„Postwachstumsökonomie für kleine und mittlere Unternehmen“ war Thema des fünften h_da Dialog-Forums am 17. April. Auf Einladung von h_da und Schader-Stiftung verfolgten im Schader-Forum mehr als 200 Gäste Redebeiträge und Diskussion und beteiligten sich mit Fragen. Protagonist des Abends war Prof. Dr. Niko Paech von der Universität Siegen, der prominenteste deutsche Vertreter der Postwachstumsökonomie.
Von Daniel Timme, 19.4.2024
„Eine ökologieverträgliche Wirtschaft kann niemals wachsen, während eine wachsende Ökonomie niemals ökologieverträglich sein kann.“ Mit diesem Zitat eröffnete Alexander Gemeinhardt, geschäftsführender Vorstand und Direktor der Schader-Stiftung, den Abend. Als Gastgeber begrüßte er zum fünften h_da Dialog-Forum mehr als 200 Besucher:innen im Schader-Forum. Nicht wenige von ihnen waren überrascht, als Gemeinhardt zum Ende seiner kurzen Begrüßung Prof. Dr. Niko Paech als Urheber des Zitats benannte. Jener Paech, prägende Persönlichkeit der Postwachstumsökonomie hierzulande, der als Referent schon in den Startlöchern saß.
Prof. Dr. Thomas Döring, Professor für Politik und Institutionen und Leiter des Servicezentrums Forschung und Transfer, begrüßte für die h_da. Als „spaßfreien Miesmacher“ habe die Bild-Zeitung Paech einst bezeichnet, führte Döring den Protagonisten launig ein – und vermutete zugleich, Paech dürfte das eher als Kompliment aufgefasst haben. Döring moderierte später gemeinsam mit Dr. Kirsten Mensch (Schader-Stiftung) die Podiumsdiskussion.
Dass eine sozial-ökologische Transformation zu Wachstum führen könne, glaube er inzwischen nicht mehr, sagte Prof. Dr. Ulrich Klüh, Professor für Volkswirtschaftslehre an der h_da, in seiner Einführung. Klüh, neben Paech und Döring dritter Volkswirt auf dem Podium, spitzte die absehbaren Folgen der gegenwärtigen „multiplen ökologischen und sozialpolitischen Krisen“ plakativ zu. „Über das Leben in den Ruinen des Kapitalismus“ – den Untertitel des Buchs „Der Pilz am Ende der Welt“ (Anna Lowenhaupt Tsing) zitierend, gab er zugleich dem, was folgen sollte, eine Überschrift.
Grünes Wachstum? Funktioniert nicht
Prof. Dr. Niko Paech startete mit dem Hinweis, ihm stünde heute leider nur ein Bruchteil seiner sonst gewohnten Redezeit von zwei bis vier Stunden zur Verfügung. Die Lacher provozierende Bemerkung offenbarte schnell ihren wahren Kern samt unbequemer Konsequenz: In seinem Vortrag „Unternehmertum in der Postwachstumsökonomie“ durchquerte Paech sein Fachgebiet im Schweinsgalopp, riss vieles an, ließ wenig aus – was allen Beteiligten hohe Konzentration abverlangte. Paech stellte Bausteine und Teildisziplinen, Dimensionen, Handlungsfelder und Handelnde der Postwachstumsökonomie dar und bot einen Bauchladen an Argumenten, mit denen Unternehmen eine Postwachstumsstrategie begründen könnten. Dabei griff er auch auf Argumente und Erkenntnisse aus Philosophie, Psychologie oder Soziologie zurück.
Mitschnitt der Diskussionsveranstaltung am 17. April 2024
Postwachstumsökonomie für kleine und mittlere Unternehmen: Vortrag Niko Paech und Podiumsdiskussion
Frühzeitig bekräftigte Paech, dass auch er nicht (mehr) an grünes Wachstum, also die Entkopplung der Wirtschaftsleistung von der damit einhergehenden Umweltbelastung, glaubt. „Alleine die Rebound-Effekte sind erdrückend“, sagte er und nannte exemplarisch Nebenwirkungen der deutschen Energiewende. Vielmehr glaubt Paech: „Wir stehen vor einer zweiten Welle der massiven Zerstörung.“ Quasi im Vorbeigehen lieferte er Thesen wie: „Unser Wohlstand ist nicht Resultat menschlicher Leistung, sondern in Gang gebrachter Prozesse der Maschinisierung. Die Postwachstumsökonomie ist die Rückgabe einer Beute.“ Die Rückkehr zu einer „kleineren Wirtschaft“ sei zwingend notwendig. Das, betonte Paech, sei weder innovationsfeindlich noch impliziere es, dass alle Unternehmen schrumpfen. Wohl aber müssten Unternehmen suffiziente Strategien gestalten, um unter diesen neuen Rahmenbedingungen zu besteh
Über die Genügsamkeit zur Bedürfnislosigkeit
Suffizienz – der von Paech eingebrachte Begriff wurde zum wohl meistbenutzten Terminus des Abends. Paech definierte Suffizienz, in Abgrenzung zu „nachhaltigem Konsum“, als „Nicht-Konsum, also ein Akt der Genügsamkeit oder des Neinsagens“. Das könne die Reduktion des Anspruchsniveaus (z.B. Fleischkonsum halbieren), die Selbstbegrenzung eines Versorgungsniveaus (z.B. Bekleidungsbestand) oder die vollständige Entsagung (z.B. kompletter Verzicht auf Flüge) sein. Mit Blick auf die hoffnungslos über ihre Verhältnisse lebenden Industrieländer diagnostizierte Paech: „Wir erleiden einen Konsum-Burnout.“ Mit dem ständigen „Mehr“ an Produkten und Besitz machten wir uns nicht glücklicher, sondern handelten uns, wissenschaftlich belegt, Reizüberflutung und Orientierungslosigkeit ein. Bedarfe müssten schrumpfen, Bedürfnislosigkeit zum Leitbild werden: „Wir sollten junge Menschen dafür begeistern, ein Leben zu führen, das nicht auf Verschleiß, sondern auf Erhalt beruht.“
Doch Suffizienz alleine genüge nicht. Es brauche zudem eine dynamische Regionalökonomie, in der Unternehmen etwa mit gebrauchten Gütern arbeiten oder Reparaturdienstleistungen anbieten. Paech warb dafür, Genügsamkeit auch in Unternehmensstrategien zu verankern – um dann Christel Maurer auf die Bühne zu holen. Die Beraterin von MCC Maurer Consulting & Coaching (Zürich), mit der er aktuell eng zusammenarbeitet, nannte Beispiele von Unternehmen verschiedener Größe und Rechtsform, die bereits postwachstumstaugliche Maßnahmen umsetzen und damit erfolgreich in ihrem Wettbewerb bestehen. Von der Reederei Maersk über den Outdoor-Anbieter Patagonia bis zur Hamburger Getränkemarke Premium-Kollektiv, die ihren geschäftlichen Radius freiwillig eingrenzt, um negative Umwelteffekte durch lange Transportwege zu vermeiden. Maurers Botschaft nebst Forderung: „Aus suffizienten Unternehmensstrategien kann multipler Nutzen entstehen. Es ist Zeit, dass die BWL sich des Themas annimmt!“
Paechs provokantes Postulat
„Die Mythen eines ‚grünen‘ Wachstums sind unbedingt zu dekonstruieren“, leitete Paech sein Fazit ein. Aus der Unmöglichkeit, Wirtschaftswachstum und Umweltbelastung zu entkoppeln, folgert er unter anderem, die Politik könne nicht zur Problemlösung beitragen. Denn: Wo keine „glaubwürdigen Entkopplungsnarrative“, da keine Mehrheiten. Stattdessen brauche es nachhaltige Lebensführungen sowie autonome und reduktive Versorgungspraktiken. Auf den Fokus des Abends gemünzt: „Nachhaltige Unternehmensstrategien sind nur wirksam, wenn sie mit der Senkung der Konsumnachfrage synchronisiert sind.“ Ein kultureller Wandel sei entscheidend und suffizientes Unternehmertum ein Zukunftsmodell. Paech sieht also Konsument:innen und Unternehmen am Zug, nicht aber die Politik.
Was tun? Und: Wer kann (überhaupt noch) was tun? – Diese Fragen bestimmten den abschließenden Austausch auf dem Podium wie mit dem Publikum. Paechs provokante These, wonach die Politik hier nichts beizusteuern habe, diente als Bezugs- und Reibungspunkt. Paech legte nach: Es gebe kein Land, in dem es die Politik je auch nur gewagt habe, über Postwachstum zu sprechen. „Keine demokratisch gewählte Regierung kann gegen die Lebensrealität der Wähler:innen vorgehen. Das wäre politischer Selbstmord!“ Susanne Langsdorf von der Umwelt-Denkfabrik Ecologic Institute (Berlin) hielt dagegen: „Es wäre falsch, ein gesamtgesellschaftliches Problem auf die Einzelnen abzuwälzen. Das ist schon eine politische Aufgabe.“
Pioniergeist und Pullis, Preismodelle und Politik
„Ich erlebe Gesellschaft und Systeme derzeit als zerbrechlich“, sagte Dr. Sandra Wolf, Geschäftsführerin des Fahrradherstellers Riese & Müller (Mühltal) und führte exemplarisch rechtsradikale Tendenzen und Kriege an. Für Politik wie Unternehmen sei es da besonders schwierig, mutige Entscheidungen zu treffen. Aus ihrer unternehmerischen Praxis und in der Gegenüberstellung der Verkehrsmittel Auto und Fahrrad befand Wolf: „Die Politik entscheidet sich oft für die alte, nicht für die neue Industrie.“ Eine Beobachtung, die Ulrich Klüh teilt: Finanzmittel flössen eher an etablierte Firmen und nicht zu den in diesem Kontext „richtigen“ Unternehmen.
Als solches darf die Oktopulli GmbH (Berlin) gelten, deren Geschäftsführerin Nancy Frehse mit auf dem Podium saß. Ihr Unternehmen fertige fast ausschließlich nach Bedarf und auf Bestellung, unter anderem „mitwachsende“ Kinderpullover – ein Gegenentwurf zu Fast Fashion. Paechs Meinung, wonach von der Politik nichts zu erwarten sei, hielt Frehse entgegen: „Es braucht unseren Pioniergeist, aber auch die Politik, die hier und da einen Schubs gibt!“ Zugleich sei Umverteilung durchaus auch Thema innerhalb von Unternehmen: „Wir haben ein solidarisches Preismodell. Der Einstiegspreis ist kostendeckend, aber wer mehr zahlen kann, kann das tun.“
Niko Paech lobte derlei ausdrücklich, sieht den Bogen aber bereits überspannt: „Wir leben derart über unsere Verhältnisse, dass sich bald viele Menschen diesen ruinösen Lebensstil nicht mehr leisten können werden.“ Ganz gleich, was wir noch diskutierten oder täten: „Wir können nur noch versuchen, den Aufprall zu bremsen.“ Ein dystopisches Szenario, das Paech als analytisch-nüchterne Einsicht des Wissenschaftlers in empirische Tatsachen verkaufte. Den dadurch provozierten Widerspruch hielt er gerne aus.
Im Rettungsboot der Katastrophe entgegen
Ulrich Klüh bemühte erneut das Bild vom Überleben in den Ruinen des Kapitalismus und mahnte: „Wir müssen den Glauben daran verlieren, dass technologischer Fortschritt unsere Probleme lösen wird.“ Er wollte aber nicht so weit gehen, der Politik jegliche Einflussmöglichkeiten abzusprechen. Susanne Langsdorf nahm hierzu eine optimistischere Position ein und verwies auf die Sustainable Development Goals als Zielsetzung der UN. Jedenfalls befand sie: „Wir müssen nicht hier sitzen und auf die Katastrophe warten.“
Zwar blieb Niko Paech bei seiner Meinung, hatte aber auch Überlebensstrategien im Notfallkoffer: „Wir müssen unsere Ansprüche zurückschrauben, die Kunst der Unterlassung üben und lernen, wie sich das anfühlt. Wir müssen die Menschen fit machen, das auszuhalten.“ Wir sollten Erfahrungen ansammeln und zu Vorlagen verarbeiten – die wir schon bald anwenden müssten. Paechs abschließende Metapher: Es sei zwar zu spät, die Titanic noch zu retten. Aber wir könnten so viele Rettungsboote wie möglich bauen. Und die Politik? „Die zieht dann irgendwann nach, wenn sie sieht, dass Rettungsboote besser sind als die Titanic.“
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