Das Pariser Klimaschutzabkommen sieht vor, CO2-Emissionen aus fossilen Quellen erheblich zu reduzieren. Mit grünem Strom betriebene Elektroautos sind das Gebot der Stunde. Parallel zur E-Mobilität forschen Wissenschaft und Automobilhersteller jedoch auch an synthetischen Kraftstoffen, sogenannten E-Fuels. Auf ihnen ruht die Hoffnung, die Autos, die schon vor unserer Haustüre stehen, klimafreundlich weiterfahren zu können. Im E-Fuel-Engine-Labor des Fachbereichs Maschinenbau forscht h_da-Professor Gerald Ruß mit seinem Team an dieser neuen Generation alternativer Kraftstoffe.
Von Astrid Ludwig, 3.11.2021
Der Forschungsmotor wird hinter verschlossenen Türen stehen. Fenster gewähren einen Blick auf das Versuchsobjekt. Im Aufbau ist ein Ein-Zylinder, voll verkabelt, mit Druck- und Temperaturfühlern sowie Emissionsmesstechnik ausgestattet. Von außen steuerbar lässt sich ein Umfeld simulieren und Zyklen fahren wie im realen Leben auf der Straße. Der Zylinder soll aus Glas sein. Verbrennungsvorgänge werden so jederzeit sichtbar sein, von Kameras visualisiert und dokumentiert. Hier kann künftig genau nachverfolgt werden, wie Kraftstoff sich mit Luft mischt und verbrennt, welche Inhaltsstoffe wie reagieren und welche Emissionen sie freisetzen. Die Räume auf dem Campus Schöfferstraße bezeichnet Professor Gerald Ruß scherzhaft als seine „Kraftstoff-Küche“. In dem neuen, über QSL-Mittel finanzierten Labor, forschen und experimentieren er und sein studentisches Team an der Mischung neuartiger Kraftstoffe.
E-Fuel-Engine-Lab heißt heute, was sich vormals Labor für Verbrennungsmotoren nannte. Gerald Ruß lehrt und forscht seit 2003 an der Hochschule Darmstadt. Seine Lehrgebiete sind Kraft- und Arbeitsmaschinen, Wärmetechnik, Maschinenelemente und deren Konstruktionen. Der 56jährige Maschinenbauprofessor stammt aus der Praxis. Bei Rolls Royce hat er zuvor in der Triebwerks- und bei Opel in der Motorenentwicklung gearbeitet. Die aktuelle Debatte, die Elektromobilität fördert und Verbrennungsmotoren bannt, verfolgt er mit dem abwägenden Blick des Wissenschaftlers. „Nicht der Motor ist das Problem, sondern der Kraftstoff“, sagt er. Der erste Motor, den Nikolaus August Otto erfand, lief mit Bioethanol – damals noch ein geschlossener CO2-Kreislauf. Erst später wurde daraus ein Antrieb mit fossilem Brennstoff. Zum billigen Fortbewegungsmittel in der Auto-, Flug- oder Schiffsindustrie avancierte erdölbasierter Kraftstoff nämlich erst, als die Glühbirne das Lampenöl verdrängte. Der niedrige Preis sorgte dafür, dass lange keine Alternativen gesucht wurden. Der Druck auf Neuentwicklungen war gering und als er zunahm, wurde viel Geld in Katalysatoren und Filtertechnik investiert statt in einen sauberen Ersatz.
Ruß bemüht daher gerne ein Zitat von Wilhelm von Humboldt: „Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft“. Die Zukunft liegt für den h_da-Forscher in der Entwicklung eines synthetischen Kraftstoffes, der sauber verbrennt, bezahlbar ist, klimaneutral hergestellt wird und den Klimakiller CO2 einfängt. Der Klimawandel eröffne „die Chance, ein Gesamtsystem aus Motor und Kraftstoff zu entwickeln, das ökologisch und ökonomisch betrieben werden kann“, sagt er. Mit einem Antriebsmittel, mit dem auch die bereits existierende Autoflotte klimaneutral weiterfahren kann. Denn: Auch beim Aufbau einer neuen Elektro-Mobilitätsinfrastruktur entsteht viel CO2. Und: „Die meisten Autos laufen in Westeuropa fast 20 Jahre, werden dann vielleicht noch in Osteuropa oder Afrika weitergenutzt. Ziel muss daher sein, weltweit den CO2-Austoß durch Fahrzeuge zu reduzieren“, betont der Professor.
In der aktuellen E-Fuel-Forschung basieren synthetische Kraftstoffe zumeist auf grünem Wasserstoff, der mithilfe von regenerativem Strom per Elektrolyse aus Wasser hergestellt wird. Das Bundesverkehrsministerium hat ein Förderprogramm für erneuerbare Kraftstoffe aufgelegt. Bis 2024 stehen rund 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Auf klimaneutralen Sprit setzt jetzt auch der Sportwagenhersteller Porsche, der gemeinsam mit dem Bund, Siemens Energy sowie Erdölunternehmen ein Wasserstoffprojekt in Chile vorantreibt. In dem Projekt „Haru Oni“ soll mit günstigem Windstrom grüner Wasserstoff hergestellt werden. Mit CO2 zu synthetischem Methanol kombiniert, wird daraus E-Fuel, ein Gemisch aus verschiedenen Kohlenwasserstoffen. Weitgehend Klimaneutral, weil dafür schädliches Kohlenstoffdioxid aus der Luft gefiltert wird. „Angestrebt“, erläutert Gerald Ruß, „ist ein geschlossener Kreislauf zwischen dem Auspuff des Fahrzeugs, dem Einfang von CO2 in der Atmosphäre und der Kraftstoffherstellung.“ An Orten der Welt produziert, wo Wind und Sonne ausreichend billigen Strom liefern können, wird synthetischer Kraftstoff so auch preislich eine Alternative.
Der h_da-Experte arbeitet in seinem E-Fuel-Lab ebenfalls mit Autoherstellern zusammen. Das Team testet, welche synthetischen Kraftstoffe wie und in welcher Zusammensetzung in konventionellen Verbrennungsmotoren funktionieren können. Der Maschinenbauprofessor öffnet weitere Türen in seinem Labor. In einer Kühlbox wird der Motor mit dem Kraftstoff auf minus 35 Grad heruntergekühlt. Moderne Antriebsstoffe müssen eine Spannbreite von zweistelligen Minusgraden bis zu 60 Grad Hitze beherrschen. Auch die Flugzeugturbine eines A-320 steht hier. Ziel der Forschung ist es, den Wirkungsgrad des Motors zu verbessern und Emissionen zu senken.
Ruß experimentiert mit flüssigen Kohlenwasserstoffen in verschiedenen Kombinationen und er reduziert die Aromaten, die Hauptverursacher von Rußemissionen sind. Der synthetische Spritersatz muss die Anforderungen an die aktuell gültige Kraftstoffnorm erfüllen. Schon im laufenden Wintersemester will der Professor seinen Lehrbetrieb darauf umstellen und im Labor nur noch mit Stoffen arbeiten, die über 70 Prozent CO2-neutral sind. Potenzial, Kohlenstoffdioxid aus der Luft zu filtern und für die Produktion von E-Fuels zu nutzen, gibt es auch hier allerorten: in den Rauchgasen von Stahl- oder Zementbetrieben beispielsweise. In Hessen plant Infraserv eine Anlage, die CO2 aus der Luft holt.
Das Team um den Maschinenbauexperten vernetzt sich mit anderen Fachbereichen der Hochschule. Mit der Chemie- und Biotechnologie etwa. Dabei nähern sich die Wissenschaftler:innen der Fragestellung von der Produktionsseite. Wie lassen sich Synthese oder Abscheideprozesse klimafreundlich weiterentwickeln, wie besonders effizient Algen einsetzen. „Wir müssen jede Möglichkeit, jede Option nutzen. Wir müssen breit und offen denken, um Wege zu finden, den CO2-Kreislauf zu schließen“, appelliert Gerald Ruß.
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