Ein kleiner Schritt für den Robo

Wenn die ESA ihre nächste Mondmission startet, sind die Hochschule Darmstadt und die Université de technologie de Troyes quasi mit „an Bord“. Die Hochschulen arbeiten im europaweiten Verbund „European University of Technology“ eng zusammen und kooperieren nun erstmals in einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit der European Space Agency in Darmstadt: Auf Basis aktuellster Methoden aus Maschinellem Lernen und Künstlicher Intelligenz entwickelt ein deutsch-französisches Forscherteam KI-Verfahren, die zur sicheren Landung unbemannter Raumsonden auf dem Mond beitragen sollen.

Von Christina Janssen, 23.7.2024, Update am 26.9.2024

Man könnte meinen, mit Neil Armstrongs „großem Schritt für die Menschheit“ seien Mensch und Mond 1969 irgendwie beste Freunde geworden und der knapp 400.000 Kilometer entfernte Erdtrabant eine Art Ausflugsziel. Vielleicht sogar – in nicht allzu ferner Zukunft – ein alternativer Lebensraum. Immerhin sind seit Apollo 11 rund 55 Jahre vergangen.

Doch noch immer ist eine Mondlandung ein herausforderndes Unterfangen. Von den vielen Versuchen, unbemannte Raumsonden auf den Mond zu schicken, ist in jüngster Zeit die Mehrzahl gescheitert: Der japanische Mondlander „Hakuto-R“ zerschellte beim ungebremsten Aufprall, ähnlich verliefen die Versuche Russlands und Israels. Die US-amerikanische Mondlandefähre „Peregrine“ verglühte im Januar 2024 in der Erdatmosphäre, das Drama um den kleinen „Weltraumrobo“ ging um die Welt.

Wenn teure Geräte zu Weltraumschrott werden

Was ist das Problem? „Beim Landeprozess gibt es oft Schwierigkeiten“, erklärt Professor Hichem Snoussi von der Université de technologie de Troyes, einer der neun Partnerhochschulen der EUT+-Allianz. „Auf der Mondoberfläche gibt es Krater und große Gesteinsbrocken, die die Landung kleiner Sonden gefährden.“ Eine Steuerung über Funk ist aufgrund der großen Entfernung zum Mond nicht möglich. Deshalb ist es wichtig, den Zustand der Oberfläche vorab zu analysieren und mögliche Landeplätze zu identifizieren, um so die Erfolgschancen einer Mondmission zu verbessern. Denn wenn dabei etwas dabei schiefgeht, werden millionenteure Geräte zu Weltraumschrott.

Snoussi und sein h_da-Kollege, Mathematik-Professor Andreas Weinmann, wollen hier zu einer Lösung beitragen. Seit zwei Jahren arbeiten sie innerhalb des Data-Science-Labs von EUT+ zusammen. Als die ESA bei der Hochschule Darmstadt anfragte, ob es innerhalb der Hochschul-Allianz im Bereich Bilddatenanalyse aktuell interessante Projekte gebe, schritt Weinmann zur Tat. Er kontaktierte seinen französischen Kollegen, um gemeinsam Ideen zu entwickeln: „Hichem war sofort begeistert“, berichtet der Mathematiker. „Wir haben uns dann mit zwei Kollegen von der ESA zusammengetan und Vorschläge ausgetüftelt.“ In einem kompetitiven Bewerbungsverfahren war das Team schließlich erfolgreich. Ihr Projekt wird nun drei Jahre von der ESA gefördert. „Für uns ist das ein großer Schritt – und hoffentlich der Türöffner für weitere Projekte mit der ESA“, sagt Hichem Snoussi.

Ein Doktorand mit drei Arbeitsplätzen

"AI-based Automatic Hazard Detection in Lunar Surface Images" lautet der Titel des Forschungsvorhabens. Übersetzt: "KI-basierte automatische Gefahrerkennung in Bildern der Mondoberfläche". Mit den Fördergeldern finanzieren die beiden Professoren, deren thematische Schnittmenge in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Computer Vision (Bildverarbeitung) und Machine Learning (Maschinelles Lernen) liegt, unter anderem einen Doktoranden: Seit Juli komplettiert Mathematiker Patrick Bauer, der gerade den Master an der OTH Regensburg abgeschlossen hat, das Team. In den nächsten Jahren wird er als „flying scientist“ zwischen seinen drei Arbeitsplätzen in Troyes, im h_da-Hochhaus und auf dem ESA-Campus pendeln. „Ich wusste schon während meines Studiums in Regensburg, dass ich ins Ausland gehen will“, berichtet der junge Wissenschaftler. „Ich freue mich darauf, in einem internationalen Umfeld zu arbeiten, und ich bin stolz darauf, der erste PhD-Student zu sein, der am EUT+ Data Science Lab kooperativ betreut wird und so eine spannende Aufgabe übernehmen kann.“

Im Kern des Projekts geht es darum, KI-Verfahren zu entwickeln, die dazu beitragen, unbemannte Raumsonden sicher auf den Mond zu bringen. Dazu trainiert das deutsch-französische Team ein KI-System mit Bilddaten von der Mondoberfläche. Das System muss lernen, auf solchen Bildern Gefahren zu erkennen: Hier ist ein Krater, dort ein Gesteinsbrocken. Als Trainingsmaterial stehen Bilder von der Mondoberfläche in Hülle und Fülle zur Verfügung. Was die Sache aufwändig macht: Damit die KI aus diesen Bildern überhaupt etwas lernen kann, müssen sie vorab lokalisiert und klassifiziert werden. Eine mühevolle Arbeit, die in der Regel Menschen von Hand erledigen. Experten nennen diesen Vorgang Annotation. Dabei wird jedes Bild mit einer Art Code versehen, der der KI das Bild „erklärt“. Das kostet Zeit und Geld.

Aktuellste Technologien aus Bild- und Sprachverarbeitung

„Diesen Prozess können wir mit unserem Ansatz schlanker und sehr viel effizienter machen“, erklärt KI-Experte Snoussi. „Wir arbeiten mit einem System, das ‚gefährliche‘ Objekte sehr schnell entdeckt – ohne Annotation. Das funktioniert ähnlich wie ChatGPT: Das System wertet unvorstellbare Mengen bereits vorhandener Bilddaten aus dem Internet oder Datenbanken aus, die bereits mit einer Beschreibung in Textform versehen sind.“ Es verbindet also die Fähigkeiten von Sprachmodellen wie ChatGPT mit denen von Systemen zur Bilderkennung. Wenn man so will: das Beste aus zwei Welten. „Zero Shot Learning“ heißt dieser Ansatz, der das aufwändige und teure Annotieren überflüssig machen soll.

Ein ähnliches Verfahren ist das „Few Shot Learning“, das die manuelle Arbeit zwar nicht komplett, aber immerhin zu einem großen Teil einspart. „Wir arbeiten hier mit aktuellsten Technologien aus der Bild- und Sprachverarbeitung“, betont Mathematiker Andreas Weinmann. „Dabei verwenden wir bereits existierende KI-Systeme, die schon trainiert sind und somit sehr viel ‚wissen‘ – allerdings über andere Arten von Daten als wir sie brauchen. Diese Systeme spezifizieren wir jetzt für unseren Anwendungsfall: für das Entdecken von Felsen und Kratern auf der Mondoberfläche.“

Der dritte Ansatz, den das EUT+-Forschungsteam verfolgt, besteht darin, dass das KI-System Gefahren als Abweichung von der Norm registrieren soll: Der Normalfall ist ein ebener Untergrund, die Abweichung davon sind Krater und Felsen. Pixel für Pixel werden die Bilder der Mondoberfläche dafür durchgerastert und klassifiziert. Es läuft also, wie so oft in der Computerwelt, auf Null oder Eins hinaus. Bei Null heißt es: mission possible. Bei Eins springen die Warnsysteme an. Hauptsache die ESA kann am Ende vermelden: „The Eagle has landed.“ Es wäre ein kleiner Schritt für den Robo und ein großer Schritt für EUT+. 

Mehr als ein „staubiger Klops“

Der Run auf den Mond ist ungebremst, doch die Ausgangslage hat sich verändert: 1969 gewannen die Vereinigten Staaten mit der Apollo 11-Mission den Wettlauf zum Mond gegen die damalige Sowjetunion. Es ging dabei mehr um Politik und Symbolik als um Wissenschaft. Das sei heute anders, erläutert ESA-Astronaut Matthias Maurer im Interview mit der Helmholtz-Gemeinschaft: „Nach den Apollo-Missionen dachte man noch, der Mond sei ein staubiger Stein-Klops, da gibt’s nix zu holen. Infolge von Satelliten-Missionen wissen wir heute, dass der Mond viele Ressourcen hat.“ Und damit Futter für die Forschung: zum Beispiel Gesteinsproben und gefrorene Wasservorkommen, die Hinweise auf die Entstehung von Leben auf der Erde geben können. „Der Mond ist fast genauso alt wie die Erde, hat sich aber an der Oberfläche nicht mehr verändert. Er ist wie ein Geschichtsbuch, das wir studieren können.“ Zudem soll auf dem Mond Technik erprobt werden, die für spätere Mars-Missionen benötigt wird.

Am 9. Juli startete das deutsch-französische "Mond-Projekt" mit einem Kickoff bei der European Space Agency. Ein großer Moment für alle. „Die Mondmission der ESA ist ein riesiges, ambitioniertes Projekt, und wir tragen einen Baustein dazu bei“, freut sich Hichem Snoussi. Auch für das Zusammenwachsen der „European University of Technology“ ist das Projekt ein wegweisender Schritt: Doktorand Patrick Bauer soll einen von beiden EUT+-Hochschulen gemeinsam verliehenen Doktortitel erhalten. Der Weg dahin ist mit Gesteinsbrocken vom Mond gepflastert, der junge Forscher sieht das aber sportlich: „Es ist ein Vorteil, mehrere Partner zu haben. Die Ortswechsel helfen mir dabei, Input von verschiedenen Seiten zu bekommen. Ich bin sicher, dass das Projekt ein Erfolg wird. Das heißt für mich aber auch, dass ich für alle gute Arbeit machen muss: für die Hochschule in Darmstadt, die Uni in Troyes und die ESA.“

Kontakt zur h_da-Wissenschaftsredaktion

Christina Janssen
Wissenschaftsredakteurin
Hochschulkommunikation
Tel.: +49.6151.533-60112
E-Mail: christina.janssen@h-da.de

Fotografie: Samira Schulz

Quellen

Helmholtz-Interview mit Matthias Maurer, 24.10.22: „Warum zum Mond?“

ZEIT, 9.1.2024: „Pittsburgh, wir haben ein Problem“

YouTube: „The Eagle Has landed“, The Flight of Apollo 11, 1969