Konferenz Antisemitismus
Mit einem Fußballstadion vergleicht Meron Mendel die zugespitzte Diskussionskultur, die sich in Deutschland und in vielen Ländern etabliert hat. Dabei bilden sich Lager mit lauten Stimmen auf beiden Seiten. Und dann müsse man sich entscheiden: für die eine oder die andere Seite. „Bubble-Kommunikation“ nennt es Meron Mendel. Oft gehe es darum, zu gewinnen, statt aus einer Diskussion etwas für sich zu ziehen. Dass dies auch anders gehen kann, zeigte die Tagung „Antisemitismus, Rassismus, Autoritarismus begegnen – Raum für Dialog und Vielfalt schaffen“ an der Hochschule Darmstadt.
Von Simon Colin, 17.11.2025
Das Gleichstellungsbüro der h_da konnte hierfür hochkarätige Referierende gewinnen: Prof. Dr. Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, sprach zusammen mit seiner Partnerin, der Politologin Saba-Nur Cheema, zur Verschärfung der öffentlichen Debatte in Deutschland seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023. Studienergebnisse zum zeitgenössischen Autoritarismus präsentierten Dr. Ayline Heller und Dr. Charlie Kaufhold, die beide in den Sozialwissenschaften forschen. Prof. Dr. Lisa Niederreiter vom Fachbereich Soziale Arbeit der h_da lud bei einem Kunstworkshop dazu ein, sich mit Abwehrreaktionen gegen „Fremdes“ zu beschäftigen.
Neutraler Raum für Diskussionen
h_da-Präsident Prof. Dr. Arnd Steinmetz machte zu Beginn deutlich, dass es ausgesprochener Wunsch der Hochschule sei, eine offene Diskussionsatmosphäre auf dem Campus zu erhalten. Die Hochschule biete hierfür einen neutralen Raum, in dem Diskussionen mit unterschiedlichen Positionen stattfinden könnten. Selbstverständlich dürften Hochschulmitglieder ihre Stimme und Meinung haben, die h_da als Einrichtung müsse aber eine neutrale Haltung zu gesellschaftlichen Streitthemen einnehmen. Neutralität schließe allerdings nicht aus, sich aktiv für demokratische Werte einzusetzen, ergänzte Charlie Kaufhold. Hier sieht auch die h_da eine wichtige Aufgabe, die Tagung ist hierbei ein Baustein.
In vielen Diskussionen habe sich der Ton verschärft, es gehe darum, auf der „richtigen“ Seite zu sein, sagte Meron Mendel. Mit entsprechenden Folgen: Jüdische Menschen würden seit dem 7. Oktober 2023 massiv antisemitisch angefeindet und bedroht. Zugleich würden muslimische Personen diskriminiert, rassistisch angegriffen und unter Generalverdacht gestellt. Positiv erlebt er hingegen die Debatten zum Thema, die er und Saba-Nur Cheema an Hochschulen und auf öffentlichen Veranstaltungen führen. 200 Vorträge und Diskussionen haben sie in den vergangenen zwei Jahren gehalten.
Selektive Empathie und Unbeholfenheit
Als ein zentrales Problem sieht Mendel den „selbstreferentiellen Aktivismus“, der nur die eigene Perspektive dulde. Das könne so weit gehen, dass Solidarität nur für die eigene Gruppe gelte: Teile der Pro-Palästina-Bewegung forderten und zeigten zwar Solidarität mit den Menschen im Gaza-Streifen, schwiegen aber zugleich zur Terrortat der Hamas. Dies sei „selektive Empathie“.
Deutlich kritisiert er, dass israelische und palästinensische Persönlichkeiten von Veranstaltungen ausgeladen würden, nur weil sie israelisch oder palästinensisch seien. Er nennt mehrere Beispiele, unter anderem die Ausladung einer palästinensischen Autorin von der Frankfurter Buchmesse 2023, deren Buch nach dem 7. Oktober in die Diskussion geriet. Von Unbeholfenheit im Umgang mit palästinensischen Menschen spricht Meron Mendel, davon sei auch die Politik betroffen. Antisemitismus sei es, wenn jüdische Persönlichkeiten ausgeladen würden.
Auseinandersetzung mit dem eigenen Rassismus
Den aufflammenden Autoritarismus beleuchteten Ayline Heller und Charlie Kaufhold. Mit einem anschaulichen Beispiel aus der qualitativen Forschung triggerte Kaufhold die Auseinandersetzung des Publikums mit dem eigenen, ungewollten Rassismus. Charlie Kaufholds Doktorarbeit beschäftigt sich mit dem Terror der NSU und wie Deutsche damit umgehen. Kaufhold berichtet von einem Gespräch mit einer älteren Frau, die demokratisch verortet und nicht rechtsextrem sei. Trotzdem erinnert sie sich an ein Erlebnis im Supermarkt, als sie auf eine junge Migrantin mit Kindern trifft, die ihr sympathisch sind, die sie aber nicht anspricht.
Kontakthemmung nennt das Charlie Kaufhold. Und analysiert tiefergehend: Aus psychosozialer Sicht sei dies ein rassistischer Abwehrmechanismus, denn die Konfrontation mit anders Aussehenden sei aus psychosozialer Perspektive eine Bedrohung der Identität als Deutsche. Das löse Angst aus. Übertragen auf den NSU-Terror bedeute dies: Die Taten der Gruppe konfrontieren die Deutschen mit den Verbrechen der Nationalsozialisten. Diese verdrängte Schuld erschwere den Kontakt mit Opfern von Rassismus.
Zustimmung zu rechtem Gedankengut nimmt zu
Ayline Heller stellt schließlich zentrale Ergebnisse der Leipziger Autoritarismus-Studie 2024 „Vereint im Ressentiment“ vor. Demnach bröckele die Zufriedenheit mit dem Zustand der Demokratie. In Ostdeutschland sind nicht mal mehr ein Drittel damit zufrieden. Insgesamt steige in ganz Deutschland die Zustimmung zu rechtem Gedankengut. Fast die Hälfte der 2.500 Befragten stimmt laut Studie Rechtsextremismus und Chauvinismus zu, wenn man die Personen hinzuzählt, die sich weder pro noch contra äußern. Das wertet die Studie als latente Zustimmung. Antisemitismus zeige sich hingegen links- und rechts außen – und sei hiermit eine Brückenideologie.
Wie ließe sich nun etwas bewirken gegen autoritäre Tendenzen, auch gegen den polarisierenden Nahost-Konflikt, fragte schließlich h_da-Präsident Prof. Dr. Arnd Steinmetz. Sein Impuls: die komplexe Situation vermitteln und erklären – und so die Menschen abholen. Zugleich noch mehr junge Leute dazu ermutigen, Zeit im Ausland zu verbringen. Dazu könne sich die European University of Technology (EUT+) gut eignen, eine europäische Hochschulinitiative, der die h_da zusammen mit acht weiteren Hochschulen angehört. Es sei sehr hilfreich, einmal zu erleben, fremd und in der Minderheit zu sein. Dies verändere die Perspektive.
Kontakt zur h_da-Wissenschaftsredaktion
Christina Janssen
Wissenschaftsredakteurin
Hochschulkommunikation
Tel.: +49.6151.533-60112
E-Mail: christina.janssen@h-da.de
Fotografie: Jens Steingässer