Erst virtuell, jetzt vor Ort: 24 Maschinenbau-Studierende drei europäischer Partnerunis der h_da waren eine Woche lang in Darmstadt zu Gast für gemeinsame Experimente und Exkursionen, nachdem sie zuvor ein Semester hindurch im Rahmen des „EUt+ Blended Intensive Programme“ ein Online-Seminar besucht haben. Erstmals an der Hochschule Darmstadt organisiert und hoch gelobt, ist die nächste Lehrveranstaltung im europäischen Verbund schon anvisiert.
Von Alexandra Welsch, 3.7.2023
Busse fahren ab, Straßenbahnen rollen herbei, Fahrräder radeln quer über das Pflaster, dazwischen wuseln Fußgänger herum: Wie ein Wimmelbild der Urbanität liegt der Luisenplatz im Herzen Darmstadts. Es ist Teil dieses belebten Orts, dass hier Menschen aus vielen Nationen unterwegs sind, diverse Sprachen erklingen. Und an diesem Montagvormittag kommen noch Gäste aus Rumänien, Lettland und Frankreich dazu. Sie sind Studierende europäischer Partneruniversitäten der Hochschule Darmstadt, die bei einer Stadtführung erste Bekanntschaft mit der Südhessen-Metropole machen. Und wie Stadtführerin Petra Wochnik zu Beginn deutlich macht, sind sie hier goldrichtig: „Darmstadt is a city of science, this is a very international place, we are very much into future and digitalisation.“ Sie sind hier in einer internationalen Wissenschaftsstadt zu Gast, die stark Richtung Zukunft und Digitalisierung blickt.
Nicht nur deswegen weiten sich Horizonte unter den jungen und Besuchern: Sie sind nach Darmstadt gekommen zur abschließenden Woche des „Blended Intensive Programme“ (BIP), das die h_da erstmals im Rahmen der Allianz EUt+ mit europäischen Partneruniversitäten organisiert hat. 24 Maschinenbau-Studierende der Riga Technical University in Lettland, Technical University Cluj-Napoca in Rumänien, Université de Technologie Troyes in Frankreich, der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) sowie der h_da haben ein Semester lang gemeinsam an einem wöchentlichen Online-Kurs zum Thema „Material Modelling – Testing and Parameter Identification“ teilgenommen. Nun kommen sie zu einer intensiven Präsenzwoche zusammen voller Laborarbeit, Exkursionen und Begegnung.
„Den Austausch fördern und Auslandserfahrung ermöglichen“
„Ziel ist, den Austausch der Studierenden zu fördern“, erläutert Professorin Brita Pyttel vom Fachbereich Maschinenbau und Kunststofftechnik. Sie hat den Kurs und die Woche zusammen mit ihrem Mann Professor Thomas Pyttel von der THM in Friedberg maßgeblich konzipiert und organisiert. Bei den BIPs handelt es sich um eine neue Programmart der Erasmus-Austauschangebote, die es seit 2021 gibt und bewusst niedrigschwellig ansetzt: „Um eine gewisse Auslandserfahrung zu ermöglichen, sollte man kürzere Einheiten anbieten – und eine Woche kann man leichter im normalen Studienalltag realisieren als beispielsweise ein ganzes Semester“, fasst die Professorin die Intention zusammen. Denn sie weiß: „Es gibt große Hürden für Studierende, länger ins Ausland zu gehen.“ Es koste Geld und Organisation. Hinzu kämen Sprachbarrieren, denn nur wenige Lehrveranstaltungen in Deutschland würden auf Englisch angeboten.
„Ich fand das eine interessante Gelegenheit“, erzählt Edward Wagner von der Uni Cluj-Napoca am Rande der Stadtführung. Ein ganzes Semester ins Ausland zu gehen, sei herausfordernd, eine Woche dagegen machbar. Von dem Online-Kurs nimmt der zwanzigjährige Bachelorstudent schon eine Menge mit: Gut gefallen haben ihm die vielen digitalen Anteile: „Und das ist wohl die Zukunft des Ingenieurwesens.“ Amanda Arvizu, ebenfalls 20 Jahre und aus Riga, lobt vor allem die starke praktische Ausrichtung: „In Darmstadt setzen sie sehr praxisbezogen an, anhand konkreter Beispiele aus dem Alltag, das finde ich toll!“ Und Harman Kalsi, internationaler Student aus Indien an der h_da, schätzt neben der fachlichen Vertiefung in Werkstofftechnik vor allem, dass der Kurs konsequent auf Englisch abläuft.
Ohren zuhalten beim Materialtest im Labor
Im Labor knallt’s. Immer wieder. Im Souterrain des Maschinenbaugebäudes steht am Donnerstag eine Traube Studierender mit Schutzbrillen vor Brita Pyttel und schaut gebannt auf die schwere Prüfmaschine neben ihr. Dort ist eine Aluminiumprobe eingespannt. Brummend zieht das mannshohe Gerät an beiden Enden: drei, vier, fünf Tonnen… Immer stärker wird die am Metall ziehende Kraft, wie der Monitor daneben anzeigt. Die Kurve des Diagramms dazu flacht zunehmend ab. „Achtung“, mahnt die Professorin, alle halten sich die Ohren zu. Dann ein dumpfer Knall – der Werkstoffprobe ist in zwei Teile gebrochen. Die Diagrammkurve ist hart abgeknickt. Und sieht ganz anders aus als die aus dem vorherigen Test mit einer Probe aus Gusseisen, auch wenn sie ebenso mit einem „Peng“ abknickte.
Mit rauchenden Köpfen sitzt nicht weit davon in einem Seminarraum des Studierendenhauses die andere Hälfte der Teilnehmenden und blickt konzentriert auf Laptopbildschirme. Bei der Gruppenarbeit unter Leitung von Thomas Pyttel geht es darum, ausgehend von den Messdaten aus den Werkstoffversuchen (Testing) das Materialverhalten mit verschiedenen Modellen (Material Modelling) numerisch zu beschreiben. Dazu müssen die Studierenden charakteristische Parameter ermitteln (Parameter Identifikation). Dazu nutzen sie die freie Programmiersprache Python, in der Pyttel sie zuvor geschult hat. Erst wenn das richtige Modell verwendet wird und die Parameter stimmen, können die Studierenden das Verhalten der Werkstoffe realitätsnah im Computer visualisieren und für die weitere Anwendung verwenden.
Müsliriegel als Nervennahrung
Als Nervennahrung stapeln sich auf dem Tisch vorne mehrere Schachteln Müsliriegel. Während Edward versunken vor seinem Rechner sitzt, besprechen seine Nachbarn mit Blick auf die Zahlen und Spalten vor sich mögliche Lösungsschritte. Amanda hat indessen ihren Laptop zum Professor nach vorne getragen und lässt sich von ihm nochmal erklären, wie man durch Veränderung von Zahlen in dem Programm den Kurvenverlauf der Messdaten dem des Modells angleicht. Alles auf Englisch, versteht sich. „Do you understand?“, fragt Pyttel nach einer ganzen Erklärweile, und Amanda nickt: „Yeah, thank you.“
Fast am Ende der Intensivwoche angekommen, ist die junge Frau aus Riga ein bisschen müde und zugleich schlauer. „Diese Art der Programmierung ist eine komplett neue Sprache für mich“, stellt sie fest. „Aber es ist ein interessantes Tool, es strukturiert Dinge anders.“ Auch Thomas Pyttel ist jetzt erleichtert. „Ich habe Freude daran zu sehen, wie die Studierenden hier Fortschritte machen“, sagt der Maschinenbau-Professor. Am Montag noch sei er am Ende des Tages unsicher gewesen und habe befürchtet, dass die Materie zu kompliziert ist. „Aber jetzt habe ich das Gefühl, das klappt.“
Firmenexkursionen als Highlight
Als ein Highlight der Besuchswoche erleben viele die Exkursionen zu Unternehmen. Auf dem Programm standen etwa das GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung im Norden Darmstadts und die Maschinenbaufirma Zwick/Roell in Ulm. „Es war sehr interessant, Anwendungen zu sehen von Ansätzen, die wir gelernt haben“, sagt Valeriu Barbut von der rumänischen Partner-Uni. Auch Maha Oba von der Uni Troyes fand das klasse. Und schwärmt: „Das ist so ein großartiges Projekt.“ Vom Austausch mit den Professoren, über das Experimentieren bis zum Modellieren mit Python – „Ich habe so vieles gelernt.“ Für die internationale Studentin aus Marokko ist es zugleich die erste Auslandserfahrung. Und sie stellt fest, dass sie das auch jenseits des Fachlichen weitergebracht hat. „Man merkt, wie Wissenschaft uns vereint.“ Gerne würde sie das häufiger erleben.
Es sind auch diese Effekte, auf die das BIP abzielt. „Wir haben in diesem Projekt so viele schöne Synergien“, unterstreicht Friederike Luther vom International Office der h_da als Mitorganisatorin. So lernten sich die Partnerhochschulen nochmal besser kennen. „Die Studis weiten ihren Horizont, das sind prägende Erfahrungen.“ Ein ganzes Paket an Softskills komme da zusammen. Zudem erhielten sie am Ende der qualitätsvollen Fachveranstaltung europäische Credit Points, die zum Abschluss zählten. Und auch die h_da bringe das Ganze weiter auf ihrem Weg zunehmender Internationalisierung.
Kein Wunder, dass auch der künftige h_da-Vizepräsident für Studium, Lehre und studentische Angelegenheiten, Matthias Vieth, voll des Lobs ist: „Dies ist ein Beitrag zur Idee der europäischen Integration – sozial, ökonomisch wie akademisch“, betonte er bei der Begrüßung der Gruppe. Die EUt+-Lehrveranstaltung zeige hervorragend, was alles möglich sei, wenn Hochschulen intensiv zusammenarbeiten. Schon jetzt steht fest: Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein. Nächstes Jahr wird der Kurs wieder online stattfinden, die Intensivwoche aber an einer anderen Partnerhochschule. Und ein weiteres BIP-Projekt ist für 2024 schon in Planung, dann vom Fachbereich Media in Kooperation mit Partnerunis in Zypern und Dublin.
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Christina Janssen
Wissenschaftsredakteurin
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