Das Sprachenzentrum an der h_da ist einer der Motoren der Internationalisierung. Jetzt rückt es weiter ins Zentrum der Hochschule – und die Inter- und Transkulturalität spielt allein schon wegen der europäischen Hochschulallianz EUt+ eine tragende Rolle in der Strategie.
Von Kilian Kirchgeßner, 28.3.2023
An die Reise nach Indonesien erinnert sich Nicola Erny noch gut. 2014 war es, mit ihrem Mann saß sie in einem Café und kam dort mit einem europäischen Ingenieur ins Gespräch. „Der war für ein Projekt seiner Firma ein halbes Jahr dort und erzählte, wie es immer wieder zu interkulturellen Missverständnissen kam“, sagt Erny im Rückblick. Für die Gründungsdekanin des Fachbereichs Gesellschaftswissenschaften an der h_da war das einer von vielen Aha-Momenten: „Mir ist immer wieder klar geworden: Das Sozial- und kulturwissenschaftliche Begleitstudium bietet auch durch die Vermittlung von Themen, die zu einer interkulturellen Sensibilisierung beitragen, einen Mehrwert für alle Fachbereiche.“
Seit dieser Begebenheit hat sich an der Hochschule Darmstadt viel getan: Die interkulturellen Kompetenzen sind zu einer tragenden Säule der Hochschulstrategie geworden. Allein schon durch den Zusammenschluss von acht Hochschulen aus ganz Europa im Verbund EUt+ (European University of Technology) gewinnt die Inter- und Transkulturalität zunehmend an Bedeutung. „Wir sehen sie als Querschnittsaufgabe, die sowohl Lehre und Forschung als auch den Wissenstransfer betrifft“, sagt Nicola Erny.
Eine der tragenden Rollen kommt dabei dem Sprachenzentrum zu, das sie leitet. Es trägt dazu bei, dass die Internationalisierung nicht bloß ein Schlagwort bleibt: Die Sprachen, davon sind Erny und ihr Team überzeugt, sind die Voraussetzung zur Überwindung von kulturellen Grenzen. In Darmstadt schlägt sich diese Erkenntnis jetzt auch in der Struktur der Hochschule nieder. Das sichtbarste Zeichen dafür ist die neue Ansiedlung des Sprachenzentrums, das bislang zum Fachbereich Gesellschaftswissenschaften gehört; künftig wird es zentral direkt an der Hochschulleitung angesiedelt sein. „Das Sprachenzentrum soll einer der Motoren der Internationalisierung sein“, sagt dazu Nicola Erny: „Es trägt dazu bei, interkulturelle Verständigung zu fördern und Barrieren zu überwinden.“
Die Tücken des Sprachunterrichts
Sprachunterricht bedeutet deshalb nicht nur die Vermittlung von Vokabeln und Grammatik, weiß Tamara Onnis, die am Sprachenzentrum für interkulturelle Kommunikation zuständig ist. „Interkulturelle Aspekte müssen immer Teil der Sprachvermittlung sein, sonst funktioniert es nicht“, erzählt sie. In Kamerun beispielsweise werde jeder im Dorf als Onkel oder Tante bezeichnet – „wenn ich jemandem aus Kamerun also diese Wörter auf Deutsch beibringe, muss er auch verstehen, wie sie gemeint sind.“ Mit solchen Tücken der interkulturellen Kommunikation sind alle gleichermaßen konfrontiert: diejenigen, die Deutsch als Fremdsprache lernen, ebenso wie jene, die eine nicht-deutsche Fremdsprache lernen.
Was aber ist der Unterschied zwischen Inter- und Transkulturalität? „Mein Fachgebiet ist die Philosophie, da ist die Begriffsklärung eine zentrale Aufgabe“, sagt Nicola Erny lächelnd – und setzt mit der Erläuterung in den 1970er Jahren an, als der Begriff „Multikulti“ geprägt wurde. „Dieser sagt aus, dass verschiedene kulturelle Traditionen gepflegt werden, aber nebeneinander und ohne nennenswerte Vermischung. Die Interkulturalität ist ein Phänomen der Globalisierung. Hier stehen die fortwährenden Begegnungen mit Angehörigen anderer Kulturen im Vordergrund, die sich auf die eigene kulturelle Entwicklung auswirken. Und bei der Transkulturalität steht die Pluralität der Lebensformen im Vordergrund, die Verschmelzung, Vermischung, die Wechselbeziehung.“
Gebündeltes Knowhow: Die Sprachenzentren im Austausch
Zu diesem Thema fand in Darmstadt unlängst eine internationale Konferenz statt, ihr Thema: „Inter/Multikulturalismus in einer postkolonialen Ära: Sprachen und europäische Werte.“ Beteiligt waren die Sprachabteilungen aller Hochschulen, die am EUt+-Verbund beteiligt sind. „Wir arbeiten im Rahmen des EUt+ Language Pools schon seit längerem mit den Sprachenzentren der Partnerhochschulen zusammen. Wir in Darmstadt sind insbesondere für die Forschung zuständig“, sagt Stefanie Morgret von der h_da. Auf regelmäßigen Treffen tragen die Kolleginnen und Kollegen aus ganz Europa ihre Erfahrungen zusammen – und tüfteln an gemeinsamen Projekten, mit denen sie ihr Knowhow aus den unterschiedlichsten Bereichen kombinieren können.
Eine der Initiativen, die daraus entstanden ist, heißt DaCaDu – ein Kürzel für die beteiligten EUt+-Hochschulen in Darmstadt, Cartagena und Dublin. Viele der Arbeitsergebnisse lassen sich bis heute im Internet anschauen: Ein Blog ist entstanden, in dem Studierende aus den beteiligten Hochschulen dokumentieren, wie sie miteinander eine Fremdsprache lernen und in die Besonderheiten des jeweiligen Landes eintauchen. „Wenn wir dieses Projekt vorstellen, horchen die Kolleginnen und Kollegen auf“, sagt Mitinitiatorin Stefanie Morgret von der h_da: „Inzwischen wollen weitere EUt+-Partner mitmachen, wir entwickeln gerade neue Projekte.“
Das Potential, das in diesen Ideen steckt, ist gewaltig: Fachleute sprechen inzwischen von einer „blended mobility“, bei der Studierende aus verschiedenen Hochschulen eng zusammenarbeiten: in einer Präsenzphase, aber auch virtuell von der jeweiligen Alma Mater aus – die Mobilität findet also vor allem virtuell statt, ermöglicht aber wegen der regelmäßigen interaktiven Treffen eine tatsächliche interkulturelle Erfahrung. Sie wird, kurz gesagt, zum Teil des Alltags.
Neuer Schwung für den Teamgeist
Diese Entwicklung findet inzwischen nicht mehr nur innerhalb der Sprachenzentren statt, sondern greift auf die Hochschulen insgesamt über. „Mehr und mehr Teams werden inter- und transkulturell“, konstatiert Tamara Onnis – und betont, dass das kein Selbstzweck sei: „Diese neuen Verbindungen spiegeln sich im Teamgeist wider!“ Die Sprachenzentren stoßen damit eine Entwicklung an, die im Rahmen von EUt+ die gesamten Hochschulen ergreift. Schon jetzt lässt sich in Darmstadt eine steigende Nachfrage nach Sprachkursen auch von Seiten der Lehrenden und der Verwaltungsmitarbeiter und Verwaltungsmitarbeiterinnen feststellen.
Nicola Erny hatte also den richtigen Riecher, als sie damit begann, sich mit dem Thema der Inter- und Transkulturalität zu beschäftigen. „Rund zehn Jahre ist das jetzt her, und damals hielten es viele für eine Eintagsfliege“, erinnert sie sich. Nicht zuletzt mit der Bewegung der Geflüchteten von 2015 wurde allerdings deutlich, dass es zunehmend aktuell werden würde. 2017 fand in Darmstadt dann ein erstes Diskurs-Symposium statt, es war „Aktuelle Perspektiven zur Inter- und Transkulturalität“ überschrieben. Vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern ging es so wie diesem Studenten, der am Rande der Debatten sagte: „Manches kennt man natürlich oder hat schon einmal davon gehört. Aber viele Zusammenhänge waren mir gar nicht klar. Das gibt ganz neue Denkansätze!“ Aus diesem vorsichtigen Herantasten an das Thema ist inzwischen ein stabiles Fundament geworden.
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Christina Janssen
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