Zwischen Zecken und Elefanten

Drei Monate lang war h_da-Informatikerin Vanessa Süßle in Südafrika mit einem Team von Biologinnen und Biologen unterwegs, um Daten von Wildtieren zu sammeln: gigantische Mengen an Fotos aus „Kamerafallen“, Aufnahmen von Vogelstimmen und Informationen von mit Sendern ausgestatteten Fischen. Für ihre Promotion arbeitet sie daran, die bislang sehr zeitaufwendige Auswertung solcher „Datenberge“ durch Methoden der Künstlichen Intelligenz zu automatisieren und zu beschleunigen. So ließe sich beispielsweise der Bestand von Singvögeln besser bestimmen, statt ihn wie bisher auf Basis manueller Auswertung hochzurechnen.  Eine besondere Herausforderung ist es dabei, Millionen von Foto- und Audioaufnahmen zu filtern und zu klassifizieren. Oder auch: 300 Zeckenbisse auf einmal zu verarbeiten.

Von Alexandra Welsch, 29.10.2024

Wäre Fibi nicht verschwunden, es wäre wohl nie so weit gekommen. „Meine Katze war weggelaufen.“ So beginnt Vanessa Süßle zu erzählen, wie sie zu ihrem Promotionsprojekt gekommen ist. Das verwundert insofern, als sich die 31 Jahre Informatikerin primär mit Daten beschäftigt. Doch genau hier liegt der Hund begraben – oder treffender: Es tat sich eine tierische Lücke auf. Um ihrer Katze Fibi wieder habhaft zu werden, besorgte sich Süßle eine sogenannte Kamerafalle. Bei der Internet-Suche nach Tierbeobachtungskameras mit Auslösungssensoren stieß sie auf die Erkenntnis, dass sie in der Wildtierforschung eine große Rolle spielen. Und Millionen von Bildern generieren – gefundenes Fressen für eine Expertin für Data Science und Computer Vision.

Süßle arbeitet mit einem interdisziplinären Ansatz daran, die Auswertung von Wildtierdaten mit Hilfsmitteln Künstlicher Intelligenz zu automatisieren und zu beschleunigen. „Ich wollte etwas Angewandtes machen, was einen Impact hat“, erzählt die Promovendin. Auf das Thema Tierdaten stieß sie auch über ihre Professorin Elke Hergenröther vom h_da-Fachbereich Informatik, die in Lehre und Forschung einen neuen Fokus auf KI für den Natur- und Artenschutz legt. Als Süßle dann begann, sich mit Tierfotos aus Kamerafallen zu beschäftigen, stellte sie fest: Zwar existierten bereits KI-Modelle, die Biologen die Auswertung von Tierdaten erleichtern sollen. „Aber es gibt wenig userfreundliche Anwendungen, die im freien Feld funktionieren.“

Zusammenarbeit mit Zoologie-Professorin in Südafrika

Die Sache mit dem freien Feld ging die naturverbundene Wissenschaftlerin aus Mörfelden-Walldorf dabei besonders beherzt an und stürzte sich mitten rein in die Wildtierwelt. Via Internetrecherche und über einen ehemaligen Kollegen fand sie Kontakt zu Colleen Downs, Zoologie-Professorin für Ökosystemgesundheit und Biodiversität an der südafrikanischen University of KwaZulu-Natal, die neben Hergenröther und Mathematikprofessor Andreas Weinmann von der h_da Co-Betreuerin für ihre Doktorarbeit ist. Ende 2023 verbrachte die junge Datenwissenschaftlerin drei Monate in Südafrika, um in die biologische Feldforschungsarbeit vor Ort reinzuschnuppern. „Es hilft sehr für das Grundverständnis, wenn man das mal selbst mitgemacht hat“, beschreibt Süßle ihr Ansinnen. „Dann hat man einen ganz anderen Bezug.“

Wie horizontweitend die Reise für sie als Informatikerin war, kann man ihren munteren Erzählungen von den Erlebnissen in Südafrika lebhaft anhören. „Ich habe Warane mit der Hand gefangen, Vögel beringt, Nester überprüft“, beginnt sie aufzuzählen. „Ich habe einen Fluss mitvermessen, da mussten wir uns einmal vor Elefanten und Büffeln verstecken.“ Doch das war noch nichts gegen die rund 300 Zeckenbisse, die sie sich irgendwann eingefangen hat, wahrscheinlich über ihre Gummistiefel. Die Grippe, die das auslöste, habe sie gut überstanden, versichert sie locker abwinkend. Und betont, wie unschätzbar wertvoll die Zeit in Afrika für sie war. Nicht nur, weil sie Freunde gewonnen hat. „Ich habe gelernt, wie sauviel Arbeit es ist, Tierdaten zu sammeln. Und das ist nichts, was man mit KI kreieren kann.“

„Würde man sich alles anhören, bräuchte man neun Jahre“

Doch KI kann dabei helfen, all die gesammelten Daten auszuwerten. Wie das möglichst nah am Bedarf von Biolog*innen geschieht, tüftelt die Informatikerin derzeit aus. Basis ist eine gigantische Menge von Tierdaten aus Kamerafallen, aus Sendern an Fischen sowie Audioaufnahmen von Vögeln. Allein die Vogelgeräusche umfassen ein Datenvolumen von sechs Terabyte. „An neun Locations wurden rund um die Uhr ein Jahr lang Aufnahmen gemacht“, macht Süßle deutlich. „Würde man sich das alles anhören, bräuchte man neun Jahre.“ Die KI aus Süßles Trainingslabor indes soll einzelne Vogelgeräusche automatisiert sortieren und auswerten können entlang von Parametern wie Vogelart oder Ort und Zeit des „Geräuschereignisses“. So könnte der Bestand an Singvögeln in einer Gegend künftig genauer bestimmt werden. Bislang geschieht das meist durch Hochrechnen manuell ausgewerteter Aufnahmedaten.

Zur automatisierten Auswertung nutzt Süßle vorhandene KI-Modelle, trainiert sie anhand der vorliegenden Tierdaten und programmiert auf dieser Grundlage eigene Modelle. Passend zum tierischen Thema greift sie dabei auf die Programmiersprache Python zurück. „Wildtierdaten sehen sehr, sehr wild aus“, beschreibt die Forscherin eine zentrale Herausforderung. „Da braucht es viel Datenbereinigung.“ Teils seien Tierbilder durch Bewegung verwischt, durch einen Strauch verdeckt oder durch schlechte Lichtverhältnisse unkenntlich. Auch komme es oft zu Fehlauslösern. So ging es bei den rund 200.000 Fotos aus den Kamerafallen darum, diejenigen ohne Tier herauszufiltern. „Biologen verbringen immer noch viel Zeit damit, sich durch Bilder zu klicken“, merkt Süßle an. Sie wolle ihnen Tools an die Hand geben, die einzelne Arbeitsschritte automatisiert ausführt – zum Beispiel: alle Fotos aussortieren, auf denen ein Tier nur halb zu sehen ist. „Wir arbeiten mit Datenpipelines“, erläutert sie. „Vorne kommen die Daten rein, hinten die Ergebnisse raus.“ Dabei setzt die Expertin auf Methoden der Computer Vision, also maschinellem Sehen, etwa mittels einer computergestützten Objekterkennung. Danach waren von den 200.000 noch 40.000 Bilder übrig.

Auch in der Lehre kommen die Wildtierdaten gut an

Dass Vanessa Süßle bei ihrer Forschungsarbeit mit einer solchen Vielfalt an Tierdaten arbeitet, geschieht bewusst. „Wir haben das Thema sehr breit angelegt.“ Zum einen, weil es an der Hochschule noch niemanden gegeben habe, der sich damit beschäftigt. „Außerdem können so auch andere, die sich für das Thema interessieren, besser andocken.“ Einige Bachelor- und Masterarbeiten dazu hat es bereits gegeben. Zudem haben die Promovendin und ihre Professorin schon zweimal ein Hauptseminar „KI in Umwelt-, Natur- und Artenschutz“ angeboten. „Das kommt super an“, freut sich Süßle über diesen „Impact“ auch für die Lehre. „Es ist leicht, Studierende für Tierbilder zu interessieren.“

Im Falle von Fibi allerdings hat das wenig gefruchtet. Drei Monate nach ihrem Verschwinden hat Vanessa Süßle die Kamerafalle an ihrem Grundstück ohne zielführende Schnappschüsse abgebaut. Wieder aufgetaucht ist die Katze nach drei Jahren. „Jetzt ist sie anhänglicher denn je“, merkt die Katzenhalterin schmunzelnd an. Was sie zwischenzeitlich getrieben hat, ist Fibis Geheimnis. Das sind und bleiben die Mysterien der Tierwelt, KI hin oder her.

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