„Wir brauchen Alternativen zu Facebook und Twitter“

Prof. Dr. Thomas Pleil lehrt Online-Kommunikation an der Hochschule Darmstadt (h_da) und ist Sprecher des Instituts für Kommunikation und Medien (ikum). 2018 wurde er mit dem h_da-Wissenschaftspreis ausgezeichnet. Im impact-Interview sagt der Social-Media-Experte, die Sperrung des Twitter-Accounts von Donald Trump sei zu spät gekommen. Um die Polarisierung des öffentlichen Diskurses im Netz zu stoppen, brauche es alternative Anbieter und gemeinwohlorientierte Geschäftsmodelle.

Ein Interview von Christina Janssen, 5.2.2021

impact: Herr Pleil, Sie sind Professor für Online-Kommunikation. Welche Rolle spielen die sozialen Medien als Thema in Ihrer Lehre und Forschung?

Pleil: In der Lehre geht es an erster Stelle um die Frage, welche Qualitäten soziale Medien für die Kommunikation mit unterschiedlichen Zielgruppen haben können – mit Kundinnen und Kunden oder Mitarbeitenden etwa. Auch die Rekrutierung über soziale Medien oder die Rolle von Influencerinnen und Influencern sind wichtige Aspekte. Hier sprechen wir also primär über Public Relations und Marketing. Im Studiengang Onlinekommunikation geht es zudem um Lernen mit sozialen Medien und Medienkompetenz. In meiner Forschung betrachte ich die sozialen Medien stärker unter gesellschaftspolitischen Aspekten. Hier geht es beispielsweise um die Rolle der Social Media im Umfeld des Populismus, in der Nachhaltigkeitskommunikation oder auch beim Campaigning von Nonprofit-Organisationen. Das ist ein breites Anwendungsfeld. Und das liegt auch daran, dass die sozialen Medien – neben den etablierten klassischen Medien – einen wichtigen Anteil daran haben, Öffentlichkeit herzustellen.

impact: Bleiben wir doch – aus aktuellem Anlass – zunächst beim Thema Populismus. Ihre Einschätzung als Experte: Wäre der Aufstieg Donald Trumps ohne Twitter denkbar gewesen?

Pleil: Nein, wahrscheinlich wäre das nicht so einfach gewesen. Allerdings muss man auch die Wechselwirkungen im Blick haben. Trump hatte zusätzlich auch klassische Medien wie Fox News, die ihn massiv unterstützt haben. Durch diese Kombination konnte er deutlich mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen, als es allein über Twitter möglich gewesen wäre.

impact: Trump konnte über die sozialen Netzwerke jahrelang unzensiert Lügen und Hassbotschaften verbreiten. Machen sich Konzerne wie Twitter oder Facebook für Klickzahlen zu Komplizen von Demagogen und Chauvinisten?

Pleil: Die Gefahr besteht. Grundsätzlich wissen wir aus der frühesten Internetforschung, dass unmoderierte öffentliche Kommunikation im Netz Menschen anzieht, die sich trollartig verhalten. Wenn das nicht geahndet wird, gehen diese Leute immer weiter – teilweise aus Spaß, teilweise weil sie niedere Absichten verfolgen. Die Unternehmen haben da schwierige Abwägungen zu treffen. Letztendlich geht es immer um die Frage, wann die Grenzen der Redefreiheit überschritten sind. Twitter und die anderen Social-Media-Plattformen haben dazu ihre Hausregeln. Die Frage ist allerdings, wie gut sie diese Regeln durchsetzen können oder wollen und ob wir diese als angemessen betrachten. Im Fall Donald Trumps kam erschwerend hinzu, dass es sich um eine absolute Person der Zeitgeschichte handelte. Entsprechend wurde von den Plattformen argumentiert: Wir würden das nicht jedem durchgehen lassen, aber der Präsident der Vereinigten Staaten ist eine andere Nummer. Da sollen sich die Leute selber ein Bild machen können, was für ein Typ das ist.

impact: Das heißt, jeder andere als Trump wäre früher gesperrt worden?

Pleil: Vermutlich ja. Es gab ja auch Versuche ihn zu bändigen, indem man seinen Account kurzzeitig abgestellt oder versucht hat, die Leute mit zusätzlichen Informationen aufzuklären. Twitter war da – im Gegensatz zu Facebook – ziemlich kreativ. Fragwürdige Posts von Trump wurden markiert und Gegenposition veröffentlicht. Oder man hat verhindert, dass bestimmte Botschaften weiterverbreitet oder geliked werden können. Aktuell experimentiert Twitter mit einem neuen Ansatz des Fact Checkings durch Ehrenamtliche.

impact: Musste es wirklich erst zum Sturm aufs Kapitol kommen, bevor Trumps Account dauerhaft gesperrt wurde…?

Pleil: Ich finde auch, dass das alles zu spät passiert ist.

impact: Die sozialen Medien sind offenkundig zu einem Machtfaktor in unseren Demokratien geworden, der sich der demokratischen Kontrolle entzieht…

Pleil: Die sozialen Medien, wie wir sie heute kennen, sind nun einmal privatwirtschaftlich organisiert – das haben wir bislang toleriert. Gleichzeitig nehmen sie öffentliche Aufgaben wahr. Die Social-Media-Plattformen versuchen sich in Tippel-Schrittchen Lösungen anzunähern. Das Grundproblem aber bleibt: Das Geschäftsmodell dieser Unternehmen basiert auf Daten, Vermarktung von Informationen und Wachstum. Sie brauchen immer mehr Nutzerinnen und Nutzer und müssen ihre Plattformen immer attraktiver machen.

impact: Attraktiver machen heißt, gezielt auf Polarisierung zu setzen, weil das Klicks bringt?

Pleil: Das Polarisierende ist nicht unbedingt Teil des Geschäftsmodells, aber es ist eine logische Konsequenz daraus: Die sozialen Medien leben davon, dass sich jeder von uns mit möglichst vielen anderen vernetzt. Allerdings sind wir gar nicht in der Lage, hunderte von Kontakten aktiv zu pflegen. Deshalb servieren uns Algorithmen eine Auswahl aus dem unendlichen Strom an Informationen – die vermeintlich relevantesten Häppchen. Die Forschung hat vielfach belegt, dass dadurch oft hochemotionale, polarisierende Themen nach oben gespült werden. Die ganze Problematik des Kommunikationsklimas hat sich meines Erachtens verschärft, seit diese Algorithmen eingeführt wurden.

impact: Die Algorithmen filtern, das Problem der Überforderung lösen sie aber nicht, oder?

Pleil: Das Thema Überforderung spielt eine große Rolle. Wir werden überflutet von Informationen. Es ist ein Nebeneinander von sehr unterschiedlichen Informationsqualitäten und Absendern. Viele Menschen können oder wollen da nicht richtig differenzieren. Stichwort Medienkompetenz: Kritisches Hinterfragen und das Faktenchecken müssten in der breiten Bevölkerung stärker etabliert werden. Hinzu kommt ein Phänomen, das manche in der Politikwissenschaft derzeit beschreiben: Unsere repräsentative Demokratie ist ein Modell des späten 19. oder 20. Jahrhunderts, aber die Kommunikation ist im 21. Jahrhundert angekommen. Das passt nicht zusammen, immer weniger Menschen fühlen sich angesprochen und gut aufgehoben. Und dann wiederum erscheint das Emotionale viel magnetischer, die Abgrenzung vom Etablierten. Dann folgt man eher einem Troll.

impact: Umso wichtiger wäre es dann doch, dass die sozialen Medien dazu beitragen, unsere Demokratien zu stärken. Wie kann das gelingen?

Pleil: Ich glaube nicht daran, dass man das Problem allein über strengere Regularien lösen kann. Die Wachstumsideologie, der digitale Neoliberalismus muss durchbrochen werden. Das könnte gelingen, wenn wir eine größere Vielzahl an Plattformen hätten. Zudem: Derzeit sind alle Informationen in einzelnen sozialen Netzwerken eingebunkert. Ich kann nur innerhalb eines Netzwerks kommunizieren. Und wenn ich das Netzwerk wechsle, muss ich meine kompletten Verbindungen neu aufbauen. Technisch wäre es aber möglich, Querverbindungen und Interoperabilität herzustellen – wie beim Mailen, wo es auch keine Rolle spielt, ob der Empfänger bei einem anderen Anbieter ist. Wir brauchen mehr Alternativen zu Facebook und Twitter, kleinere soziale Netzwerke, mehr Vielfalt und Heterogenität. Der nächste Schritt wäre dann, auch neue Geschäftsmodelle zu schaffen, die gemeinwohlorientiert sind. Warum sollte beispielsweise nicht über ein öffentlich-rechtliches soziales Netzwerk diskutiert werden, oder ein genossenschaftliches?

impact: Wenn wir darüber sprechen möchten, wie man Verschwörungstheorien und Demagogie den Nährboden entziehen könnte, muss man vermutlich noch einige Ebenen tiefer gehen. Viele Menschen sind offenkundig bereit, einfach alles zu glauben. Was tun?

Pleil: Digitale Bildung ist sehr wichtig. Und Fact Checking durch Journalisten oder unabhängige Vereine wie Mimikama. Aber der Journalismus befindet sich in der Krise, Vereine wie Mimikama müssen sich finanziell durchhangeln. Ich halte es deshalb für notwendig zu überlegen, inwieweit wir als Gesellschaft in die Qualität der öffentlichen Kommunikation investieren sollten. Auch das „Flaggen“ von fragwürdigen Postings wie bei Trumps Twitter-Account sollte intensiviert werden. Und an einigen Stellen – wenn es etwa um Rassismus oder Volksverhetzung geht – muss natürlich der Gesetzgeber eingreifen.

impact: Die EU versucht mit dem Digital Services Act, Spielregeln zu formulieren und Internetkonzerne in die Verantwortung zu nehmen. Künftig drohen Strafzahlungen, wenn Hetze und Gewaltaufrufe nicht zügig aus dem Netz genommen werden. Für wie sinnvoll halten Sie das?

Pleil: Das ist sehr wichtig, damit die wirtschaftlich denkenden Betreiber die Sache ernst genug nehmen und ausreichend Ressourcen dafür vorsehen. Der entscheidende Punkt ist, Leitplanken festzulegen und Reaktionszeiten vorzugeben. Und diese Reaktionszeiten müssen umso kürzer sein, je größer eine Plattform ist, denn umso größer ist ja auch die Auswirkung von Posts, die gegen das Reglement verstoßen. So sieht es Brüssel auch vor, das scheint mir sehr plausibel.

impact: Unterm Strich – wäre die Welt eine bessere ohne die sozialen Medien?

Pleil: Ich finde das schwer zu beurteilen, weil die sozialen Medien – auch global gesehen –unterschiedliche Funktionen erfüllen. Für politische Aktivisten und Dissidenten in Autokratien und Diktaturen sind die sozialen Medien überlebenswichtig. Im privaten Umfeld haben sie einen stark verbindenden Charakter. Auch fach- und themenspezifisch können wir uns besser vernetzen. Denken wir zum Beispiel an Menschen mit seltenen Krankheiten, die sich über soziale Medien austauschen können. Es steht mir nicht zu, da ein Urteil zu fällen. Die sozialen Medien sind einfach da. Und ich halte es für unsere Aufgabe, sie bestmöglich zu entwickeln.

Mehr Informationen:

Website von Prof. Dr. Thomas Pleil: https://thomaspleil.de 
Studiengang Online-Kommunikation: https://ok.mediencampus.h-da.de 
Institut für Kommunikation und Medien: https://ikum.mediencampus.h-da.de/

Kontakt

Christina Janssen
Wissenschaftsredakteurin
Hochschulkommunikation
Tel.: +49.6151.16-30112
E-Mail: christina.janssen@h-da.de