Demokratie im Netz

Der Blick durch die Glasfassade ins Innere des Foyers des Fachbereichs Gestaltung, in dem die Gäste des h_da Dialog-Forums sitzen
Das Wahre, das Falsche und das Gefühlte

„Demokratie im Netz: Zwischen Desinformation und Technophobie“ hieß es am Donnerstag, 4. Dezember, im Foyer des Fachbereichs Gestaltung der h_da. Etwa 60 interessierte Bürgerinnen und Bürger waren zum 6. h_da Dialog-Forum auf die Mathildenhöhe gekommen. Sie erlebten fundierte Vorträge und eine Diskussion, die viele konkrete Anregungen bot.

Von Daniel Timme, 8.12.2025

Marion Kuchenny vom Hessischen Rundfunk moderierte den Abend, den Prof. Dr. Nicole Saenger, h_da-Vizepräsidentin für Forschung, Transfer und Nachhaltige Entwicklung mit einem Grußwort eröffnet hatte. „Wir sehen im Netz verbale Entgleisungen unvorstellbaren Ausmaßes, Hass und Hetze. Wir werden viel zu besprechen haben!“, kündigte Kuchenny gleich zu Anfang an. Mit ihren Fragen und Thesen setzte sie Reizpunkte und steuerte so die Diskussion.

Zwei der Diskussion vorgeschaltete Impulsvorträge legten eine Basis und schafften Bezugspunkte. Prof. Dr. Julian Junk, der an der Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit (HöMS) in Wiesbaden zu Extremismus und Extremismusresilienz forscht, eröffnete seinen Vortrag mit aktuellen Befunden zur Krise der repräsentativen Demokratie. Die Leipziger Autoritarismusstudie sehe abnehmende Zustimmung zur Demokratie. Besonders bedenklich: Mehr als ein Fünftel der Befragten habe keine Meinung dazu, ob wir statt in einer Demokratie besser in einer Diktatur leben sollten. Quantität und Qualität extremistischer Bestrebungen und Einstellungen seien seit 2022 angestiegen. Gefühle von Unsicherheit und Machtlosigkeit gegenüber Krisen, Niedergang und Gefährdung seien weit verbreitet. Hinzu komme eine abnehmende Distanzierung gegenüber extremistischen Einstellungen.

Ernst der Lage wird verkannt – und Chancen bleiben ungenutzt

„Die Rechten spielen auf dieser Klaviatur“, sagte Junk. Und das im wahrsten Wortsinn: Online-Spiele dienen Rechtsextremisten als Lockmittel. Extremistische Inhalte seien öffentlich zugänglich über die Stichwortsuche zu finden. „Die Nazi-Moorhuhnjagd“ oder „Zählen lernen mit Kalaschnikows“ seien noch vergleichsweise harmlose Beispiele für den Missbrauch des Gaming-Bereichs. Junks Fazit: Der Ernst der Lage und die Notwendigkeit zu Regulierungen im digitalen Raum würden verkannt. Das gelte jedoch genauso für die Chancen von Aktivierung, Mobilisierung und Prävention für die Demokratie.

In eher ruhiges, konstruktives Fahrwasser navigierte auch der zweite Impulsreferent Prof. Dr. Lars Rademacher. Der Professor für Unternehmens- und Nachhaltigkeitskommunikation am Fachbereich Media der h_da warf Schlaglichter auf Forschungsergebnisse zu Fake News und räumte mit „Misinformation on Disinformation“ auf. „Der öffentliche Diskurs über Miss- und Desinformation ist von Ängsten und Sorgen geprägt, spiegelt aber selten den Stand der Forschung wider“, sagte Rademacher. Reichweite und Wirkungen von Fake News seien tendenziell geringer als öffentlich angenommen. Deren starke öffentliche Thematisierung lasse das Problem größer erscheinen als es tatsächlich ist.

Fake News verfingen insbesondere bei Menschen, die wenig über ein Thema wissen, sich wenig dafür interessieren und der Quelle vertrauten. Wirksam seien daher vor allem jene Falschnachrichten, die prominente oder autoritäre Menschen verbreiten. Eine Minderheit konsumiere sehr viel Desinformation, suche diese aber gezielt, um bereits bestehende Überzeugungen zu bestätigen. Das Gros der Rezipientinnen und Rezipienten käme jedoch zu selten mit Fake News in Kontakt, um dadurch wirklich beeinflusst zu werden. Rademachers Rat: „Bewahren Sie sich Ihren gesunden Menschenverstand!“

Einen differenzierten Blick zeigte Rademacher, in Anlehnung an die Autoren Steffen Mau und Nils C. Kumkar, auch auf die viel zitierte Polarisierung. Zwar fürchteten immer mehr Menschen eine gesellschaftliche Spaltung – eine solche sei aber objektiv nicht messbar. Unzweifelhaft sei hingegen, dass Soziale Medien in den jüngeren Jahrgängen längst die zentrale Rolle klassischer Medienangebote übernommen hätten.

Mit Humor gegen die gefühlte Wirklichkeit

„Auch wenn es nur in unserer Wahrnehmung ein Problem ist, ist es eins!“, griff Moderatorin Marion Kuchenny eingangs der Diskussionsrunde die relativierenden Forschungsergebnisse auf und stellte sie dem Phänomen der „gefühlten Wirklichkeit“ gegenüber. Die Lautesten fänden überproportional viel Gehör und Sichtbarkeit und bestimmten so die Debatten. „Wie schaffen wir es dann, ein Bewusstsein zu schaffen, dass Fake News nur ein Randphänomen sind?“ Leonie Heims vom Internet-Portal gegen Verschwörungserzählungen „Der Fabulant“ beobachtet in ihrer Arbeit, dass für viele Nutzende neben die Kategorien „wahr“ und „falsch“ eine emotionale Komponente getreten sei. Nämlich: „Fühlt sich diese Nachricht für mich gut an?“ Deshalb probierten sie es mit humorvoller Aufklärungsarbeit, die die Absurdität von Verschwörungsmythen aufdecke.

Rademacher verwies auf das Wirken klassischer journalistischer Nachrichtenfaktoren: „Nur Good News funktionieren nicht, das ist klar“. Aber es gebe gute Beispiele emotionalisierender Formate wie die ARD-Themenwochen, die Themen personalisiert und hintergründig, aber unaufgeregt aufklärend aufbereiteten. Rafael Bujotzek, Online-Journalist und Lehrbeauftragter am Fachbereich Media der h_da, hat mit seinem Team einen Live-Faktencheck für Politik-Talkshows entwickelt. „Wir haben einen Prototyp, der TV-Sendungen trackt und fast in Echtzeit zeigen kann, wenn da gerade Quatsch erzählt wird.“ Prädikat: unbedingt sinnvoll. Jedoch: „Es hängt momentan am Geld.“ Sie hätten einen hohen Betrag in die Entwicklung investiert, könnten das in dem Maße nicht weiterführen. Und die Redaktionen würden seit Jahren personell und materiell eher ausgedünnt als besser ausgestattet.

Marion Kuchenny vermisste eine „vernünftige Gesamtstrategie“ der Politik. Bujotzek schlug in dieselbe Kerbe: „Warum machen wir uns von den US-Anbietern abhängig und haben keine deutsche Social-Media-Plattform?“ Junk wünschte sich, dass von uns genutzte chinesische und US-Plattformen zumindest hier reguliert und kontrolliert werden. „Da müsste Deutschland sagen: Entweder wird kuratiert oder es gibt keine Zulassung“, unterstrich Rademacher. Eine politische Strategie müsse an vielen Punkten zugleich ansetzen. „Das bräuchte eine Phalanx mehrerer Akteure.“ Junk glaubt weniger an zentral gesteuerte Maßnahmen, setzt darauf, Dinge im Kleinen auszuprobieren und dann breiter auszurollen: „In der Vielfalt und Wildheit steckt auch eine Stärke!“

Haben wir das Diskutieren verlernt?

„Wir wissen gar nicht mehr, wie Diskurs geht!“, stellte Marion Kuchenny eine These in den Raum, mit der sie die Diskussion auch für das Publikum öffnete. Wir seien nur noch in „digitalen Selbstbestätigungsblasen“ unterwegs, kitzelte sie die Anwesenden. „In einer sachlichen, harten, aber von Respekt getragenen Auseinandersetzung um Kompromisse ringen – das kennen wir gar nicht mehr!“ Stimmt, befand ein Gast aus eigener Erfahrung. Auch er vermisse die Diskussionskultur im Netz. Selten würden in digitalen Kommentarspalten sachlich Argumente ausgetauscht; praktisch nie räume am Ende jemand ein, sich geirrt zu haben und das stärkere Argument anzuerkennen. „Ja, im Netz herrschen andere Regeln als face to face“, räumte Leonie Heims ein. „Es ist mühsam, Diskussionen zu moderieren. Trotzdem dürfen wir es nicht aufgeben!“

Ein anderer Gast bat die Runde um praktische Vorschläge, wie man Social Media und Smartphone in den Schulunterricht integrieren könne. Rafael Bujotzek hatte eine Idee: In der 7. oder 8. Klasse könnten Schülerinnen und Schüler angeleitet Interviews führen, sie anmoderieren, filmen und für bestimmte Kanäle aufbereiten. Über die Prozesse und Inhalte könne die gesamte Klasse diskutieren. „Wir müssen Medienkompetenz stärken – auch die der Eltern!“, pflichtete Leonie Heims bei.

„Digitale Bildung für alle Generationen“ kristallisierte sich als gemeinsamer Wunsch aller Anwesenden an diesem Abend heraus. Dazu wollte eine Besucherin wissen: „Wie stellen Sie sich die Medienbildung bei Erwachsenen konkret vor?“ Eine andere Zuhörerin unterstrich: „Wir haben zu wenige Kanäle, auf denen Bildung von Jugendlichen zu Älteren zurückfließt!“ Marion Kuchenny lobte solches „Reverse Mentoring“, bei dem Jüngere Ältere coachen: „Digital Natives erklären Boomern wie Social-Media-Plattformen funktionieren.“ Auch in Bildungsurlauben könnten gezielt digitale Kompetenzen vermittelt werden. Was alle am Ende des h_da Dialog-Forums für nötig hielten, hatte Lars Rademacher schon in seinem Impulsvortrags treffend formuliert: „Intensive und niederschwellige Angebote der Medienbildung und Quellenkunde für alle Altersstufen.“

Kontakt zur Wissenschaftsredaktion

Christina Janssen
Wissenschaftsredakteurin
Hochschulkommunikation
Tel.: +49.6151.533-60112
E-Mail: christina.janssen@h-da.de

Fotografie: Markus Schmidt

Zwei weitere Dialog-Foren

Unter dem Leitmotiv „Demokratie gestalten“ lädt die h_da 2026 zu zwei weiteren h_da Dialog-Foren ein. Am 29. Januar 2026 heißt es „Demokratie bauen: Wie Design und Infrastruktur Menschen verbinden können“. Am 16. April lautet das Thema: „Wer darf hier entscheiden? Demokratie und gesellschaftlicher Zusammenhalt“.