EUT Simulation Game European Parliament

Europa ist an einem Scheideweg und erlebt derzeit die größte Krise seit 80 Jahren. Antidemokratische Parteien sind im Aufwind, politisch motivierte Straftaten nehmen zu. Der Demokratiebildung kommt in diesen Zeiten eine besondere Bedeutung zu. Dem trägt auch die „European University of Technology“ (EUT+) Rechnung, die vom 3. – 6. Juni auf dem Campus der Hochschule Darmstadt zu einem intensiven Arbeitstreffen zusammenkam: Für einen Tag debattieren knapp 40 Studierende aus Frankreich, Zypern und Deutschland in einem Simulationsspiel als Europaabgeordnete über den europäischen „Green Deal“.
Von Annette Wannemacher-Saal, 6.6.2025
Der Himmel ist blau-weiß, das Mobiliar des neu gestalteten Senatssaals der Hochschule Darmstadt ist es auch. Von dort dringt am Donnerstagmorgen internationales Stimmengewirr nach draußen – und international geht es auch bei dem Projekt „Werde Europa-Abgeordneter“ im Rahmen der „Darmstadt-Woche“ der European University of Technology auf dem h_da-Campus zu. „Unser Senatsaal ist ein Hingucker, es ist alles brandneu“, begrüßt h_da-Präsident Arnd Steinmetz die Studierenden aus Frankreich, Zypern und Darmstadt, „und das für Sie!“ Während des EUT+- Simulation Games verwandelt sich der Raum mit Blick auf die Frankfurter Skyline für einen Tag in den Plenarsaal des Europäischen Parlaments: Es gibt ein Rednerpult, einen Tisch mit den 27 Flaggen der EU-Mitgliedsländer, Tischgruppen für die sechs Fraktionen, Besuchersessel und große Fotografien aus dem EU-Parlament in Straßburg an der Wand.
Viel Arbeit vor einer „first edition“
Die Idee für die Veranstaltung hatten Studierende der Partnerhochschule in Troyes, „und wir alle haben uns von dieser Idee begeistern lassen“, sagt Steinmetz. Freilich sei eine intensive Vorbereitung nötig gewesen, wovon nicht nur Mit-Initiatorin Dorina Kaiser von der h_da ein Lied singen kann. Aber so sei das nun mal bei einer „first edition“. Auch die Organisatoren, h_da-Professorin Anja Hentschel und h_da-Professor Andreas Haidvogl vom interdisziplinären Studienbereich Sozial- und Kulturwissenschaften (SuK), sind froh, dass die Veranstaltung nun mit dem Planspiel ihren Höhepunkt erreicht – und sich die Vorbereitung in Form von Online-Seminaren seit März 2024 gelohnt hat.
Szenenapplaus und hitzige Diskussionen
„Die Pitches hatten ein fantastisches Niveau“, lobt Haidvogl die auf sieben Minuten begrenzten Kurz-Präsentationen zum Thema Energie, die – wie die komplette Veranstaltung – in fließendem Englisch liefen. Wer mag ihm da widersprechen? Was die Studierenden der drei EUT+-Hochschulen an diesem Tag bieten, wie gekonnt sie debattieren, argumentieren und sich präsentieren, ist eine Freude nicht nur für die Dozenten. Szenenapplaus gehört genauso dazu wie Zwischenrufe oder hitzige Diskussionen in den Pausen. Auch Klaus Pendl, Lehrbeauftragter mit langjähriger Erfahrung bei der Europäischen Kommission in Brüssel, der an diesem Tag die Rolle des Sitzungspräsidenten übernimmt und immer mal seine Glocke bedienen muss, wenn’s nach einer Pause nicht still werden will im Saal, ist voll des Lobes: „Ein Eisbrecher“ sei das Projekt, und die Studierenden hätten während der Debatte ihre politischen Standpunkte überzeugend vertreten.
Diese sind nach dem langen Tag ganz und gar nicht erschöpft, sondern freuen sich nach einer denkbar knappen Abstimmung über eine Resolution zum Thema Energie – am Ende ist eine Stimme der Studierenden ausschlaggebend, gewichtet nach den Stimmen im EP erhält der Antrag der Konservativen 303 Ja-Stimmen und 281 Nein-Stimmen – auf den Ausklang auf dem Darmstädter Schlossgrabenfest. Zu feiern, das haben sie sich verdient, nachdem sie ein Semester lang der Online-Veranstaltung „Become a member of the European Parliament for a day“ gefolgt waren und sich nun eine Woche lang an der h_da auf die Debatte vorbereitet hatten. Ausgewählt wurden sie aus einer großen Gruppe an Bewerbern aller Fachbereiche an den drei beteiligten Partnerhochschulen, und so sind angehende Juristen ebenso vertreten wie Ingenieure oder künftige Wirtschaftspsychologen.
Wirtschaftspsychologie ist das Studienfach von Alexander, der für die Partei „Renew Europe“ am Rednerpult steht und fordert: „The time to act is now!“. Es sei cool, sich in die Rolle eines Politikers hineinzudenken, sagt der h_da-Student, sich Gedanken anzueignen und zu vertreten – gerade, wenn es nicht die eigenen sind. Die intensive Vorbereitung habe sich bewährt, zwei Tage lang hätten sie in Sessions geübt, wie man präsentiert, rhetorische Mittel einsetzt, selbstbewusst auftritt und vor allem eines: „Zuhören und verstehen wollen, was der andere sagt.“
Wichtig ist grenzüberschreitendes Denken
Doxia und Maria von der CUT in Zypern loben neben dem inhaltlichen auch den kulturellen Austausch, den ihnen das EUT+ -Projekt ermöglicht. „Wir stehen alle vor den gleichen Herausforderungen, haben in jedem Land aber andere Voraussetzungen, damit umzugehen“, sagt Doxia. „Daher ist es so wichtig, grenzüberschreitend zu denken“, ergänzt Maria, die im Planspiel zur „Left Group“, der Linken Fraktion, gehören. Diese vertritt auch Anja, die an der Hochschule Informationsrecht studiert und während des Projekts ein Gefühl entwickelt hat, „nicht nur als Deutsche zu denken, sondern als Europäerin“. Man müsse sich als Parteien zusammenraufen – das sei auch beim „Green Deal“ gelungen. „Aber man darf niemals seine eigenen Werte über den Haufen werfen.“
Die eigenen Werte über den Haufen werfen, das mussten auf jeden Fall die sechs Mitglieder der Partei „Patriots for Europe“ – eine rechtsextreme Fraktion im EU-Parlament (inzwischen die drittgrößte). Sie fordern die Revision des Green Deal, eine Meinung, die Nathan Ramecourt aus Troyes am Donnerstag vertreten muss. Er spielt seine Rolle exzellent, provoziert die Parlamentarier mit rechtsextremen Äußerungen, muss sich anhören, er solle lieber Schauspieler als Politiker werden. Er grinst und nimmt es gelassen. In Troyes studiert er Computer Engineering – „da liegt der Fokus nicht auf Politik“, sagt er. Daher sei das Projekt für ihn eine Bereicherung.
Europaabgeordneter für einen Tag: Das EUT+ Simulation Game
Professoren betreten mit dem Projekt komplettes Neuland
Dies hören Anja Hentschel und Andreas Haidvogl natürlich gerne, denn sie haben bis zum Schluss die Luft angehalten, ob das zeit- und arbeitsintensive Projekt auch ein Erfolg – und von den Studierenden so lebendig umgesetzt wird. Als im April 2024 eine Anfrage aus Frankreich gekommen sei, „haben wir etwas blauäugig Ja gesagt“, erinnert sich Hentschel. „Wir haben komplettes Neuland betreten, kannten die Kollegen aus Frankreich nicht.“ Ein Setting wie Vorlesung oder Seminar kam nicht infrage, ein Positionspapier musste geschrieben werden. Und dass 6000 Euro aus dem EU-Förderprogramm Erasmus+ als Zuschuss für das „Blended Intensive Programme“ (BIP) die Kosten nicht decken würden, war ebenfalls klar; doch da hat die Hochschulleitung finanziell unterstützt – auch mit großem Einsatz von Manpower bzw. Womanpower: Die Fäden für Organisation, inhaltliche Konzeption und Umsetzung des Projekts liefen von Beginn an bei Präsidiumsreferentin Dorina Kaiser von der h_da zusammen. „Unser Ziel war es, junge Menschen im Sinne des europäischen Gedankens zusammenzubringen und sie Europa hautnah erleben zu lassen“, sagt sie. „Es ist schön zu sehen und eine Motivation fürs nächste Mal, dass das funktioniert hat.“
Im Prinzip ein Friedensprojekt
Dass alles so perfekt läuft, alle ihre Rollen gefunden haben und sich respektieren – das freut die beiden Lehrenden. „Im Prinzip ist das ein Friedensprojekt“, schlägt Haidvogl einen großen Bogen: Verhandlungsprozesse einüben, in die Rolle eines anderen hineinschlüpfen, aus nationalen Sichtweisen rauskommen, zuhören – all das haben die Studierenden aus Zypern, Frankreich und Deutschland umgesetzt. „Das ist ein Kick-Off, eine Schablone, die wir nun zirkulieren lassen an alle EUT+-Hochschulen“, schaut Haidvogl nach vorn. „Denn Demokratie ist jeden Tag neu zu entwickeln.“
Neun Hochschulen zählen zu dem Verbund
Zypern und Frankreich ziehen in den beiden nächsten Jahren nach, das steht schon fest. Und dann werden die anderen sechs Hochschulen folgen, die zum Verbund EUT+ zählen: RTU in Lettland, UPCT in Spanien, UTCN in Rumänien, TUS in Bulgarien, TU Dublin/Irland, UNICAS in Italien. Dass es dafür die nötigen finanziellen Mittel gibt, darauf dürfen die Hochschulen hoffen; schließlich hatte HMWK-Staatssekretär Christoph Degen am Donnerstag bei der Begrüßung gesagt, das Simulation Game solle zu einer jährlichen Veranstaltung werden. „Das wollen wir uns nicht zweimal sagen lassen, oder?“, hatte Präsident Steinmetz den Staatssekretär prompt beim Wort genommen. Während der Darmstadtwoche ist die EUT+-Allianz einen großen Schritt nach vorne gekommen auf dem Weg, die allererste „echte“ Europäische Universität zu werden. „Mit einheitlichen Strukturen und der Möglichkeit, dass junge Menschen problemlos an neun europäischen Standorten studieren können“, schaut h_da-Präsident Steinmetz optimistisch in die Zukunft.
Kontakt zur h_da-Wissenschaftsredaktion
Christina Janssen
Wissenschaftsredakteurin
Hochschulkommunikation
Tel.: +49.6151.533-60112
E-Mail: christina.janssen@h-da.de
Fotografie: Samira Schulz, Jens Steingässer

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