„Man muss dem Einfamilienhaus den Kampf ansagen“

Professor Henning Baurmann ist Dekan des Fachbereichs Architektur an der h_da und lehrt in den Fächern Baukonstruktion und Bauen im Bestand. In der aktuellen Debatte um das Einfamilienhaus positioniert sich der 55-jährige klar: Einfamilienhäuser sind für ihn Großverbraucher von Flächen und Ressourcen und deshalb ein wenig effizientes Element der Stadtplanung. Baurmann plädiert für das Schließen von Baulücken etwa mit Mehrfamilienhäusern.

Ein Interview von Alexandra Welsch, 16.03.2021

impact: Herr Baurmann, wie wohnt der Dekan des Fachbereichs Architektur eigentlich selbst – am Ende in einem Einfamilienhaus?

Baurmann (lacht): Schöne Frage. Es ist ja oftmals so, dass man Wasser predigt und Wein trinkt, aber bei mir ist es nicht so. Ich wohne mit meiner Familie zur Miete im Altbau inmitten der Altstadt von Heidelberg.

impact: Also eher das Gegenmodell zum Einfamilienhaus. Was sagen Sie als Wissenschaftler zur aktuellen Debatte über diese als flächen- und ressourcenverbrauchend kritisierte Wohnform, über die sich Grünen-Fraktionsvorsitzender Anton Hofreiter kürzlich ausgelassen hat?

Baurmann: Das ist nicht an Herrn Hofreiter festzumachen, sondern ein deutschlandweiter Trend, dem grassierenden Wachstum der Einfamilienhausgebiete entgegenzuwirken. Auch wir als Architekten halten das relativ unisono für kein glückliches Modell, insbesondere das freistehende Einfamilienhaus mit dem Abstandsflächengrün und der Doppelgarage. Da ist es durchaus zutreffend, dass man dem Typus des Einfamilienhauses in gewisser Weise auch den Kampf ansagen muss.

impact: Warum genau?                    

Baurmann: Es ist einfach nachweisbar, dass das Einfamilienhaus nicht gerade flächensparend ist. Und wir müssen gerade in einem dicht besiedelten Gebiet konstatieren, dass mit jedem Neubaugebiet in großem Maß Natur zerstört wird. Auch beim Bau ist das Einfamilienhaus dem Mehrfamilienhaus unterlegen: Sie haben mehr Fassadenfläche pro Quadratmeter Wohnfläche, damit sind auch die Baustoffe deutlich erhöht, und da reden wir vom Faktor zehn oder zwanzig. Dem wird dann entgegen gehalten, man habe ökologisch wertvolle Baustoffe verwendet oder nutze Erdwärme. Aber dabei wird vergessen, dass schon das Bereitstellen unendlich viel Energie verbraucht. Wenn man da eine ehrliche Bilanz machen würde, wäre das verheerend. Jedes noch so unökologisch gebaute Mehrfamilienhaus ist um ein Vielfaches besser als das ach so ökologische Einfamilienhaus.

impact: Und wo sollen die Mehrfamilienhäuser entstehen?

Baurmann: Ich bin ein Freund von Innenverdichtung. Wir müssen die vorhandenen Flächen aktivieren. Es gibt unendlich viele Brachen und Baulücken, die man guten Gewissens füllen kann. Da wird oft behauptet, wir haben aber keine Flächen mehr, wo wir verdichten können. Aber das stimmt überhaupt nicht, das ist einfach eine Frage der Betrachtungsweise.

impact: Aber da regt sich oft heftiger Widerstand.

Baurmann: Das ist das St. Florians-Prinzip: Wenn ich irgendwo wohne, schön mit Blick auf den großen begrünten Innenhof, dann schreie ich natürlich auf, wenn da jemand eine Reihenhauszeile oder Geschosswohnungsbau reinsetzen möchte. Das muss eben ausgehandelt werden. Wichtig ist, dass man offensiv in den Diskurs reingeht. Diese Aushandlungsprozesse gehen heutzutage über Bürgerforen, Partizipationsprojekte. Ich bin selbst an solchen Prozessen beteiligt, das ist fruchtbar. Andererseits brauchen wir diese Foren, weil wir die Bürger mitnehmen müssen. Da versuchen wir auch unsere Studierenden zu sensibilisieren, dass Architektur nicht nur mit Kreativität zu tun hat, sondern es ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess ist.

impact: Und was sind sonst Herausforderungen bei Innenverdichtungen?

Baurmann: Wenn wir das realisieren wollen, scheitert das an ganz banalen Dingen – zum Beispiel daran, dass nach wie vor ein Stellplatznachweis geführt werden muss. Aber in diesen Blöcken bekommen sie keine Stellplätze mehr unter, oder es wird irrsinnig teuer für irgendwelche unterirdischen Parksysteme. So wird das Problem verschärft, und die Baupreise werden ins Astronomische angehoben wegen veralteter Verordnungen, die dem Recht jedes Bürgers auf ein Auto entspringen. Sie dürfen nicht mal ein Haus aufstocken, ohne einen Stellplatz nachzuweisen.

impact: Dabei gibt es zunehmend Städte, die an diesem Hebel zumindest ansetzen und Stellplatzvorgaben lockern. Was sind denn aus Ihrer Sicht noch Steuerungsinstrumente, Verdichtung in Blöcken zu erleichtern?

Baurmann: Ganz direkt das Baurecht, also Abstandflächen zum Beispiel. Die Frage der Bebauungsplanregelung: Für ganz viele Viertel gibt es gar keine B-Pläne, weil man davon ausgeht, die könnte man nicht verdichten. Da ist der B-Plan natürlich das Instrument der Wahl, das muss man da wieder einführen.

impact: Andere Städte in Europa bauen auch in die Höhe viel mehr und weisen viel höhere Besiedlungsdichten auf, ohne dass jetzt Rom oder Paris als verschandelte Städte gelten würden. Inwiefern müsste aus Ihrer Sicht auch da der Hebel angesetzt werden?

Baurmann: Die Hochhausdebatte ist natürlich für einen Architekten immer etwas ganz Faszinierendes. Dabei man muss immer bedenken: Das Hochhaus ist überhaupt nicht flächensparend. Weil das wiederum bestimmte Abstandsflächen bedeutet, man braucht Aufzüge, Fluchttreppenhäuser und so weiter in viel größerem Maß als im Geschosswohnungsbau. Das bringt die Flächenbilanz pro Geschoss sehr ins Negative. Was wirklich interessant ist, ist der verdichtete Geschosswohnungsbau – also Gebäude bis zu acht Geschossen Höhe. Das ist eine andere Gebäudeklasse und kann anders bewertet werden.

impact: Inwiefern spielen soziale Faktoren in das Für und Wider unterschiedlicher Gebäudeformen eine Rolle?

Baurmann: Bei Hochhäusern gibt es die Problematik mit der Sozialverwahrlosung. Es gibt Studien, die sagen, wie viele Wohnungen dürfen an einem Treppenhaus liegen, damit ich überhaupt noch weiß, wer da wohnt. Das ist ein ganz schmaler Grat. Und dann geht es um eine soziale Mischung. Unser Idealbild ist ja das Darmstädter Martinsviertel: Gründerzeit, Arbeiten und Wohnen gemeinsam, viele Freiberufler, durchaus auch eine akademisierte Klasse, aber durchsetzt, also auch viel Multikulti. Es geht darum, dass man viele Sozialstandards miteinander in Bezug bringt. Das ist ursprünglich die Idee der europäischen Stadt gewesen, dass man möglichst viele verschiedene Menschen an einem Punkt konzentriert.

impact: Trotzdem wünschen sich nun mal vielen Menschen ein Einfamilienhaus mit viel Platz drumherum, teils auch verstärkt durch die Pandemieerfahrung, einen soliden und dabei bezahlbaren Rückzugsraum haben zu wollen. Hinzu kommt die Erkenntnis, nach dem Homeoffice-Schub nicht mehr täglich in der Stadt arbeiten zu müssen. Glauben Sie, dass das zu einer Verödung der Stadtkerne führen könnte?

Baurmann: Nein, im Gegenteil: Ich glaube, dass die Stadt eine große Renaissance vor sich hat und es immer einen relevanten Teil der Gesellschaft gibt, der sich ein Leben dort wünscht. Insbesondere mit der Zunahme älterer Leute wird die Stadt immer wichtiger als Standort auch für Dienstleistungen, für Ärzte, für Apotheken. Auf dem Land hingegen hat nun nach dem Sterben der Schulen das der Apotheken eingesetzt. Und ich erlebe es viel, dass Menschen wieder zurückziehen in die Stadt.

impact: Halten Sie das Mehrfamilienhaus für ressourcenschonender?

Baurmann: Ja, wobei man auch da aufpassen muss. Wir haben einen riesigen Altbau-Bestand in Deutschland, und diesen ganzen Bestand jetzt energetisch an einen Neubau heranzuführen, ist unter Ressourcengesichtspunkten ein Wahnsinn. Das geht nur mit Dämmung, und die verschlingt immense Ressourcen, braucht viel Öl bei der Herstellung. 99 Prozent aller Häuser werden unter ökologisch fatalen Bedingungen gebaut. Allein das Thema Wärmedämmverbundsystem, was ja unsere Einfamilienhausgebiete total durchseucht: Wenn man näher betrachtet, was das an ökologischen Folgeschäden mit sich bringt, das ist verheerend. Der Geschosswohnungsbau ist da nicht ausgenommen – nur ist da die Bilanz auf den einzelnen Bewohner weit weniger verheerend.

impact: Wie sehen hier Alternativen aus?

Baurmann: Man könnte ganz anders bauen, wir tun das, und das ist auch nicht teurer – es braucht lediglich ein bisschen mehr Grips im Vorfeld. Man muss sich einen Wandbaustoff suchen, mit dem man einschalig bauen kann, zum Beispiel porosierten Ziegel, wo wir über das einfache Medium Luft Wärme speichern. Und den gibt es auch massenhaft. Das geht alles, aber es ist in der Planung aufwändiger.

impact: Es kostet also mehr Zeit, und Zeit ist Geld – oder warum passiert das nicht mehr?

Baurmann: Wir galoppieren wider besseres Wissen konsequent in die falsche Richtung, weil wir glauben, wir kommen aus diesem Hamsterrad nicht raus. Es liegt daran, dass eine Gesellschaft sich schwer tut, da umzudenken, weil dieses Modell bisher so wahnsinnig bequem war. Und da glaube ich, dass diese Coronakrise endlich eine Chance bietet, dass wir ran müssen an die Frage: Wie wollen wir eigentlich leben?

impact: Welche Gedanken machen Sie sich da?

Baurmann: Man muss da etwa die Frage des Komforts stellen. Könnte man vielleicht damit leben, dass die Heizung nicht immer so hochgeregelt werden muss? Auch die Frage der Fläche: Der Flächenverbrauch eines jeden einzelnen Bundesbürgers ist immens gestiegen – wir sind mittlerweile bei 50 Quadratmeter pro Person angekommen und in der unmittelbaren Nachkriegszeit mal bei 8 bis 10 gestartet. Wir wissen alle, dass es sehr schwer ist, von einem geschaffenen Komfort wieder runterzukommen, Downsizing will keiner, jeder will eigentlich mehr. Und das Einfamilienhaus treibt das nochmal in die Höhe. Ich warte eigentlich darauf, dass es nach der Flugscham auch die Einfamilienhaus-Scham gibt. Vielleicht sind wir jetzt langsam mal so weit, dass wir merken: Eigentlich leben wir permanent auf Kosten anderer.

impact: Und wie hoffnungsvoll stimmt Sie da die nachwachsende Generation, die auch Sie ausbilden?

Baurmann: Ich halte ganz viel von unseren Studierenden. Das ist sehr positiv, was da nachkommt. Die nehme ich als extrem kritisch, übrigens auch extrem sozial eingestellt wahr. Da habe ich gute Hoffnungen.

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Nico Damm
Wissenschaftsredakteur
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