„Dem Lockdown fehlt mitunter die Logik“

Prof. Dr. med. Silke Heimes lehrt an der Hochschule Darmstadt (h_da) Onlinejournalismus. Im impact-Interview gibt die Ärztin und Wissenschaftsjournalistin Tipps für den Corona-Alltag. Ihr Rat: Struktur, soziale Vernetzung, ausreichend Pausen für Geist und Körper sowie Bewegung.

Ein Interview von Christina Janssen, 4. November 2020

impact: Frau Heimes, wir starten in diesen Tagen in das zweite digitale Semester an unserer Hochschule. Sie werden Ihre Studierenden auch in diesem Semester nicht persönlich treffen. Wie geht es Ihnen damit?

Heimes: Die Situation ist – wie im letzten Semester auch – sicher zu bewältigen, aber dennoch finde ich es sehr schade. Ich habe diesen Hochschuljob angetreten, weil ich gerne mit Menschen arbeite und Menschen in einem Prozess – sei es therapeutisch oder beim Lernen – begleite. Und genau das ist im Moment nur eingeschränkt möglich.

impact: Auch dieses Interview führen wir digital. Können digitale Medien den Mangel an persönlichem Kontakt kompensieren?

Heimes: Leider nicht vollständig. Das fängt schon damit an, dass viele Studierende in Online-Veranstaltungen die Kamera nicht einschalten, was ich verstehen kann. Sie wollen nicht, dass der Prof quasi bei ihnen im Wohnzimmer oder Schlafzimmer sitzt und sie haben kein Arbeitszimmer, in das sie ausweichen können. Für mich heißt das allerdings: Ich kann nichts an ihrer Mimik ablesen. Sind sie noch dabei, haben sie Fragen und trauen sich nur nicht oder haben sie innerlich längst abgeschaltet? Zurückhaltende Menschen haben es hier oftmals noch schwerer und es besteht die Gefahr, dass sie sich sozial zurückziehen und es nicht schaffen, sich ausreichend selbst zu motivieren und zu strukturieren. Hier wäre es natürlich schön, die Studierenden persönlich zu sehen, um sie besser auffangen zu können.

impact: Besonders schwierig ist die Situation für die „Erstis“, die in diesen Tagen ihr Studium beginnen.

Heimes: Ja, das stimmt. Wir versuchen zwar, sie in Online-Begrüßungen so gut wie möglich an die Hand zu nehmen, viele Fragen zu beantworten und praktische Tipps zu geben, aber da sie weder uns, noch wir sie kennen und sie sich untereinander ebenfalls nicht, trifft es sie besonders hart.

impact: Nach dem ersten Lockdown im Frühjahr hat sich die Lage entspannt. Jetzt scheint alles wieder von vorne loszugehen. Was macht das mit unserer Psyche?

Heimes: Wir haben die psychischen Folgen des Lockdowns meines Erachtens zu wenig im Blick und berücksichtigen nicht ausreichend, welche Auswirkungen die mit dem Lockdown einhergehende soziale Isolation haben kann. Jetzt kommt der Winter. Es ist dunkel, viele Leute sind allein zu Hause. Ich fürchte, dass die psychischen Erkrankungen zunehmen und möglicherweise auch die Suizidrate steigen wird. Die Aggression im öffentlichen Raum nimmt zu, die häusliche Gewalt ebenfalls, das weiß man aus der Zeit des ersten Lockdown.

impact: Heißt das, der Lockdown könnte aus Ihrer Sicht mehr Schaden anrichten als er nutzt?

Heimes: Mir fehlt mitunter die Logik. Mit Maßnahmen wie Maske tragen und Abstandhalten oder den Hygienerichtlinien bin ich voll und ganz einverstanden und halte sie für sinnvoll. Aber Gesundheitseinrichtungen und Sportangebote zu schließen, für deren Bereiche und Räume überzeugende Hygienekonzepte ausgearbeitet wurden, halte ich für ungünstig. Darüber hinaus werden jetzt noch mehr Menschen in ökonomische Schwierigkeiten geraten, was ebenfalls zu psychischen Problemen führen wird.

impact: Das gilt auch für die Studierenden…

Heimes: Richtig. Denn die meisten Studierenden jobben in Kneipen und Cafés oder Redaktionen etc., und ihnen brechen jetzt die Jobs weg. Das Gleiche gilt für Praktika. Unsere Studierenden machen normalerweise ein Semester lang ein Praktikum in einer Redaktion. Diesen Sommer war es natürlich schwieriger, solche Plätze zu bekommen.

impact: Worauf muss man in einer so schwierigen Lage besonders achten, was sind erste Alarmzeichen dafür, dass man selbst oder Freunde, Bekannte, Verwandte in eine Krise rutschen?

Heimes: Man merkt es daran, dass die Leute sich zunehmend isolieren, dass sie nicht mehr reagieren und sich zurückziehen. Dann sollte man dranbleiben und nachfragen, statt zu denken, wer nicht will, der hatte schon. Hilfreich könnte es auch sein, Lerntandems oder andere Partnerschaften zu bilden.

impact: Mit welchen Strategien kann man sich selbst helfen?

Heimes: Das Allerwichtigste ist eine klare Struktur. Sprich: dass ich nicht im Jogginganzug oder Schlafanzug zu Hause vor dem Computer sitze, sondern mich so verhalte, als würde ich zur Hochschule gehen. Das heißt, ich stelle mir den Wecker, als würde die Vorlesung beispielsweise um halb neun beginnen. Ich ziehe mich an und gehe aus dem Haus. Und sei es auch nur, um mir beim Bäcker einen Kaffee zu holen. Und dann takte ich mir meinen Tag entsprechend durch.

impact: Weitere Tipps für die Psychohygiene im Corona-Winter?

Heimes: Man sollte regelmäßig rausgehen und sich ausreichend bewegen. Wichtig ist es außerdem, seine sozialen Kontakte aufrechtzuerhalten. Man kann sich zum Beispiel zum Spaziergang verabreden. Diese Art der Selbstfürsorge ist entscheidend. Zudem sollte man sich Hilfe holen, wenn man merkt, dass man es alleine nicht mehr schafft. Es gibt zum Beispiel die psychotherapeutische Beratungsstelle des Studierendenwerkes Darmstadt oder andere Hilfsangebote.

impact: Was ist wichtig für Studierende, denen es jetzt besonders schwerfällt sich zu motivieren?

Heimes: Es war ja schon von sogenannten Lerntandems die Rede. Gut ist es immer, sich innerhalb der Studierenden zu vernetzen. Als Lehrender kann man das fördern, indem man Projekte anstößt, an denen mehrere Studierende beteiligt sind. Ich persönlich achte auch darauf, die Online-Sessions in großen Gruppen zeitlich nicht allzu sehr auszudehnen, sondern lieber Kontakte in kleineren Gruppen anzubieten, in denen man sich intensiver austauschen kann. Das kann per Mail, Telefon oder Zoom sein, da sollte jeder den Kanal nutzen, der für ihn oder sie passt.

impact: Lesen macht gesund, heißt einer Ihrer Buchtitel. Wenn ich zurzeit die Zeitung aufschlage, bin ich mir da nicht so sicher. Welche Lektüre empfehlen Sie?

Heimes: Vielleicht lieber keine dystopischen Stoffe. Ansonsten gilt: Jeder nach seinem Geschmack. Dem einen hilft ein guter Thriller, um eine Zeit lang den Anforderungen und Belastungen des Alltags zu entfliehen, andere bevorzugen eine Familiesage oder einen historischen Roman. Im Umgang mit den Informationsmedien empfehle ich, dass man sich dafür Zeitfenster setzt. Es genügt, sich einmal oder maximal zweimal am Tag kompakt über Corona zu informieren. Zu viele Informationen können einen eher verunsichern und zusätzlich belasten. 

impact: Als Journalistin verfolgen Sie die mediale Berichterstattung über Corona auch aus einem professionellen Blickwinkel. Wie bewerten Sie den Output zu Corona?

Heimes: Auch da würde ich mir wünschen, dass die Medien so etwas wie eine kleine Diät halten. Es könnte beispielsweise zweimal am Tag, morgens und abends, umfassend über Corona berichtet werden. Wer diese Informationen live verpasst hat, kann sie nachhören, nachsehen oder nachlesen. Ich muss also nicht jede Stunde das komplette Corona-Programm wiedergeben, sondern kann in der restlichen Zeit auch mal über etwas anderes berichten.

impact: Und was können die Hochschulen noch besser machen, um jungen Menschen das Rüstzeug für solche Krisensituationen mit auf den Weg zu geben?

Heimes: Wir wären gut beraten, unseren Studierenden Fähigkeiten zu vermitteln, die über das rein Fachliche hinausgehen. Wir sollten Selbstmanagement und Achtsamkeit weiter stärken und das fest im Curriculum verankern. An unserer Hochschule haben wir außerdem noch das sozial- und kulturwissenschaftliche Begleitstudium (SuK), in dem solche Themen besonders gut aufgehoben wären.

Kontakt

Christina Janssen
Wissenschaftsredakteurin
Hochschulkommunikation
Tel.: +49.6151.16-30112
E-Mail: christina.janssen@h-da.de