Ein Mensch im Raumanzug bedient einen Computer
Mein Freund, der Roboter

Die Weiterentwicklung von Technologien rund um Künstliche Intelligenz ist einer der großen technologischen Fortschritte unserer Zeit. Das bietet große Chancen, weckt aber die uralte Angst, von Maschinen ersetzt zu werden. Deshalb rückt die KI-Forschung an der h_da künftig den Menschen noch stärker in den Mittelpunkt.

Von Nico Damm, 17.12.2020
 

Wohl kaum ein Forschungsthema regt die menschliche Phantasie stärker an als Künstliche Intelligenz. Das schwierige Verhältnis von Mensch und Maschine war und ist Stoff für unzählige Dramen. Schon 1816 ersann E.T.A. Hoffmann in „Der Sandmann“ die Geschichte eines Studenten, der sich unglücklich in eine sprechende Holzpuppe verliebt. Und nicht nur Science-Fiction-Fans kennen Stanley Kubricks Meisterwerk „2001: Odyssee im Weltraum“ - die Geschichte des Supercomputers, der seine menschlichen Herren ermordet. Ob solcher Stoff Ängste vor Technologie im Allgemeinen und KI im Speziellen begünstigt, ist schwer zu sagen. Aber dass sie da sind, kann man messen, sagt Prof. Dr. Jörg von Garrel. Der quantitative Sozialforscher vom Fachbereich Gesellschaftswissenschaften ist während seiner Arbeit zum Thema KI in der Industrie auf reichlich Skepsis gestoßen. „Diese gab es nicht nur beim beteiligten Mittelständler, sondern auch bei einem großen Konzern.“ Bei Workshops kam beispielsweise zutage, dass die Beschäftigten fürchteten, zu gläsernen Mitarbeitern zu werden – quasi zu Datenlieferanten für die Rechenmaschine.

Folgerichtig stellt die KI-Forschung an der h_da künftig den Menschen noch stärker in den Mittelpunkt. Das zeigt sich schon im Namen: „Kompetenzzentrum für Arbeit und KI im Rhein-Main-Gebiet“ heißt der neue Verbund. Es geht also nicht nur um Technik, sondern auch um Arbeit und die Bedingungen, unter der Menschen sie verrichten. Deshalb ist auch das Institut für Arbeitswissenschaft der TU Darmstadt Keimzelle des Vorhabens. Das Zentrum unter der Federführung der Universität wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 10,7 Millionen Euro gefördert. Die Hochschule Darmstadt finanziert über das Projekt vier Stellen für Promovierende und kümmert sich in dem interdisziplinären Zentrum vor allem um den Transfer der Forschungsergebnisse in die Praxis.

Wie das aussehen kann, zeigt ein Besuch in der hochmodernen „Smart Factory“ am Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik der h_da: Die Anlage ist eine Produktionsstraße im Laborformat. Hier setzen Industrieroboter und sogenannte Handhabungssysteme, die etwa Teile greifen, in mehreren Schritten komplexe Teile zusammen. Diese werden später mittels automatischen Inspektionen auf ihre Qualität geprüft. Auf einem Schlitten wird das werdende Produkt von Station zu Station transportiert. Die effiziente Steuerung der Anlage basiere auf der Verarbeitung einer immensen Menge von Daten. Diese Komplexität zu beherrschen, sei nicht leicht, erklärt Prof. Dr. Stephan Simons, der als Spezialist für Industrie 4.0 und Digitalisierung mit der vernetzten Anlage forscht und lehrt. Da liege die große Stärke der Künstlichen Intelligenz: Sie könne den Menschen dort ergänzen, wo er aufgrund der Fülle an Daten und Varianten den Überblick verliert. „Es gibt einen starken Trend zur Individualisierung von Produkten. Den Kleinwagen Opel Adam kann man zum Beispiel in über 30.000 Varianten bestellen.“ Bei ähnlichen Produkten könnte KI zum Beispiel in der Qualitätskontrolle eingesetzt werden: Sind die richtigen Komponenten für den Kunden verbaut worden und entsprechen diese den Anforderungen?

KI erkennt Trends noch vor dem Menschen

Die am Kompetenzzentrum beteiligten Unternehmen – darunter ein mittelständischer Hersteller von Beleuchtungssystemen – könnten also durch KI-Lösungen ihre Produkte stärker individuell auf die Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden zuschneiden, sagt Simons. Ein weiteres Einsatzgebiet sieht er im Bereich „Predictive Maintenance“, also in der Vorhersage von Defekten. „KI kann Trends in Daten erkennen, lange bevor der Mensch es tut.“ Beispielsweise könne er die Schwingungen des Motors einer großen Maschine auswerten und schon bei kleinen Anomalien Alarm schlagen. Dann kann der Motor gewartet werden, noch bevor er kaputtgeht. Das verhindert den Stillstand der Produktion und damit potenziell große Einnahmeverluste. Auch cyber-physische Systeme spielen in diesem Spannungsfeld eine wichtige Rolle, ergänzt Prof. Dr. Sven Rogalski, Leiter der Forschungsgruppe Assisted Working and Automation an der Hochschule: „Man stelle sich stark manuell geprägte Montageprozesse vor, die wichtiges Fachwissen voraussetzen und von einer sehr qualifizierten, aber immer älter werdenden Belegschaft ausgeführt werden. Körperliche Beeinträchtigungen, die nicht allein dem Alter geschuldet sein müssen, führen zu variierenden Bearbeitungszeiten, die beispielsweise mit zunehmender Schichtdauer länger werden. Hier könnte ein mobiles, KI-gestütztes cyber-physisches System aushelfen, welches derartige Situationen selbständig erkennt und mehreren Personen gleichzeitig an einem Montageband assistiert, damit Fertigungsaufträge weiterhin rechtzeitig abgearbeitet werden.“

Dies sind alles Szenarien, die in Deutschland fern davon sind, zum Standard zu gehören. Verschenktes Potenzial, findet die Forschungsgruppe, gerade im Hinblick auf die Konkurrenz: „Im Vergleich zu China und den USA müssen wir uns beim Thema KI sehr sputen“, sagt Prof. Dr. Stephan Simons. Das gelte auch für die Hochschule, die durch das Kompetenzzentrum jetzt eine gute Möglichkeit bekomme, Studierenden praxisnah KI-Expertise zu vermitteln. Freilich geht es aber nicht darum, den beteiligten Unternehmen fremde Konzepte überzustülpen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen zunächst im Betrieb analysieren, wo der Mensch entlastet werden kann. Zum methodischen Handwerkszeug gehört auch die teilnehmende Beobachtung. „Es kann durchaus sein, dass wir uns einmal ans Förderband stellen oder zumindest daneben“, sagt Prof. Dr. Jörg von Garrel. Über Change-Management-Workshops und andere Methoden möchte der Professor für Prozess-und Produktinnovationen feinfühlig an das Thema heranführen und gleichzeitig mehr darüber erfahren, unter welchen Bedingungen der Einsatz von KI akzeptiert wird und die Arbeitsfähigkeit der Mitarbeitenden positiv beeinflusst werden kann.

Der Nutzen muss im Vordergrund stehen

Dass man KI-Lösungen nicht einfach Firma und Beschäftigten aufdrängen sollte, findet auch Prof. Dr. Bernhard Humm, der die h_da als Informatiker im Kompetenzzentrum vertritt. „Für mich steht immer der Nutzen für die Kundinnen und Kunden im Mittelpunkt. Deshalb werden wir mit den beteiligten Firmen zusammen ausloten, wo der Einsatz von Künstlicher Intelligenz Sinn macht.“ Humm, der auch eine der Gründungsprofessuren für das neue Hessische Zentrum für Künstliche Intelligenz mit Sitz in Darmstadt innehat, hat sich dem Thema schon aus vielen Richtungen genähert. Dass Besucher des virtuellen Städelmuseums beim Ansehen von Werken nun ähnliche Kunstobjekte angezeigt bekommen und Nutzerinnen und Nutzer einer Hotelplattform geeignete Unterkünfte sehen, geht auf seine anwendungsorientierte Forschung zurück. „KI wird von den meisten Menschen bereits täglich genutzt“, sagt Humm, „zum Beispiel beim Entsperren des Smartphones via Gesichtserkennung.“ Dass das Thema bei KI manchmal auf Vorbehalte stößt, kann Humm verstehen: „Es muss klar sein, wer die finale Entscheidung trifft, Mensch oder Maschine.“ Im medizinischen Bereich etwa muss die Entscheidung stets der Arzt treffen. Wenn allerdings eine KI-Software bei der Bildanalyse Krankheiten wie Krebs über lange Zeit zuverlässig erkennt, kann ein Gewöhnungseffekt eintreten. Entscheidet sich dann der Mensch bewusst gegen die Empfehlung der Maschine, so könnte er unter Rechtfertigungsdruck geraten. Das wäre fatal.“

Letztlich habe ein KI-System immer Grenzen. Strategisches Denken wie das Ersinnen neuer Geschäftsmodelle könne unmöglich ohne die menschliche Kreativität gelingen. Viele Ängste rund um KI sieht er deshalb dort am besten aufgehoben, wo sie am produktivsten genutzt werden – in Hollywood. „Das selbstfahrende Auto wird nicht plötzlich die Weltherrschaft übernehmen. Das ist absurd.“  

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Nico Damm
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