„Ein Boost für die gemeinsame Forschung“

30 Forschende aus dem Bereich Nanotechnologie kamen im Mai an der Hochschule Darmstadt zusammen, um ihre Kooperation innerhalb der „European University of Technology“ (EUT+) auf eine neue Basis zu stellen: An dem zweitägigen Workshop nahmen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von sieben der insgesamt neun EUT+-Partnerhochschulen teil. Ziel ist die Gründung eines gemeinsamen „European Research Institute“.

Von Christina Janssen, 18.6.2024

Auf dem Programm des Treffens, das Professor Frank Schael und Professorin Christina Graf vom Fachbereich Chemie- und Biotechnologie der h_da im Rahmen der „EUT+ Darmstadt Week“ organisiert hatten, standen ein wissenschaftlicher Workshop, eine Postersession, Laborführungen und Exkursionen. Und – nicht minder wichtig: das gegenseitige Kennenlernen, der persönliche Austausch innerhalb der Gruppe. „Endlich“, freut sich Frank Schael und ist damit nicht allein, denn das „Nano-Treffen“ in Darmstadt war das erste im Präsenzformat. „Es war großartig, die Kolleginnen und Kollegen persönlich zu treffen statt virtuell“, bestätigt Professor Catalin Popa, Experte für Biomaterialien und –technologien der Technical University Cluj-Napoca in Rumänien. „Der Workshop war eine tolle Gelegenheit, sich menschlich wie fachlich besser kennenzulernen.“

Und das zeigte Wirkung: Für ihre weitere Zusammenarbeit haben sich die Forschenden einiges vorgenommen. Sie möchten die Möglichkeiten einer engeren Verzahnung der Lehre auf Bachelor- und Masterniveau im EUT+-Verbund ausloten. „Auf Masterniveau könnte absehbar ein gemeinsamer Studiengang gegründet werden“ glaubt Schael. Eine weitere Idee ist die Gründung einer Graduiertenschule nach dem Vorbild der Université de technologie de Troyes, die im Bereich Nanotechnologie breit aufgestellt ist. Das Treffen, das von Doktorand Benjamin Steup mitorganisiert wurde, sei hierfür ein guter Startpunkt gewesen und die Umsetzung bei genauerer Betrachtung sogar einfacher als zunächst gedacht, berichtet Frank Schael: „Da werden sich Lösungen finden.“

Gründung eines „European Research Institute“ im Blick

EUTINN lautet der Name der engagierten Wissenschaftlergruppe, die nun in Darmstadt durchgestartet ist. Das Kürzel steht für „European University of Technology Institute of Nanomaterials and Nanotechnologies“. Der nächste Schritt soll die formale Institutsgründung sein. Entsprechende Pläne wurden in Darmstadt konkretisiert, das EUTINN-Team ist startklar und wartet lediglich noch auf die Klärung letzter Formalitäten. Ein komplexer Prozess, da für die Hochschulallianz EUT+ komplettes Neuland – wie so Vieles auf dem Weg zu einer „Europäischen Universität“, die die neun Partnerhochschulen aus Spanien, Frankreich, Italien, Irland, Zypern, Bulgarien, Rumänien, Lettland und Deutschland bilden wollen. Die Gründung gemeinsamer Forschungsinstitute ist dabei ein wichtiger Baustein, denn sie erleichtern die Beantragung von Drittmitteln, die Mobilität von Forschenden und die Nutzung von Ressourcen über mehrere EUT+-Standorte hinweg.

Für h_da-Professorin und Gastgeberin Christina Graf ist genau dies ein Plus an EUT+. Für die Forscherin, die sich auf die Synthese und die Charakterisierung, also die exakte Beschreibung der physikalischen und chemischen Eigenschaften anorganischer Nanopartikel spezialisiert hat, eröffnen sich durch die Mitgliedschaft in der Hochschulallianz neue Optionen: „Für mich ist es sehr nützlich, dass es gerade zur Nanotechnologie ein EUT+-Institut geben wird, denn an der h_da selbst befassen sich mit diesem Thema nur wenige. Zwar gibt es mit Kolleg*innen aus anderen Fachbereichen Anknüpfungspunkte für gemeinsame Antragstellungen und Kooperationen, aber EUTINN erweitert meine Möglichkeiten deutlich. In Troyes beispielsweise arbeiten viele Leute in diesem Bereich und die Labore sind dort sehr gut ausgestattet.“

Hokus Lotus… und viele weitere praktische Anwendungen

Die EUTINN-Forschenden möchten solche Synergie-Effekte innerhalb von EUT+ nutzen. Was genau aber sind „Nanomaterialien“ und wofür werden sie gebraucht? Die Antwort von Professor Frank Schael: „Wir sprechen hier über Partikelgrößen von ein bis hundert Nanometern, also 10-9 Meter bis 10-7 Meter. Das können winzige Kügelchen, Würfel, Sternchen oder strukturierte Oberflächen mit ‚Bergen und Tälern‘ in dieser Größenordnung sein.“ Bekanntester Anwendungsfall sind Materialien mit „Lotuseffekt“: Fassadenfarben, die Wasser und Schmutz abperlen lassen, oder beschichtete Textilien, denen weder Rotwein noch Tomatensauce etwas anhaben kann. Das Prinzip ist aus der Pflanzenwelt, bei den sich selbst reinigenden Blättern der Lotuspflanze, abgeschaut und findet – von der Tischdecke bis zur Satellitentechnik – in unzähligen Bereichen Anwendung.

Auf dem Darmstädter EUTINN-Treffen gab es in vier Sessions 16 Vorträge zu aktuellen Forschungsprojekten. Das Spektrum der Themen reichte von der Grundlagenforschung bis hin zur Entwicklung neuer Anwendungen. Während ein Team seine Arbeiten zur quantenchemischen Beschreibung von Nanopartikeln vorstellte, ging es in anderen Beiträgen um den Einsatz von Nanopartikeln in der Medizin – als „Transportvehikel“ für medizinische Wirkstoffe im menschlichen Körper oder als Kontrastmittel bei MRT-Untersuchungen. Nanomaterialien werden als Hightech-Beschichtungen eingesetzt, etwa in der Raumfahrt, um Satelliten von kosmischer Strahlung abzuschirmen. Auch die Herstellung von Metall-Legierungen mit maßgeschneiderten Eigenschaften im Hinblick auf Widerstand und Leitfähigkeit waren ein Thema. Und dies sind nur einige wenige Beispiele. „Das war ein tolles wissenschaftliches Programm und hat die Erwartungen der Teilnehmenden weit übertroffen“, stellt Organisator Frank Schael fest. Die große Bandbreite an Themen zeige, wie viele Forschende innerhalb von EUT+ sich mit Nanotechnologie beschäftigen. „Mit der EUTINN-Initiative sind wir also zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“

Bier, Brezeln – und große Neugier

Neugierde und Offenheit auch bei den Laborführungen und der Postersession mit (alkoholfreiem) Bier und Brezeln am h_da-Fachbereich Chemie- und Biotechnologie: „Es gab Rückfragen, Diskussionen und einen lockeren Austausch in kleinen Gruppen“, berichtet Gastgeber Schael. Insbesondere die Möglichkeiten im „Technikum“, dem Großlabor des Fachbereichs, hätten die Gäste beeindruckt. Desgleichen die vielfältigen Möglichkeiten der Hochschule Darmstadt, mit Industriepartnern zusammenzuarbeiten – ein besonderes Merkmal der h_da als Hochschule für Angewandte Wissenschaften, deren Lehrende in der Regel einige Jahre in der Industrie arbeiten, bevor sie an die Hochschule wechseln, und entsprechend enge Kontakte in ihre jeweiligen Branchen pflegen.

Ein „Book of Abstracts“ zum Workshop wurde allen Teilnehmenden ausgehändigt und ist als reguläre Buchveröffentlichung in der Vorbereitung  – ein Souvenir der besonderen Art. „Wir haben von allen Teilnehmenden positives Feedback bekommen“, berichtet Frank Schael. Dass so viele in Präsenz dabei sein konnten, ist alles andere als selbstverständlich. Die Zusammenarbeit innerhalb einer solchen europäischen Hochschulallianz sei bereichernd, aber auch herausfordernd, erklärt Professor Christophe Couteau, Nanotechnologie-Experte von der Technischen Universität in Troyes, der die EUTINN-Gruppe koordiniert: “EUT+ ist groß, wir können uns nicht oft persönlich treffen, denn alle sind ziemlich beschäftigt – und EUT+ kommt dann noch ‚on top‘. Da ist es nicht so einfach, neue Kooperationen ans Laufen zu bringen.“ Der große Vorteil: Die Mitglieder der Gruppen ergänzen sich mit ihren fachlichen Hintergründen, Spezialisierungen und der Forschungsinfrastruktur an den einzelnen Hochschulen hervorragend. Dadurch, so Catalin Popa aus Rumänien, würden die einzelnen Forschungsgruppen weiter gestärkt: „Die Zusammenarbeit in EUTINN ist eine großartige Möglichkeit, eng zusammenzuarbeiten und beispielsweise auch Equipment gemeinsam zu nutzen.“

Ein ‚Boost‘ für künftige gemeinsame Projekte

Auch Christophe Couteau aus Troyes sagt, durch das Treffen habe man nun den Überblick, welche Gruppe an welchen Themen arbeite. Eine gute Grundlage dafür, weitere gemeinsame Forschungsanträge auf EU-Ebene zu stellen. „Außerdem haben wir Ideen entwickelt, wie wir unsere Kooperation durch gegenseitige Forschungsaufenthalte unserer PhD-Studierenden und die gemeinsame Betreuung von Dissertationen ausbauen können.“ Catalin Popa aus Rumänien, dessen Hochschule mit mehr als 22.000 Studierenden zu den großen in der EUT+-Allianz zählt, betreut bereits eine Dissertation in Kooperation mit Troyes. Unter den Darmstädter Kolleginnen und Kollegen hat er jetzt ebenfalls Partner für konkrete Vorhaben identifiziert. Sein Fazit: „Das Treffen war ein Boost für künftige gemeinsame Forschungsvorhaben.“

Gastgeberin Prof. Dr. Christina Graf kann das nur bestätigen: „Es wurden gleich in der Folgewoche von zwei Teams aus Troyes Proposals für zwei Kurzprojekte eingereicht, an denen die h_da beteiligt ist.“ Darauf aufbauend sollen dann gemeinsame Forschungsanträge gestellt werden. „Und auch mit einem Kollegen aus Dublin wollen wir zusammenarbeiten“, berichtet die Forscherin. „Wir haben im Anschluss an den Workshop Mails und Ideen ausgetauscht und möchten diese Kooperation in einen neuen DFG-Antrag einbinden, den wir in einigen Monaten einreichen werden. Ohne den Vortrag des Kollegen hier in Darmstadt wären wir nicht auf diese Idee gekommen.“

Ganz nebenbei loben die Gäste auch die perfekte Organisation des Treffens und die Exkursion zum GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung, einer von mehreren hochkarätigen Forschungseinrichtungen in der Wissenschaftsstadt Darmstadt. Nicht zu vergessen: „Die beeindruckende Jugendstiltradition der Stadt.“ So viel Lob beflügelt. Und schon bald könnte die EUTINN-Gruppe einen Grund zum Feiern haben, hofft nicht nur Christophe Couteau: „Unser Treffen war ein großer Erfolg. Jetzt ist in greifbare Nähe gerückt, dass EUTINN offiziell ein EUT+ Research Institute wird.“ Dann dürfte das EUTINN-Team die Korken knallen lassen. Schampus- oder Rotweinflecken – dank Nanotechnologie: Fehlanzeige.

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Christina Janssen
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