Vage Vision oder ernsthafte Ergänzung? Diese Frage schwebte über dem ersten Seilbahntag. Der Regionalverband FrankfurtRheinMain hatte am 8. Mai zu einem offenen Austausch über die Realisierbarkeit urbaner Seilbahnen ins Haus der Region nach Frankfurt eingeladen. Rund 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren der Einladung gefolgt. Jürgen Follmann, Verkehrsexperte der h_da, zählt zu den Initiatoren. Einige seiner Studierenden stellten Ideen für urbane Seilbahntrassen vor, die sie erarbeitet haben.
Rote Ampeln, abgasgeschwängerte Luft, gereizt hupende Autofahrer – für viele Menschen im Ballungsraum Rhein-Main gehört das zum Alltag. Wie verlockend klingt es da, einfach über den Stau hinwegzuschweben, statt unfreiwillig Teil des Verkehrskollaps‘ zu sein. Diese schöne Vorstellung speist sich aus einer Idee, die innerhalb kurzer Zeit große öffentliche Aufmerksamkeit erregt hat: urbane Seilbahnen. Der erste Seilbahntag des Regionalverbands FrankfurtRheinMain bot am 8. Mai Ideengebern, Beteiligten und Interessierten ein Forum, um sich zu informieren und zu diskutieren. Dabei wurden Potenziale und Grenzen dieses gar nicht so neuen Verkehrsmittels ausgelotet, das wir bislang zwar mit Bergtourismus oder besonderen Sehenswürdigkeiten, nicht aber mit unseren Alltagswegen in Verbindung bringen.
Veranstalter und Gastgeber des Seilbahntags war Thomas Horn, der Direktor des Regionalverbandes. Unterstützt wurde er durch ein Team vom Schwerpunkt Verkehrswesen beim Fachbereich Bauingenieurwesen der h_da. Horn nannte den Dauerstau auf den Straßen und Engpässe auf den Schienen sowie den ökologischen Fußabdruck und die Luftverschmutzung als Motive, den öffentlichen Nahverkehr attraktiver zu machen und auszubauen. Vor diesem Hintergrund machte er deutlich, dass urbane Seilbahnen für ihn „nicht nur eine Vision“ seien. Er möchte die Straßen- und Schienennetze durch die urbanen Seilbahnen entlasten. Dafür formulierte er sogar ein klares Ziel: „Rechtzeitig zur Fußball-Europameisterschaft im Jahr 2024 sollen die ersten Gondeln hier in unserer Region schweben.“ Der Regionalverbandsdirektor hofft, dass dann eine Seilbahn den Flughafen mit dem Frankfurter Stadion verbindet. Das sportliche Großereignis, das zusätzliches Verkehrsaufkommen mit sich bringt, könnte die Pläne rund um das alternative Verkehrsmittel beschleunigen. Der Regionalverband hat die h_da beauftragt, potenzielle Seilbahnstandorte in Frankfurt zu prüfen.
Luftbilder möglicher Streckenverläufe
Professor Dr. Jürgen Follmann, Dekan des Fachbereichs Bauingenieurwesen der h_da und Verkehrsexperte, hat sich des Themas gemeinsam mit Mitarbeitern und einem studentischen Team angenommen. Ihre Ideen stellten sie am Ende der sehr gut besuchten Veranstaltung vor. Flankiert wurde das Referat durch großformatige Poster. Sie zeigten Luftbilder, in die mögliche Streckenverläufe eingezeichnet wurden. Mit Professor Knut Ringat, Geschäftsführer des Rhein-Main-Verkehrsverbundes (RMV), macht sich ein weiterer einflussreicher Akteur für die Idee stark. Ringat gab zu bedenken, dass die Kapazitäten des öffentlichen Nahverkehrs auf Straßen und Schienen nur noch begrenzt erhöht werden können. Zwischen Planungsbeginn und Eröffnung von Schienentrassen oder Tunnel vergingen zudem meist 25 bis 30 Jahre. Seilbahnverbindungen ließen sich baulich dagegen binnen weniger Jahre umsetzen.
Beispiele für temporäre und dauerhafte urbane Seilbahnen in Deutschland und der Welt gibt es einige – von Südamerika bis Koblenz. Im Haus der Region lieferten beim Seilbahntag unter anderem Seilbahnhersteller, Stadtplaner sowie Politiker, die mit Bürgerbeteiligung bei ähnlich gelagerten Projekten befasst sind Input und Impulse. Der Tenor: Die auf Anhieb exotisch wirkende Idee könnte eine ganze Reihe von Vorteilen mit sich bringen. Kurze Planungs- und Bauzeiten, geringe Eingriffe in die Natur, leicht rückbaubar, flexibel in der Kapazität, geringe Betriebskosten: das wären aus Sicht von Bauern und Betreibern wesentliche Vorzüge der urbanen Seilbahnen. Ähnlich positiv lesen sich die Vorteile für die Nutzerinnen und Nutzer: Sie sind schwebend auf der Luftlinie – dem kürzesten Weg zum Ziel – unterwegs und nutzen dabei ein umweltfreundliches, leises, barrierefreies und sicheres Verkehrsmittel.
Zur Sprache kamen aber auch Hürden und Nachteile. So führt das Handout der h_da-Studierenden neben den Vorteilen auch Schwächen und Beschränkungen des Verkehrsmittels auf. Beispielsweise sei der Flächenbedarf der Haltestellen groß und eigneten sich die Seilbahnen nur für bestimmte Verbindungen, nämlich „aufkommensstarke Punkt-zu-Punkt-Relationen (geringe Haltestellendichte)“. Zu viele Stopps würden die Fahrzeit erheblich verlängern – denn an den Haltestellen muss die Geschwindigkeit der Kabinen stark gedrosselt werden. Die Geschwindigkeit von bis zu 30 Kilometer pro Stunde ist im Vergleich zum meist stockenden und oft genug stehenden Stadtverkehr zwar attraktiv. Außerorts sind Pkw, Busse oder Züge dagegen meist deutlich schneller unterwegs. Daraus ergeben sich Korridore bis etwa acht Kilometer für den Einsatz des alternativen Verkehrsmittels. Die vermutlich größte Herausforderung liegt jedoch dort, wo eine Seilbahntrasse private Wohngebiete überspannt. Denn viele Anwohner dürften wenig begeistert sein, wenn die schwebenden Seilbahnpendler aus der Vogelperspektive in ihren Garten oder auf die Dachterrasse schauen.
Machbarkeitsstudien empfohlen
Die h_da-Studierenden vom Fachbereich Bauingenieurwesen hatten sich außer mit möglichen Standorten und Trassen unter anderem mit Faktoren wie Geschwindigkeit, Taktung, Kabinengröße und der daraus folgenden Kapazität pro Stunde und Richtung befasst. Lieselotte Heldmann-Stagner und Michèle Rämö stellten stellvertretend für die beteiligten Studierenden die Ergebnisse ihrer Arbeit vor. Sie empfehlen vertiefende Machbarkeitsstudien für drei mögliche Trassen. Die erste Strecke würde von der S-Bahn-Station Höchst-Farbwerke über die Ballsporthalle (Fraport-Arena) zum Main-Taunus-Zentrum führen. Eine weitere Route könnte von der geplanten Multifunktionshalle am Kaiserlei (Offenbach) über den zu realisierenden S-Bahnhof Oberrad und die Hanauer Landstraße zur U-Bahn-Station Eissporthalle verlaufen. Schließlich raten die Studierenden dazu, die von Verbandsdirektor Thomas Horn genannte Variante eingehend auf Machbarkeit zu prüfen. Diese verliefe zwischen dem ab 2021 stufenweise in Betrieb gehenden Terminal 3 des Flughafens über die S-Bahn-Station Neu-Isenburg-Zeppelinheim und das Frankfurter Waldstadion bis zum S-Bahnhof Louisa.
Der Blick der Befürworter auf die urbanen Seilbahnen, das wurde beim ersten Seilbahntag klar, ist ein realistischer, kein rosarot gefärbter. Initiatoren, Referentinnen und Referenten machten klar, dass die Seilbahnen alleine nicht die Verkehrsprobleme lösen werden. An den richtigen Punkten eingesetzt, könnten sie aber Lücken im Nahverkehrsnetz schließen und als eine wichtige Ergänzung Entlastung schaffen. Professor Jürgen Follmann sieht urbane Seilbahnen als „Missing Link“ und einen „Baustein, der bei der Mobilitätswende eingesetzt werden muss“, ist sich aber der noch zu lösenden Probleme bewusst. Aber wenn es gelinge, die politischen Entscheider zu überzeugen, gebe es eine gute Chance, dass die Seilbahnen realisiert werden. Thomas Horn wollte den ersten Seilbahntag als politischen Anstoß im Verbandsgebiet verstanden wissen: „Es wird Zeit und es ist zwingend notwendig, Lösungen mit konkretem Planungsziel für Frankfurt und die Region zu präsentieren.“ Es brauche eine Zusammenarbeit auf allen Ebenen, „um einem nahenden Verkehrskollaps zu entschweben“, schloss der Verbandsdirektor.
Knut Ringat sagte, der RMV prüfe zunächst die Realisierbarkeit einer Strecke von Schmitten im Taunus über den Großen Feldberg bis zur U-Bahn-Station Hohemark in Oberursel. Die Machbarkeitsstudie soll bis Ende des Jahres vorliegen – und als Blaupause für weitere Studien dienen. Das erste Seilbahn-Projekt könnte also schon auf dem Weg von der Vision ins schwebende Verfahren sein.
Autor
Daniel Timme
Mai 2019
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