Brainstorming mit dem Avatar

Digitale Tools haben während der Corona-Pandemie die Online-Lehre vorangetrieben. Videokonferenz-Tools wie BigBlueButton, Online-Sprechstunden, E-Lectures, Chats und Foren sind heute Standard im Hochschulalltag. Wie lassen sich weitere virtuelle Lernszenarien didaktisch sinnvoll in die Lehre einbauen? Damit befasst sich das Verbundprojekt „fuels – Future Learning Spaces“, das vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst mit 2,1 Millionen Euro gefördert wird. An der h_da sind die Fachbereiche Informatik und Media sowie die Abteilung Hochschuldidaktik maßgeblich beteiligt.

Von Astrid Ludwig, 26.6.2024

Brille auf und eintauchen in die virtuelle Welt. Was vor unseren Augen auftaucht, hat mit herkömmlichen Laboren, Studios oder Seminarräumen fast nichts mehr gemein. Eher mit einer Science-Fiction-Welt, in der wir uns an andere Orte beamen: Plötzlich stehen wir in einem Raum mit gedämpftem Licht. In der Luft schwebt eine Kamera, die unsere körperlosen Hände greifen und mit zwei Controllern, einer Art Joystick, bedienen können. Per Lichtstrahl lassen sich Türen öffnen – etwa zu einer Blumenwiese mit Bäumen vor azurblauem Himmel. Es ist ein 360-Grad-Panorama, in dessen Mitte die Statue eines griechischen Diskuswerfers steht. Wir können sie umrunden und aus allen Perspektiven und Blickwinkeln ablichten. Das Ergebnis des Foto-Shootings taucht sogleich zur Begutachtung in Bilderrahmen an den Wänden auf. Stimmen Belichtung, Perspektive und Tiefenschärfe? Wäre vielleicht eine griechische Säule im Hintergrund für die Bildkomposition von Nutzen, wie verändert das Licht der Scheinwerfer Schattenspiel und Atmosphäre? Wo früher ein kurzer Slot im oft ausgebuchten realen Fotostudio reserviert werden musste, lässt sich jetzt alles per Virtual-Reality-Brille zeitunabhängig und ausgiebig ausprobieren, verändern und optimieren.

Neue Technologien sollen Spaß machen und sinnvoll sein

Willkommen im Fotostudio der Zukunft – auf dem Mediencampus der Hochschule Darmstadt in Dieburg. Entwickelt und entworfen hat das virtuelle Studio Andreas Fuchs, damals Masterstudent für Digitale Medien und Angewandte Informatik, heute Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter der h_da im hessischen Verbundprojekt „fuels – Future Learning Spaces“. Dort arbeiten die Hochschule Darmstadt, die TU Darmstadt und die Frankfurter Goethe-Universität gemeinsam an der Entwicklung innovativer Anwendungen in der Lehre. Das Projekt wird vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst mit 2,1 Millionen Euro gefördert, rund 800.000 Euro davon gehen an die h_da.

VR-PhotoStudio - Virtual Reality Lern-Anwendung für die Fotografie-Ausbildung. FueLS, DIVR, AVRiL


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Die Lernszenarien der Zukunft sollen mittels 360-Grad-Technologie, Augmented Reality, Virtual Reality und Künstlicher Intelligenz entstehen. Ähneln Vorlesungen also künftig einer Art Videospiel oder Game-Challenge? „Die neuen Technologien sollen nicht nur Spaß machen, sondern auch einen Nutzen haben und die Lehre sinnvoll unterstützen“, betont Andreas Fuchs. Wissenschaftler und Forscherinnen aus Didaktik, Design, Entwicklung und Programmierung der beteiligten Hochschulen ziehen an einem Strang. Schaffen wollen sie eine Mischung aus physischen und digitalen Elementen: sogenannte hybride Räume. So soll etwa ein Labor oder der Zielort einer Exkursion künftig um digitale Informationen und Lerninhalte ergänzt, Abläufe in der Hochschule mithilfe von Augmented-Reality-Ansätzen unterstützt werden. Oder – wie im Fall des von Fuchs entwickelten Fotostudios – als Übungsort in den virtuellen Raum verlegt werden.

Die Erprobung läuft bereits in vielen Disziplinen

Gestartet ist das Projekt vor zwei Jahren, berichtet Professor Paul Grimm, der am Fachbereich Media Virtual Reality und Augmented Reality lehrt. Seither hat es viel Input und Ideen gegeben. „Wir nutzen die Synergien der verschiedenen Hochschulen.“  Entwickelt haben die Teams etwa die Plattform „fuelsME“, mit der eigene VR-Entwicklungen ausprobiert und zur Verfügung gestellt werden. Die Partner können darauf zugreifen und sie für jeweils eigene Szenarien, Standorte oder Studiengänge nutzen. Eignen sich die neuen Lernszenarien für alle Fachbereiche gleichermaßen? „Der Einsatz muss individuell betrachtet und bewertet werden“, sagt der Professor. „Die größten Vorteile durch den Einsatz von Virtueller Realität oder Augmented Reality werden sich immer dort ergeben, wo es einen Bezug zum dreidimensionalen Raum gibt.“

An der Hochschule Darmstadt läuft die Erprobung in Zusammenarbeit mit der Abteilung Hochschuldidaktik und Digitalisierung. Angewandt werden die neuen Technologien bereits im Studiengang „Augmented and Virtual Reality Design“ im Fachbereich Media. Vorgesehen ist eine VR-Anwendung aber auch in der Mathematik, berichtet Prof. Grimm. „Als Unterstützung im Bereich der Linearen Algebra, um Bewegungen und Drehungen im 3D Raum besser darzustellen, begreifbarer und verständlicher zu machen.“ An der Goethe-Uni werden beispielsweise politische Themen diskutiert, die davon profitieren, dass die Debatten direkt in einem virtuellen Plenarsaal des Europäischen Parlaments stattfinden. Denkbar sind jedoch auch Einsatzmöglichkeiten im Medizin- oder Fremdsprachen-Studium. So berichtet Grimm von anderen VR-Umgebungen, die Sprachschüler*innen unterstützen sollen, indem sie visuell in die jeweilige Situation versetzt werden, die zur Lernsituation passt. Etwa ins Foyer eines Kinos. „Das gleichzeitige Ansprechen mehrerer Sinne steigert das Lernen“, betont er.

An der h_da ist zusätzlich zum Fotostudio auch die KI-Anwendung für das „Imaginarium“ im Einsatz. Dabei handelt es sich um einen virtuellen Raum, den ebenfalls Andreas Fuchs entworfen hat. Der Doktorand ist darauf spezialisiert: Schon zum zweiten Mal hat er den XR Science Award für eine immersive Anwendung gewonnen und wurde zudem auf der internationalen Konferenz des „Institute of Electrical and Electronic Engineers“, einem Ingenieursverband in den USA, mit dem Best Paper Award ausgezeichnet.

Für einen Besuch im Imaginarium ist erneut die VR-Brille nötig. Sie beamt in einen runden, hellen Raum, der einem Museum gleicht. Mit Postern oder Gemälden an den runden Wänden, baumartigen Pflanzen und einem Lichtschacht in der Mitte. Bis zu 20 Studierende können sich gleichzeitig in den virtuellen Raum einloggen. „Im Imaginarium geht es um Kreativität und Brainstorming, das gemeinsame Entwickeln von Ideen“, erläutert Fuchs. Alle Teilnehmenden erscheinen als Avatare, deren Äußeres ein bisschen an die Sturmtruppen im Hollywood-Klassiker „Krieg der Sterne“ erinnern.

fuels: Imaginarium - Immersive Spaces for Creativity: Smart Working Environments


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In den zwei Räumen des Imaginariums können sich Studierende frei bewegen und austauschen. Eine Sprach-KI hört dabei zu und erzeugt zu den Gesprächen passende Bilder. Wer etwa über neue Gepäckkonzepte bei der Deutschen Bahn sinniert, sieht neu gestaltete Bahnabteile, die nach eigenen Wünschen umgestaltet werden können. Dabei reagiert das Imaginarium auf die individuellen Gemütszustände der Nutzer*innen und passt Licht, Farben oder auch den Klang entsprechend an, um das Wohlbefinden und Arbeitsprozesse zu unterstützen. So kann gemeinsam am gleichen Thema gearbeitet werden, während sich der eigene virtuelle Raum adaptiv verändert. „Der Mehrwert dieser Anwendung ist, neue Denkanstöße zu bekommen und Ideen über die eigene Vorstellungskraft hinaus zu entwickeln“, sagt Fuchs.

Eine sehr praktische Erfahrung

Die Studierenden im zweiten Semester „Augmented and Virtual Reality Design“ nimmt Professor Grimm an diesem Tag mit in die Welt des Fotostudios. Sie sollen die neue Anwendung als autarken Übungsort nutzen. Die Studierenden haben ihre eigenen VR-Brillen dabei oder nutzen Geräte der Hochschule. In Zweiergruppen lässt der Professor sie den neuen Lernort betreten, wobei immer nur einer den virtuellen Raum erkunden darf, während der andere achtgibt, dass die Gruppen im wirklichen Seminarraum nicht zusammenstoßen oder gegen Tische oder Wände laufen.

Studentin Mirabella ist voller Elan und im Umgang mit der VR-Brille bereits geübt. Sie kniet hin, wechselt die Perspektive und agiert mit den Controllern wie mit einer wirklichen Kamera. „Das macht sehr viel Spaß“, berichtet die junge Italienerin anschließend. Ihr gefällt, dass sie dort nach Anleitung das Fotografieren üben kann. „Eine sehr praktische Erfahrung“, findet sie. Ihr Kommilitone Karam ist ebenfalls angetan: „Ein sehr guter Einstieg, um die Tools der Virtual Reality kennenzulernen und die Basics der Fotografie zu erlernen“.

Profifotograf Jens Steingässer, der an der Hochschule Darmstadt 2007 sein Diplom abgelegt hat und die Studierenden fotografieren soll, ist hellauf begeistert. „Übungszeit im Studio zu bekommen, war während meines Studiums immer ein Kampf. Es waren wenige Stunden, in denen man fotografieren, die Scheinwerfer selbst bedienen und das Licht setzen musste. Das war ziemlich stressig“, erinnert er sich. Oft habe er sich unter Druck gefühlt. „Gerade beim Licht setzen, ist Routine und stundenlanges Experimentieren sehr wichtig.“ Einen neuen Lernort wie diesen hätte er sich damals gewünscht. „So ein virtueller Raum zum Üben ist ein Traum“, sagt der Profi.

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Kontakt zur h_da-Wissenschaftsredaktion

Christina Janssen
Wissenschaftsredakteurin
Hochschulkommunikation
Tel.: +49.6151.533-60112
E-Mail: christina.janssen@h-da.de