Mit Vanille aus der Armut

Mit Vanille aus der Armut

Es ist eines der beliebtesten und teuersten Gewürze und entstammt größtenteils aufwendiger Handarbeit von kleinbäuerlichen Familien im armen Madagaskar: Wie der Anbau von Vanille sozial und ökologisch nachhaltig gelingen kann, zeigt ein Forschungsprojekt unter Leitung von Jan Barkmann am h_da-Fachbereich Gesellschaftswissenschaften auf. Ein zentrales Ergebnis: Eine Menge des Vanille-Booms kommt bei den Kleinbauern an und sichert ihnen ein gutes Einkommen.

Von Alexandra Welsch, 5.12.2022

Vanille ist in aller Munde - nicht nur zur Weihnachtszeit in Form süßer Kipferl. Das Gewürz aus der Frucht der Vanille-Orchidee veredelt ganzjährig Eis oder Joghurts. Bei Jan Barkmann zu Hause aromatisiert es etwa Flan oder selbst gemachte Mirabellenmarmelade. „Vanille ist eines der beliebtesten Gewürze der Deutschen“, sagt der Professor für Risiko- und Nachhaltigkeitswissenschaften am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der h_da. 60 bis 80 Prozent der Vanille stammen aus Madagaskar und werden dort von kleinbäuerlichen Familien angebaut, für die die Herstellung eines der teuersten Gewürze der Welt oft ein Weg aus der Armut ist.   

Wie die Vanille-Produktion möglichst sozial und ökologisch nachhaltig gelingen kann, hat Barkmann im Rahmen des von der Volkswagenstiftung mit knapp drei Millionen Euro geförderten interdisziplinären Forschungsprojekts „Diversity Turn“ in Kooperation mit der Universität Göttingen und madagassischen Partnern vor Ort untersucht. Aufgeteilt in mehrere Teilprojekte haben die Forschenden untersucht, wie sich der Anbau von Vanille wirtschaftlich, sozial und ökologisch in den Dörfern im Norden Madagaskars auswirkt. Im Sinne einer angewandten Diversitätsforschung hatten die Wissenschaftler Macht-, Bildungs- und Einkommensunterschiede im Blick. Die Ergebnisse sind in den wissenschaftlichen Fachzeitschriften „Proceedings of the National Academy of Sciences“ und „Nature Communications“ publiziert worden – international renommierte Veröffentlichungen mit einem hohen Impact-Faktor, wie der h_da-Professor unterstreicht: „Solche interdisziplinären Analysen sind weltweit gefragt. Die Studien werden dann typischerweise hundertfach zitiert.“

Die Blüten werden von Hand bestäubt

Die Ausgangslage in Madagaskar: In der Sava-Region im Nordosten bauen zehntausende bäuerliche Familien auf kleinen Flächen am Rand des Regenwalds in aufwendiger Handarbeit Vanille an. Sie bestäuben jede Blüte von Hand - mangels entsprechender Insekten für die von französischen Kolonisatoren dorthin gebrachten Gewächse. Traditionell ging die Vanille von den Kleinbäuer*innen an Ankäufer und von dort an weiterverarbeitende Unternehmen und Export-Firmen und letztlich an internationale Aroma- und Lebensmittelhersteller. Oftmals kam nur ein kleiner Teil der Wertschöpfung in den Dörfern an.

Doch seit den 2000er Jahren verändert sich die Wertschöpfungskette, wie Barkmann erläutert: „Im Rahmen ihrer Nachhaltigkeits- und Clean-Label-Strategien haben internationale Lebensmittelkonzerne wie Unilever beschlossen, vermehrt echte und nachhaltig hergestellte Vanille zu verwenden.“ In der Folge hätten internationale Aromahäuser begonnen, die Vanille direkt von den Familien in den Dörfern zu kaufen. „Die Unternehmen brauchen einen festen Lieferantenstamm“, umreißt der Umweltökonom das Interesse dahinter. Nur so lasse sich die Vanille nach internationalen Kriterien, zum Beispiel als Ökoprodukt, zertifizieren. In diesem Kontext galt es zu untersuchen, ob diese Entwicklung den Kleinbauern und dem Regenwald hilft.

In dem von Barkmann geleiteten Teilprojekt wurden vier Fragen untersucht. Zusammen mit dem Darmstädter Doktoranden Lloyd Blum wollte das Team erfahren, unter welchen Bedingungen die Familien Verträge mit internationalen Ankäufern abschließen. „Als Besonderheit wurden die meist männlichen Haushaltsvorstände und die Ehefrauen gesondert darüber befragt, ob sie etwa Öko- oder Fair-Trade-Verträge vorziehen“, erläutert Barkmann. Mit der madagassischen Doktorandin Fanilo Andrianisaina analysierte er die Wirtschaftlichkeit des Anbaus von Vanille-, Nass- und Trockenreis im Projektgebiet. „Zu dieser zentralen Frage waren noch niemals zuvor belastbare Zahlen veröffentlicht worden.“ Drittens galt es, die gesamte Wertschöpfungskette von den Kleinbauern in der Sava-Region bis zu den Verbraucherinnen in Europa zu analysieren. Die vierte Aufgabe bestand darin, „diese Einzelanalysen so zu planen und zusammenführen, dass unsere Ergebnisse nahtlos mit den Ergebnissen der ökologischen Teilprojekte zusammenpassten“.

Zu Fuß zum Interview

Allein für die Erhebung der Ausgangslage im Projektgebiet hat das Team rund 1000 Familien vorwiegend mündlich befragt. Dabei mussten die Forschenden in der ländlichen Region auch manche logistische Herausforderung meistern. „Leider mussten wir die Befragung aus logistischen Gründen auf Dörfer beschränken, die höchstens 10 Kilometer von der nächsten einigermaßen befahrbaren Piste entfernt liegen“, sagt Barkmann, der für das Projekt sowie andere Forschungsarbeiten sieben Mal auf Madagaskar war. Manches Dorf sei zur Regenzeit nur zu Fuß erreichbar gewesen. Dort angekommen, bedarf es dann stets eines persönlichen Türöffners für die Befragung. „Man muss man immer zuerst mit dem Dorfpräsidenten reden.“

Zutage gefördert hat das aufwendige Projekt für den Nachhaltigkeitswissenschaftler viel Erfreuliches: Der Vanille-Anbau benötige zwar viel Arbeitskraft, bringe aber schon auf einer kleinen Fläche einen guten Gewinn. „Ein großer Prozentsatz der augenblicklich hohen Preise kommt tatsächlich bei den Familien an.“ Dadurch könnten sie sich ernähren sowie in Haus, Gesundheit und Bildung der Kinder investieren. Es lohne sich auch, Vertragspartner etwa der deutschen Symrise AG zu werden, einem der größten Käufer madagassischer Vanille. Dadurch erhöhe sich das Einkommen um etwa zwanzig Prozent. Zudem biete der Konzern Fortbildungen, zinslose Kredite und subventionierte Krankenversicherungen an. Dennoch klaffe auch hier gelegentlich ein Unterschied zwischen den Versprechen, Armut zu bekämpfen, und der Realität vor Ort. „Die Unternehmen vernachlässigen etwa die kleinsten Kleinbauern.“ Es sei zu teuer, sich auch bei ihnen gute Vanille zusammenzusuchen.

Vanille-Anbau erhöht Vielfalt im Regenwald

Der Vanille-Anbau berge auch ökologische Vorteile: Im Vergleich zum Anbau von Trockenreis, der im Norden Madagaskars größere Flächen einnimmt, befördere Vanille die Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten. Die an anderen Gehölzen hochrankende Schattenpflanze kann gut am Rande des Waldes angebaut werden, der dafür nicht komplett abgeholzt oder neu gerodet werden muss. Barkmann und seine Kolleg*innen schlagen daher vor, mehr Vanille vor allem dort anzubauen, wo jetzt Trockenreis steht.

Allerdings sei ein Anbau nach Ökosiegel bei den Kleinbauern „nicht besonders beliebt“, so der Nachhaltigkeitswissenschaftler weiter. Oft reichten die Preisprämien nicht aus, um die erhöhten Kosten auszugleichen. Zwar sei madagassische Vanille vergleichbar mit Bio-Standard, weil weder chemische Pflanzenschutzmittel noch Kunstdünger eingesetzt würden. Doch benutzten viele Menschen zum Schutz gegen Malaria Moskitonetze, die mit einem Insektizid imprägniert sind. Schon kleine Spuren davon an den Händen stünden einer Öko-Zertifizierung entgegen. „Und normales Händewaschen hilft dagegen nicht.“

„Vanille bietet großes Potenzial, Armut zu verringern“

Insgesamt sieht Barkmann im Vanille-Anbau ein großes Potenzial, Armut im Norden Madagaskars zu verringern. Es sollte aber darauf geachtet werden, dass auch die schwächsten kleinbäuerlichen Familien profitieren – wenn etwa deutsches Steuergeld im Rahmen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in den Vanille-Sektor fließe. Auch könne durch einen schonenden, optimierten Anbau viel Abholzungsdruck vom Regenwald genommen werden.

Und wie begegnet der Umweltökonom Einwänden, die Herstellung eines Luxusprodukts trage nicht zur Ernährungssicherung auf Madagaskar bei und man sollte eher den Anbau von Lebensmitteln fördern, die vor Ort gebraucht werden? „Eine Familie, die Vanille produziert, hat im Durchschnitt mehr Reis und Huhn auf dem Tisch als eine Familie, die auf der gleichen Fläche Trockenreis anbaut.“ Nicht ganz unselbstkritisch fasst er seinen eigenen Erkenntnisweg so zusammen: „Nicht jede gut gemeinte Idee aus dem Norden hilft im Endeffekt der Natur und den Haushalten vor Ort. Ich bin da sehr bescheiden geworden.“

Zum Fachartikel

Hier geht es zum Fachartikel in der Zeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America" (in englischer Sprache).