Die Mona Lisa ganz aus der Nähe betrachten, ohne vorher stundenlang in der Schlange vor dem Louvre anzustehen? Danach mal eben bei Vermeers „Mädchen mit dem Perlenohrring“ im Mauritshuis in den Haag vorbeischauen und dabei gleich noch weitere Porträts aus anderen Epochen oder Stilrichtungen entdecken? Schlendern per Mausklick durch die internationale Kunst- und Museumswelt – beim openArtBrowser geht Wissensvermittlung spielend leicht. Initiiert hat die Online-Plattform der Informatik-Professor Bernhard Humm, umgesetzt und weiterentwickelt haben das Projekt mehrere Generationen Studierender der Hochschule Darmstadt.
Von Astrid Ludwig, 6.4.2022
Vorlesungen zum Thema Künstliche Intelligenz sehen bei Bernhard Humm etwas anders aus. Zur Anschauung setzt der Informatik-Professor öfter mal Gemälde und Kunstwerke ein. Das hat nicht nur für ihn einen besonderen Reiz – auch seine Studierenden sind gleich ganz anders bei der Sache. Das war schon vor vier Jahren so, als sich eine Idee im Kopf des h_da-Informatikers festsetzte. Auch dabei ging es um Kunst, um die Idee für ein Internet-Portal, bei dem sich alles um Gemälde, Skulpturen, Fotografien, um Künstler:innen, Genres, Epochen oder Museen drehen sollte. Ein digitales Kunsterlebnis für jedermann: Der openArtBrowser war geboren. Aus der Idee für die Kunst-Plattform wurde ein fortlaufendes Studierendenprojekt. Gemeinsam mit seinen Nachwuchsinformatikerinnen und -informatikern realisierte Humm die Web-App und entwickelte sie sechs Semester lang mit gleich mehreren Generationen von Bachelor- und Masterstudierenden weiter. 2019 ging der openArtBrowser mit rund 100. 000 Kunstwerken online – heute finden Besucherinnen und Besucher dort 700.000 Kunstwerke aus 400 Stilrichtungen, mehr als 35 000 Kunstschaffende, 50 000 Motive sowie 37.000 Museen und Ausstellungsorte. Und es werden wöchentlich mehr.
Mischung aus Forschung und Lehre
Der h_da-Professor beschreibt den openArtBrowser als eine Mischung aus Forschung und Lehre – „ganz ohne Fördermittel“, betont er. Statt Geld ging es um Credit Points für die Studierenden und darum, dass sie Studieninhalte wie Künstliche Intelligenz, Ontologie-Extraktion oder semantische Anreicherung gleich in der Praxis anwenden können. Ziel des Projektes war und ist ein multimediales Kunsterlebnis im digitalen Raum, ein Schlendern durch die Epochen, bei dem Interessierte verschiedene Stilrichtungen, Künstler*innen, Materialien oder Motive kennenlernen können. „Ein Entdecken, ohne zu suchen, eine Kunstvermittlung, aber nicht im Schulstil oder mit erhobenem Zeigefinger “, erklärt Humm. Vielmehr sollen Nutzerinnen und Nutzer der Seite quai nebenbei Kunstwissen sammeln, indem sie nach Spaß und Laune durch das Angebot des openArtBrowsers surfen.
Viele Ideen und Konzepte hat der Informatik-Professor aus einem Forschungsprojekt übernommen, mit dem er, Kollegen und Studierende der h_da einige Jahre zuvor bereits für Aufsehen sorgten. In einem Konsortium unter anderem mit der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt und dem Software-Konzern SAP entwickelten die Fachbereiche Informatik und Media der Hochschule Darmstadt gemeinsam die „Digitale Sammlung“ für das Städel Museum Frankfurt. Eine App, die bei ihrem Launch bundesweit Aufmerksamkeit erregte. „Wir haben es damals sogar bis in die Abendnachrichten im Fernsehen geschafft“, erinnert sich Humm.
Aus Anlass des 200. Jubiläums des Städels und mit rund 2 Millionen Euro Fördermitteln vom Land Hessen hatten die beiden Fachbereiche der h_da über mehrere Jahre eine Online-Plattform entwickelt, mit der das Museum ein „eigenständiges Kunsterlebnis bieten wollte, nicht nur einen digitalen Abklatsch der physischen Ausstellungsräume“, sagt der Professor. Es sollte möglich sein, was im Museum nicht möglich ist. Dabei entstand unter anderem die charmante Idee, dass User selbst ihre eigene Ausstellung aus den Beständen des Städels kuratieren können. Per App waren Spaziergänge entlang der Kunstschätze im Depot oder Museum sowie Querbezüge jeder Art denkbar – die Fantasie war allein begrenzt durch die Anzahl an Kunstdaten, die das Städel exklusiv zur Verfügung stellte. „Das war ein tolles Projekt“, erinnert sich Bernhard Humm an die innovative Plattform, die noch immer online ist. Für die App wurden die beiden h_da-Professoren 2014 mit dem Forschungspreis der Hessischen Hochschulen für Angewandte Wissenschaften ausgezeichnet und das Städel 2015 mit dem „World Summit Award“ im Bereich Culture & Tourism.
Frei zugängliche Datenquellen aus der ganzen Welt
Für den openArtBrowser übertrug der h_da-Professor dieses Konzept auf einen OpenSource-Ansatz. Genutzt werden dafür nun nicht die limitierten, rechtlich geschützten Datensätze eines Museums, sondern frei zugängliche Quellen aus der ganzen Welt: Nämlich die von Wikidata und Wikimedia, Grundlagen des Internetdienstes Wikipedia. „Qualität und Metadaten – also zum Beispiel Informationen zu den jeweiligen Kunstwerken – sind natürlich nicht vergleichbar mit dem, was ein Museums-Team leisten kann“, sagt Humm, aber dennoch eine hervorragende Basis.
Ein erster Entwurf für den openArtBrowser entstand 2018/2019 in einem international besetzten Bachelorprojekt, erläutert der Informatiker. In den darauffolgenden sechs Semestern entwickelten mehr als 30 Studierende die Plattform fort – „alle mit großer Begeisterung“, freut sich der Professor. Einer von ihnen war Adrian Kailus, Masterstudent, der gerade seinen Abschluss in Informatik gemacht hat. Vier Semester lang hat er an dem Kunstbrowser mitprogrammiert und gearbeitet, ihn später sogar als Projektleiter betreut. Am Anfang des Projekts waren es sieben Dimensionen: Kunstwerk, Künstler, Stilrichtung, Motiv, Material, Genre und Standort. Später kam noch eine achte dazu, zum Typ des Kunstwerkes, berichtet Kailus.
Eingepflegt wurden unter anderem neue Daten und Informationen zu den jeweiligen Kunstwerken, es wurden Videos integriert und ein Zeitstrahl eingestellt, der beispielsweise den Schaffensprozess der Künstler*innen und Stilrichtungen darstellt. Mit einem sogenannten Webcrawler, den Studierende entwickelt haben, werden die Datensätze von Wikidata eingesammelt und an der richtigen Stelle einsortiert. „Das Projekt war sehr reizvoll und hat Spaß gemacht. Ich konnte meine Kenntnisse kreativ einbringen“, erzählt der 25-Jährige, der seine Masterarbeit über IT-Sicherheit geschrieben hat.
Tochterprojekt für das Bildarchiv Marburg entwickelt
Adrian Kailus´ Eltern sind beide Kunsthistoriker in Marburg. Auch sie verfolgten das Projekt des h_da-Fachbereiches Informatik mit großem Interesse. 2020 entstand daraus sogar ein Tochterprojekt für ihren Arbeitgeber, das „Deutschen Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte - Bildarchiv Foto Marburg“. „Ein Semester lang haben wir für das Bildarchiv eine Variante des openArtBrowsers entwickelt“, so Professor Humm. Das Marburger Institut, das zur Philipps-Universität gehört, ist mit rund zwei Millionen fotografischer Originalaufnahmen weltweit eines der größten Bildarchive zur europäischen Kunst und Architektur.
Aus Bernhard Humms Idee des Kunstportals ist ein Studierendenprojekt mit zahlreichen Fortentwicklungen entstanden. Mittlerweile eine Art Selbstläufer, denn der Inhalt des openArtBrowser wächst von alleine. „Einmal die Woche zapfen wir Daten bei Wikidata ab – das läuft automatisch“, erklärt der Informatiker. Mittlerweile haben User des Browsers die Wahl unter fast 800.000 Datensätzen. Und die Zahl wächst kontinuierlich. Wikidata wird von Freiwilligen gepflegt, „eine gigantisch große Datenquelle“, so der Professor. Den Weg in den Kunst-Browser finden so auch neuere Objekte – wie etwa die Stolpersteine. Die im Boden verlegten Gedenktafeln aus Messing erinnern an deportierte, vertriebene und ermordete Menschen während der NS-Zeit. Ein Projekt, das der Künstler Gunter Demnig 1992 initiierte.
Ebenso beständig wächst die Zahl der Zugriffe auf den openArtBrowser. 2021 waren es 16.000 Besuche mit 48.000 Seitenzugriffen. Die User kamen aus 82 Ländern; Spitzenreiter waren die USA, Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien. Kein Wunder, denn die Internet-Plattform ist mehrsprach. Informationen und Kunstwerke sind in fünf Sprachen abrufbar – auf Englisch, Deutsch, Französisch, Italienisch und eben Spanisch.
Lassen Sie sich inspirieren unter https://openartbrowser.org.
Kontakt
Christina Janssen
Wissenschaftsredakteurin
Hochschulkommunikation
Tel.: +49.6151.533-60112
E-Mail: christina.janssen@h-da.de
Interview im DLF
Prof. Dr. Bernhard Humm erklärt den openArtBrowser im Deutschlandfunk.
Pressemitteilung
Die Pressemitteilung zum openArtBrowser finden Sie auf der Website des idw.