Carla Hustedt während ihres Vortrags am Rednerpult.
Gefahren des Innovations-Fetischismus

Das vierte h_da Dialog-Forum am 30. November stand unter der Überschrift „Nachhaltige Digitalisierung – digitalisierte Nachhaltigkeit“. Auf Einladung von h_da, Schader-Stiftung und Digitalstadt Darmstadt verfolgten im Schader-Forum und online zusammen etwas mehr als 100 Interessierte die Diskussion. Redebeiträge, Podiumsdiskussion und Publikumsfragen ergaben nicht nur viele Ansätze, die Hoffnung auf eine nachhaltige Digitalisierung machen, sondern auch praktische Tipps dazu, was jede und jeder selbst dazu beisteuern kann.

Von Daniel Timme, 30. November 2022

Elon Musk und Donald Trump dienten dem vierten h_da Dialog-Forum als Ausgangspunkte. Genauer: Wie der reichste Mensch der Welt die Amnestie für den exzentrischen Ex-Präsidenten der USA in seinem kürzlich erworbenen Mikroblogging-Dienst Twitter legitimierte. Musk begründete Trumps Resozialisierung nämlich mit dem Mehrheitswillen der an einer entsprechenden Abstimmung beteiligten Nutzer:innen („The people have spoken“). Für Carla Hustedt ein griffiges Beispiel für den durch die Digitalisierung getriebenen Strukturwandel der Medienlandschaft und damit einhergehende Machtverschiebungen. Das Thema Macht beschäftigt Carla Hustedt seit jeher – so auch in ihrem Impulsvortrag in Darmstadt. Die Leitung des Projekts „Ethik der Algorithmen“ der Denkfabrik Bertelsmann Stiftung hatte sie bekannt gemacht. Inzwischen leitet die 31-Jährige den Bereich „Digitalisierte Gesellschaft“ der Stiftung Mercator.

„Wir sind da reingeschlafwandelt“

Mit Blick auf den sich rasend schnell vollziehenden digitalen Wandel sieht Hustedt eine „gefährliche Lethargie“ in der Gesellschaft. Die Sorge, die Menschheit könne die Fehler wiederholen, die sie bei der Klimakrise gemacht hat, drückt sie in einer Wortschöpfung aus: „Wir sind da reingeschlafwandelt.“ Die Machtfülle der Monopolisten wie Google, Meta (Facebook) oder Amazon sei alarmierend. „Demokratische Prozesse sind in die Hände digitaler Konzerne gekommen.“

Schwarz-Weiß-Denken helfe bei der Bewertung digitaler Technologien selten weiter, sagte Hustedt, man müsse stets differenzieren. Beispiel: Über die sozialen Medien würden digitale Revolutionen gegen autokratische Regime gestartet. Zugleich wirkten sie als Kriegswaffe, wenn sie, etwa durch gefälschte Videos, zur Desinformation missbraucht würden. „Das gab es schon immer“, räumte sie ein, „aber durch die sozialen Netzwerke ist die Reichweite heute viel größer“. Wir müssten uns klar machen, es hier mit Werbekonzerne zu tun zu haben, die der entsprechenden Klick-Logik folgten.

Ähnlich ambivalent sieht Hustedt das Verhältnis von Digitalisierung und Klimaschutz. Der Energieverbrauch, und damit die CO2-Emissionen, digitaler Technologien wie Streaming-Diensten sei enorm hoch. Zugleich berge die Digitalisierung vieler Arbeitsplätze großes Einsparpotenzial. Hustedt zitierte eine anlässlich der Corona-Krise von Greenpeace beauftragte Studie, die Effekte des Homeoffice für Deutschland errechnet hat. Demnach könne schon ein zusätzlicher Homeoffice-Tag pro Woche aufs Jahr gerechnet 1,6 Millionen Tonnen CO2 einsparen – konservativ gerechnet. Was, rechnete Hustedt vor, 5 Prozent der jährlichen CO2-Emissionen Hessens entspreche.

Was Frankfurt von Darmstadt lernen kann

Eileen O’Sullivan von der Partei Volt, Dezernentin für Digitalisierung der Stadt Frankfurt am Main, sagte eingangs der Podiumsdiskussion mit Blick auf die Datenplattform Darmstadt: „Wir in Frankfurt schauen da etwas neidisch nach Darmstadt.“ Besagte Plattform, die unter anderem die von unzähligen Sensoren im Stadtgebiet erhobenen Verkehrs- und Umweltdaten frei zugänglich macht, hatte Simone Schlosser, Geschäftsführerin der Digitalstadt Darmstadt GmbH, zuvor in ihrer Einführung als ein Beispiel genannt, wie Darmstadt Digitalisierung nachhaltig gestalte. Eileen O’Sullivan räumte ein, Frankfurt sei noch nicht so weit, wie es sein wolle. Sie formulierte den Anspruch an ihresgleichen, das Thema politisch stärker einzubringen, aber zu de-politisieren und zu versachlichen. „Wir müssen bei der digitalen Transformation alle mitnehmen, indem wir die Technologie nahbar, erlebbar und erfahrbar machen und die Menschen an die Hand nehmen.“

Auch Prof. Dr. Klaus-Michael Ahrend, Vorstand der HEAG Holding AG, sieht in Sachen Digitalisierung die Politik in der Pflicht. Es fehle schon an einem „konzertierten Herangehen der verschiedenen hessischen Ministerien, um zu Lösungen zu kommen“. Eileen O’Sullivan pflichtete bei, die Politik müsse ihr „Defizit bei der Digitalisierungskompetenz aufarbeiten“. Sie warb dafür, dabei stärker das Wissen der Bürger:innen einzubinden. Ein Punkt, der auch Carla Hustedt wichtig ist: „Wir dürfen die Zivilgesellschaft nicht vergessen. Die ist in Diskussionen und Gremien oft nicht vertreten.“

Ahrend, zugleich Geschäftsführer des Technologie- und Gründerzentrums Darmstadt HUB31, war nie um Beispiele dafür verlegen, wie in der Region Digitalisierung zu Nachhaltigkeit beiträgt. Neben vielen anderen nannte er das Darmstädter Start-up Etalytics, das auf die Energieeffizienz von Rechenzentren zielt: „Die schaffen 40 Prozent Einsparung ohne neue Hardware – nur durch kluge Informatik!“

Die Folgen des Silicon-Valley-Kapitalismus

„Aber kann es eine nachhaltige Digitalisierung überhaupt geben?“, fragte Dr. Kirsten Mensch von der Schader-Stiftung, die die Runde gemeinsam mit Prof. Dr. Thomas Döring von der h_da moderierte, Prof. Dr. Torsten Schäfer. „Nein, nicht, solange wir unsere Denkweise nicht hinterfragen und ändern“, sagte der Umweltjournalist und Journalismus-Professor von der h_da. Er kritisierte den „Silicon-Valley-Kapitalismus“ und Innovations-Fetischismus, in dem bestehende Produkte nichts wert seien und unentwegt von Neuem abgelöst werden müssten. „Warum braucht es ständig Updates? Früher waren Produkte auf Nachhaltigkeit ausgelegt“, gab er zu bedenken. „Diese auf ständiges Wachstum ausgerichtete Denkweise richtet enormen Schaden an!“

Carla Hustedt warnte vor überzogenen Erwartungen: Die Digitalisierung alleine könne kein gesellschaftliches Problem lösen – aber ein Baustein dabei sein. Und: „Es kommt darauf an, was man aus den Möglichkeiten macht, wie man sie nutzt.“ Wie der Weg in eine nachhaltige Gestaltung der Digitalisierung aussehen könnte, hatte Carla Hustedt bereits am Ende ihres Vortrags entlang von fünf Punkten skizziert: Erstens das Problemverständnis durch weitere Forschung schärfen und zweitens eine wirksame Kontrolle über relevante Prozesse und Systeme installieren. Drittens müssten wir alle Verantwortung übernehmen und eine nachhaltige Digitalisierung einfordern („Wo es keine Abnehmer gibt, wird es keine Produzenten geben“). Als vierten Punkt nannte Hustedt die gezielte Förderung einer gemeinwohlorientierten Nutzung digitaler Technologien, konkret: „Alternativen zu bestehenden Monopolen ermöglichen“. Und schließlich: „Bildung, Bildung, Bildung“.

Alltagstaugliche Tipps

Gerade die Antworten auf die Fragen des Live- und Online-Publikums gegen Ende des Abends machten Hoffnung, dass das Vorhaben gelingen kann. Nach konkreten Tipps gefragt, wie der und die Einzelne digitale Technik nachhaltig nutzen könne, wussten alle auf dem Podium etwas zu sagen. Zum Beispiel: Elektronische Geräte länger nutzen oder aufbereitete statt neuer kaufen, Smartphone-Displays im Schwarz-Weiß-Modus betreiben, das datenintensive Werbe-Tracking von Apps ausschalten („Datenschutz ist gleich Klimaschutz“) oder Videos nicht in maximaler Auflösung streamen – und gemeinsam statt alleine schauen.

Mehr zum 4. h_da-Dialog-Forum

Weitere Infos, ergänzende Tipps, Quellen etc. gibt es hier.