Kopf einer Person vor einem großen Bildschirm
Das Spiel mit der Werbung

Die Mystery-Serie „Stranger Things“ zählt zu den Blockbustern unter den aktuellen Teenager-Serien. Die jugendlichen Protagonisten der Grusel-Story tragen Nike, trinken Coca-Cola, futtern Fritten bei Burger King und beeinflussen so das Konsumverhalten einer ganzen Generation von Fans. Produktplatzierungen gehören selbstverständlich zum Instrumentarium großer Marketingabteilungen. Und die haben nun auch die Gaming Community entdeckt. Wie Product Placement in Computerspielen wirkt und was dabei in unseren Köpfen geschieht, erforscht Professor Tobias Vogel, Experte für Konsumentenpsychologie, am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Hochschule Darmstadt. Im impact-Interview erklärt er, wie es dazu kommen kann, dass Burger oder Cola-Dose plötzlich unwiderstehlich werden.

Interview: Christina Janssen, 6.2.2023

impact: Aus dem Fernsehen kennen wir das alle: Der Aston Martin von James Bond, die Apple-Rechner in der Big Bang Theory, in der Netflix-Serie „Stranger Things“ wird massiv für Dutzende Marken geworben: Coca-Cola, Burger King, H&M, Nike, Kellogg’s... Früher nannte man das Schleichwerbung. Wie nennt man das heute?

Prof. Dr. Tobias Vogel: Schleichwerbung impliziert, dass es etwas Verbotenes ist. Inzwischen gibt es gewisse Regelungen und Kennzeichnungspflichten. Deshalb sprechen wir heute wertneutraler von Produktplatzierungen.

impact: Mittlerweile haben die großen Konzerne auch die Computerspiel-Szene als Werbeplattform entdeckt. Was genau versprechen sich die Unternehmen davon?

Vogel: Zunächst einmal natürlich die Reichweite. Die Videospiele haben die klassischen Medien hier längst abgelöst. Ihre Reichweite ist wesentlich höher als bei einem Kinofilm. Hinzu kommt das, was wir in der Psychologie als Expositionsdauer bezeichnen: Nehmen Sie einen Kinofilm, zum Beispiel „Superman – Man of Steel“. Da sehen wir zwar jede Minute eine neue Produkt-Werbung, zum Beispiel ein Auto. Den Film schauen wir uns aber höchstens zweimal an. Das sind insgesamt drei Stunden, in denen man das Produkt dann für maximal drei Minuten gesehen hat. Bei den Blockbustern unter den Computerspielen, den „Triple-A Games“, haben wir es teilweise mit mehreren hundert Stunden Spieldauer zu tun.

impact: Und die Zielgruppe sind junge Leute?

Vogel: Nicht nur. Videospiele sind kein Nischenprodukt für eine junge Zielgruppe mehr. Wir sehen bis ins mittlere Alter, dass Leute regelmäßig Computerspiele spielen.

impact: Sie auch?

Vogel (lacht): Nein.

impact: Keine Zeit, oder…?

Vogel: Keine Zeit. Und außerdem verliere ich an Computerspielen heute ziemlich schnell die Lust.

impact: Wie genau werden Produkte in solchen Spielen platziert? Besteht nicht die Gefahr, dass allzu offenkundige Werbebotschaften Nutzerinnen und Nutzer nerven?

Vogel: Es kommt darauf an. Das Produkt darf natürlich beim Spielen nicht stören. Es kann sogar Teil der Spielgeschichte sein. Dann setzen sich die Gamerinnen und Gamer aktiv mit der Marke auseinander, so entsteht ein emotionaler Bezug. Und natürlich muss das Produkt zum Setting des Spiels passen. Es ist ja ein Unterschied, ob ich ein Fantasy-Spiel spiele oder ein Rennspiel mit Autos.

impact: In einem Fantasy-Game kann ich schlecht Werbung für Coca-Cola machen...

Vogel: Genau. Aber Sie können das dafür sehr gut in einem Fußball-Game machen. Da ist Werbung sogar erwünscht. Wenn im Spiel auf einmal die Trikot- oder Bandenwerbung fehlt, die man aus dem Stadion kennt, wirkt das nicht mehr realistisch. Dann bin ich in einer künstlichen Welt und das Spiel wird unattraktiver. Das sehen wir auch in Filmen mit Autos. Sie können versuchen, die Automarken im „Tatort“ zu retuschieren, aber das wirkt dann eben nicht mehr echt. Es sieht komisch aus, wenn da Autos herumfahren, die es nicht gibt.

impact: Sie untersuchen dieses Phänomen als Wissenschaftler. Was ist das Ziel Ihrer Forschung?

Vogel: Wir möchten erst mal verstehen, welche Prozesse sich da psychologisch abspielen. Ist Product Placement etwas, was die Leute bewusst mitbekommen? Und könnten sie sich vielleicht sogar dagegen wehren – Stichwort Verbraucherschutz. Auf der anderen Seite schauen wir uns die Rahmenbedingungen an: Wann ist Product Placement erfolgreich und wann nicht. Es geht also um zwei Interessengruppen, die Verbraucher*innen und die Werbenden. Beide Seiten können von diesem Wissen profitieren.

impact: Wie genau können die Verbraucherinnen und Verbraucher profitieren?

Vogel: Ich habe vorhin das Thema Kennzeichnungspflicht erwähnt. Das Problem ist, dass wir es in diesem Bereich oftmals mit einer sehr intuitiven Gesetzgebung zu tun haben, also mit nicht evidenzbasierter Politikgestaltung. Wenn man eine Kennzeichnungspflicht sinnvoll gestalten will, muss man erst mal die zugrundeliegenden Prozesse verstehen. Entwickeln die Leute durch die bewusste Wahrnehmung von Produktplatzierungen eine positivere oder eine negativere Einstellung? Und wie wirkt sich das auf das Kaufverhalten aus?

impact: Der Benefit wäre also, dass Nutzer*innen zumindest eine Chance hätten, kritisch zu hinterfragen, was da mit ihnen geschieht?

Vogel: In erster Linie ja. Es geht darum herauszufinden, ob Verbraucherinnen und Verbraucher theoretisch in der Lage wären, sich dieser Art der Manipulation zu entziehen. Ob sie das dann auch praktisch können, ist noch mal eine andere Frage. Das ist auch ein Thema für Pädagogik, Jugendsozialarbeit, Schulsozialarbeit et cetera.

impact: Es wäre also denkbar, dass ich mir aufgrund von Produktplatzierungen im Supermarkt plötzlich ein Sixpack Coca-Cola in den Einkaufswagen packe, obwohl ich das eigentlich nie kaufen würde…?

Vogel: Ich würde es nicht ausschließen, aber es ist sehr unwahrscheinlich. In unseren Studien sehen wir, dass sich die Markeneinstellung stärker beeinflussen lässt, wenn ich erst mal eine neutrale Einstellung gegenüber einem Produkt habe. Wenn die Einstellung von vornherein negativ ist, ist das schwieriger. Vielleicht – wenn Sie das Spiel, in dem die Werbung platziert ist, wirklich ganz toll finden – könnte man Ihre Einstellung ein bisschen durchrütteln, sie ambivalenter machen. Aber dass Sie als „Coca-Cola negativ“ eingestellte Person morgen ein Sixpack davon kaufen, damit würden wir nicht rechnen.

impact: Ich bin also „Coca-Cola negativ“. Wie solche Einstellungen in unseren Köpfen entstehen, untersuchen Sie auch experimentell. Dafür haben Sie Ihre Studierenden auf den Mars geschickt. Wie kam es dazu?

Vogel: Wir wollten herausfinden, wie sich verschiedene emotionale Spielsituationen auf die Bewertung der platzierten Produkte auswirkt. Denn Computerspiele sind emotionale Achterbahnen: Da gibt es Momente, in denen ich mich freue, und Momente, in denen ich wahnsinnig frustriert bin bis hin zum Wutausbruch. Und unsere Frage war: Bewerte ich eine Marke besser oder schlechter, je nachdem, in welchem Augenblick ich sie sehe? Es gab zu diesem Thema vorher schon Forschung in Form von Befragungen. Aber die sind unscharf und messen nur Effekte, die Teilnehmende bewusst berichten können. Für die unbewussten Effekte brauchten wir ein experimentelles Setting, für das mein pfiffiger Kollege Moritz Ingendahl ein eigenes Computerspiel entwickelt hat. In dem Spiel geht darum, durch ein Serum, das auf dem Mars gelagert wird, die Erde vor einer Pandemie zu retten. In dem Spiel haben wir fiktive Marken platziert – mal in negativen, mal in positiven Situationen. Und wir haben dann ausgewertet, wie diese Marken von unseren Versuchsteilnehmenden bewertet wurden. Und ob das bewusst geschieht oder unbewusst. Dafür brauchten wir den Mars.

impact: Was haben Sie herausgefunden?

Vogel: Wir sehen da sehr deutlich, dass Marken, die in einem positiven Kontext dargeboten werden, weil die Spieler*innen zum Beispiel eine Belohnung erhalten, tatsächlich besser bewertet werden. Marken, die während eines frustrierenden Erlebnisses auftauchen, werden hingegen schlechter bewertet. Sogar noch schlechter als Marken, die man gar nicht im Spiel hatte – ein sogenannter Rebound-Effekt. Aus Marketing-Sicht heißt das: Ich bezahle im Zweifel dafür, dass meine Marke in einem Spiel erscheint, am Ende aber vielleicht verteufelt wird. Außerdem haben wir herausgefunden, dass das bewusste Erleben eine wesentliche Rolle spielt. Die Effekte sind besonders stark, wenn die Leute sich bewusst an die Szene mit dem Produkt erinnern, wenn sie wissen: Diese Marke tauchte auf, als ich gerade in dieses Loch gefallen bin oder als vor mir die Kiste explodiert ist. Die Effekte gibt es zwar auch, wenn die Leute sich nicht bewusst erinnern, dann sind sie allerdings viel schwächer.

impact: Ist das eine neue Erkenntnis?

Vogel: Das systematisch so zu zeigen, ist neu.

 

impact: Sie bezeichnen das, was Sie da eben beschrieben haben, als „Evaluative Konditionierung“. Was genau ist damit gemeint?

Vogel: Das ist ein Phänomen aus der Grundlagenforschung zur Entstehung von Einstellungen. Die Idee ist, dass sich die Einstellung zu einer Person oder einer Sache durch das gleichzeitige Auftreten von Reizen in der Umwelt ändern kann. Sie sehen einen Nachrichtensprecher in Kombination mit Kriegsbildern. Dadurch bekommt diese Person eine negative Konnotation. Das ist ein Ansatz, mit dem man heute teilweise Vorurteile erklären kann, aber eben auch Produkteinstellungen.

impact: Sie sprechen hier von Mechanismen, denen man sich kaum entziehen kann. In den USA machen sich das inzwischen auch politische Parteien zunutze: Für die Wahlkampagnen von Barack Obama und Joe Biden wurde Wahlwerbung in großen Videospielen platziert. Das könnten Putin, die AfD oder der „Islamische Staat“ genauso tun, oder?

Vogel: Mit dem nötigen Etat kann das im Grunde jeder. Das ist natürlich ein schmaler Grat: Was ist hier ethisch vertretbar und was nicht? Teilweise werden solche Werbeinhalte sogar über Drittanbieter eingespielt, dann kann das von den Spiele-Entwicklern kaum noch kontrolliert werden.

impact: Wie gehen Sie als Wissenschaftler mit diesem ethischen Aspekt Ihres Forschungsgebiets um?

Vogel: Man kann dieses Wissen nutzen, um Verbraucherinnen und Verbraucher zu warnen, zu schützen, zu erziehen. Zu lehren. Man kann dieses Wissen aber auch nutzen, um bestimmte Zielgruppen zu erschließen. Das ist erst einmal weder ethisch noch unethisch. Wichtig ist, dass auch in der Politik erkannt wird: Kennzeichnung alleine reicht nicht aus.

impact: Ihr Tipp für junge Gamerinnen und Gamer?

Vogel: Es ist auf jeden Fall hilfreich, sich zu vergegenwärtigen, dass in Spielen Werbung geschaltet ist, und sich aktiv damit auseinanderzusetzen. Das wird zwar nicht gänzlich vor den Effekten schützen. Denn bewusste Platzierungen wirken ja tendenziell stärker. Aber das Bewusstsein bietet auch die Grundlage, sich gegen den Einfluss zu wehren: Okay, ich finde diese Marke jetzt attraktiv, weil ich sie im Spiel gesehen habe. Aber letztendlich ist sie vielleicht nicht so gut, wie sie im Spiel dargestellt wird. Wir verstehen diese Mechanismen heute schon besser. Aber ich habe kein Patentrezept.

impact: Vielen Dank für das Gespräch.

Kontakt

Christina Janssen
Wissenschaftsredakteurin
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