologien einstellen müssen. Ein klassisches Beispiel: die Videokonferenzen. Es ist ein großer Unterschied, ob ich in einem Raum in einer Ecke sitze und die Stirn runzele, wenn jemand etwas sagt, oder ob ich auf einer zwei mal drei Meter großen Projektionsfläche zu sehen bin und dasselbe tue. Das ist eine für viele ganz neue Art der Kommunikation.

Auf 'Play' wird externer Medieninhalt geladen, und die Datenschutzrichtlinie von YouTube gilt

impact: Was läuft gut, wo hapert es noch an der h_da?  

Steinmetz: Was erstaunlicherweise überhaupt kein Problem ist, das ist die Internetanbindung. Die Bandbreiten, die wir haben, reichen im Moment völlig aus. Wir sind gemeinsam mit der TU Darmstadt auch Betreiber der man-da GmbH, die das Netzwerk in Darmstadt und Südhessen stellt. Und dort ist zu sehen, dass derzeit noch keinerlei grenzwertige Belastung erreicht wird, obwohl jetzt so viele Leute per Video unterwegs sind. Da haben wir eine sehr stabile Infrastruktur. Was dagegen nicht reibungslos funktioniert, ist die Beschaffung von Hardware. Die Preise sind gestiegen, die Lieferfähigkeiten eingeschränkt, nicht nur bei Gesichtsmasken. Es gibt einfach keine Laptops oder Videokameras mehr zu kaufen. Selbst bei den Software-Lizenzen gibt es Probleme.

Es ist momentan wirklich ein Problem, die nötigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Und das liegt nicht an der Hochschule: Wir sind gerade enorm flexibel und enorm schnell, was Beschaffungsprozesse angeht. Wir haben Home-Arbeitsplätze für vier Fünftel der „Besatzung“ möglich gemacht, Lizenzen für Adobe Connect und Zoom gekauft, die Serverkapazitäten für Moodle ausgebaut. Noch vor acht Wochen hätte ich gesagt, das ist ein Fünf-Jahres-Projekt. Aber wir haben das in acht Wochen gestemmt. Und das, obwohl wir bei weitem nicht genügend Personal haben, um die aktuelle Situation zu bewältigen. Mein expliziter Dank gilt allen, den praktisch reibungslosen Betrieb durch ihren großen Einsatz ermöglichen und gleichzeitig noch am Ausbau unserer digitalen Strukturen mitarbeiten, allen voran unsere IT-Abteilung und die Expertinnen und Experten im HSB.

impact: Wird die Corona-Krise unseren Hochschulalltag nachhaltig verändern?  

Steinmetz: Das hoffe ich sehr. Wir machen jetzt gezwungenermaßen einen großen Schritt und lernen dabei täglich dazu – als Gesellschaft insgesamt und als Hochschule sowieso. Wir haben die große Chance, vieles auszuprobieren. Wenn etwas schiefgeht, geht es eben schief. Dafür hat jeder Verständnis. Jetzt ist die Zeit zu experimentieren und neue Lehrformate zu testen, in einem Reallabor ungekannter Größe. Am Ende werden wir eine deutlich bessere Einschätzung haben, wann digitale Formate am besten geeignet sind und wann Präsenzveranstaltungen. So werden wir die verschiedenen Formate künftig zielgerichteter einsetzen können. Und wir werden nach der Krise viel mehr digitale Systeme und digitales Material zur Verfügung haben, um sie ohne großen Aufwand weiterhin einsetzen zu können.

impact: Wie begründet sind denn die Sorgen einiger Lehrender, sie könnten durch digitale Angebote quasi überflüssig gemacht werden?  

Steinmetz: Diese Befürchtungen gibt es schon seit der Einführung von Overhead-Projektoren in den Schulen. Tatsache ist: Die Rolle ändert sich. Doch das ist ein kontinuierlicher Prozess, den wir auch unabhängig von der Corona-Krise erleben. Als Hochschuldozent kann man heute nicht mehr als Hüter des Wissens auftreten, man ist eher ein Wissensmanager oder Coach. Die jungen Leute haben im Internet Zugriff auf Wissen in beliebiger Menge und Qualität. Deshalb geht es heute mehr darum zu erklären, wo sie das finden, was wichtig ist, mit ihnen zu diskutieren, zu bewerten, einzuordnen. Es geht darum, Lebenserfahrung und den eigenen Wissensvorsprung an die jungen Menschen weiterzugeben. Diese Rolle ist durch nichts zu ersetzen.

impact: Wenn mehr Raum für kritische Analyse bliebe, wäre das auch eine Chance für eine neue Qualität in der Lehre.

Steinmetz: Genau. Aber dieser Prozess bedeutet eine große Umstellung– zumindest für diejenigen, die in einer sehr klassischen Rolle unterwegs sind. Gleichzeitig gibt es schon jetzt viele Kolleginnen und Kollegen, die das so handhaben. Wir haben viel projektbasierten Unterricht, wo es darum geht, konkrete Aufgaben zu lösen und den jungen Leuten dabei als Berater zur Seite zu stehen. Durch die neuen digitalen Techniken wird das unterstützt und auch hier werden wir einen großen Schritt vorankommen.

impact: Wenn wir das Panorama aufziehen und die Gesellschaft insgesamt betrachten, sehen wir, wie sich in fast allen Bereichen etwas verändert: Kleinere Unternehmen bauen den Online-Handel aus, ältere Menschen nutzen verstärkt digitale Tools, Therapeuten bieten Online-Sitzungen an. Holt Deutschland jetzt nach, was in vergangenen Jahren versäumt wurde?  

Steinmetz: Ich wehre mich immer gegen die Formulierung, Deutschland müsse etwas nachholen. Wir sind nicht überall an vorderster Front dabei, das ist richtig. Deutschland gilt international als Bedenkenträger. Aber wir haben eine gute Basis, sowohl technologisch als auch was die Auseinandersetzung mit dem Thema angeht: Es gibt in unserem Land viele Menschen, die das Thema Digitalisierung kritisch durchleuchten und genau beobachten, was in den USA, China oder Südostasien geschehen ist, sodass man bei uns sehr genau weiß: Was wollen wir und was wollen wir nicht. Aufgrund der aktuellen Zwangslage haben wir die Chance, tatsächlich umzusetzen, was wir wollen. Und das geschieht sehr gut vorbereitet und mit einem wachen Blick für die problematischen Aspekte wie Datenschutz und digitale Überwachung. Über jedes neue Tool führen wir eine intensive Diskussion. Das findet in anderen Ländern auf diesem Niveau nicht statt.

impact: Das heißt, Ihre ethischen und gesellschaftspolitischen Bedenken halten sich in Grenzen?

Steinmetz: Ja. Wir sind in Deutschland sehr gut aufgestellt. Auch in der breiten Bevölkerung gehen die Menschen das Thema kritisch an und machen sich Gedanken, was die Nutzung der verschiedenen Tools mit sich bringt. Gerade in Deutschland müssen wir uns in so einer aktuellen Krisensituation meines Erachtens darüber keine allzu großen Sorgen machen. Jetzt geht es darum, Erfahrungen zu sammeln und daraus zu lernen, wo wir nachbessern müssen.

impact: Und schließlich bietet diese Entwicklung, was vielen sympathisch sein dürfte, auch Chancen für die Nachhaltigkeit und ein effizienteres Wirtschaften…

Steinmetz: Ich bin schon immer ein Verfechter dessen gewesen, mehr digitale Tools einzusetzen und Reisetätigkeiten zu reduzieren. Das ist schwierig, weil die meisten Menschen es angenehmer finden, sich persönlich zu treffen. Aber jetzt machen viele die Erfahrung, dass man mit einer Videokonferenz manches einfacher und effizienter abdecken kann und damit Reisetätigkeit vermeidet – die Fliegerei von und nach Berlin oder Brüssel, das muss eigentlich nicht sein. Und das gilt auch für Reisen innerhalb Hessens, die wir als Hochschulangehörige unternehmen, wenn die Präsidien sich treffen oder Arbeitsgruppen tagen. Meine Hoffnung ist, dass man das künftig reduziert, weil wir uns daran gewöhnt haben, dass auch eine Videokonferenz ein probates Mittel sein kann. Sich hin und wieder trotzdem zu treffen ist ja nicht schädlich…

impact: Wie werden wir in einigen Jahren auf diese Zeit zurückblicken?

Steinmetz: Ich glaube nicht, dass man sich daran erinnern wird, was sich in dieser Zeit im digitalen Bereich getan hat. Man wird sich an die leeren Städte und Straßen erinnern oder daran, dass man zu Hause wieder mehr Monopoly gespielt hat. Das sind die prägenden Bilder. Nicht die neue Technik wird in Erinnerung bleiben, sondern all das, was im sozialen Bereich passiert ist – das neue Solidaritätsgefühl, die Fokussierung aufs Gemeinwohl. Und das ist auch gut so.

Kontakt

Christina Janssen
Wissenschaftsredakteurin
Hochschulkommunikation
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