EU-Projekt zu Chemikalien in Textilien

Person in Schutzanzug auf einer Müllhallde mit Textilien
Zukunftsszenarien für die Kreislaufwirtschaft

Wie kann man Chemikalien in Produkten besser rückverfolgbar machen und so einer klimaneutralen und ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft näherkommen? Das ist die Kernfrage des Projekts „ECHT“ unter Leitung von Jonas Rehn-Groenendijk von der Innovations- und Transformationsplattform für nachhaltige Entwicklung an der h_da. Im Kontext des europäischen Green Deal und der Einführung des Digitalen Produktpasses gilt es, in enger Zusammenarbeit mit Unternehmen aus der Textilbranche eine Transformation einzuleiten. Die Ergebnisse zur Halbzeit des Projekts stimmen hoffnungsvoll.

Von Alexandra Welsch, 16.7.2025

Zum Einstieg ein Blick in die Glaskugel. Wie weit wird man 2040 gekommen sein beim EU-Ziel, die Chemikalienanteile in Textilprodukten nachverfolgbar zu machen? Entlang dieser Frage wurden im Rahmen des Projekts ECHT zwei wahrscheinliche Szenarien erarbeitet. Nummer 1: Die Rückverfolgbarkeit von Chemikalien geht weiterhin im Bermuda-Dreieck aus Unwissenheit der Verbraucher, mangelndem Willen der Industrie und mangelndem politischen Ehrgeiz verloren. Szenario Nummer 2 hingegen beschreibt die Erfolgsgeschichte einer Branche, die auf dem richtigen Weg ist und damit Geld verdient. Welche Zukunftsvision wahrscheinlicher ist und wie das positive Szenario 2 Wirklichkeit werden könnte, damit befassen sich Unternehmen in dem europäisch ausgerichteten Forschungsvorhaben unter h_da-Leitung.

Es ist etwas in Bewegung geraten. Im Rahmen des European Green Deal strebt die EU an, den Ausstoß an klimaschädlichen CO2-Emissionen perspektivisch auf null zu senken. Ein Hebel: Das hohe Abfallaufkommen in der Industrie reduzieren und den Recyclinganteil erhöhen hin zu einer klimaneutralen, ressourcenschonenden und schadstofffreien Kreislaufwirtschaft. Ein Mittel zum Zweck ist der Digitale Produktpass (DPP) mit Informationen über Materialien und Inhaltsstoffe ihrer Waren, den Unternehmen künftig verpflichtend vorlegen müssen.

Unternehmen zeigen sich bereit zur Veränderung

„Unser Forschungsvorhaben nimmt etwas vorweg, was anschließend verpflichtend wird“, beschreibt Rechtsprofessor Martin Führ als Verantwortlicher des Projekts mit einem Dutzend Partnern aus fünf europäischen Ländern die Ausgangslage. ECHT steht für “Enable Digital Product Passports with Chemicals Traceability for a Circular Economy“, und die angestrebte Befähigung zur Umsetzung des Produktpasses stößt bei den beteiligten Unternehmen auf Bereitschaft zur Veränderung. Nicht zuletzt aus Verkaufsüberlegungen. „No data, no market“, wirft Führ die Marktlosung der Zukunft ein. Wer in puncto Tranzparenz besser als andere sei, schaffe Vertrauen in seine Lieferketten und gewinne Kundenvertrauen.

„Die Unternehmen müssen ins Handeln kommen“, weiß auch Jonas Rehn-Groenendijk, der das drei Jahre laufende und mit zwei Millionen Euro vom Förderprogramm „Interreg North-West-Europe“ und der EU finanzierte Projekt leitet. Dabei machten es den Firmen Intransparenz, Komplexität und etablierte Strukturen der Lieferketten schwer, die in ihren Produkten enthaltenen Chemikalien zu bestimmen. Man wolle sie unterstützen, die Rückverfolgbarkeit von Chemikalien zu etablieren, Netzwerke, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Und weil die Textil- und Bodenbelagbranche bereits bis 2027 und 2028 den Produktpass umsetzen muss, sitzen aus diesen beiden Gewerken jede Menge Interessierte mit im Boot – darunter namhafte Unternehmen wie H&M oder Puma. Unter den 20 Akteuren sind aber auch das Umweltbundesamt, Nicht-Regierungsorganisationen und eine Recyclingfirma. „Wir arbeiten in diesem Projekt transdisziplinär“, betont Rehn-Groenendijk, selbst von Hause aus Designforscher.

Es geht hier nicht darum, Produktpässe zu entwickeln. Vielmehr sollen die Unternehmen befähigt werden, ihre Denkweise in diese Richtung auszurichten. „Eigene Perspektiven überwinden und außerhalb routinierter Denkroutinen arbeiten“, umreißt es der Projektleiter von der h_da. Im Sinne einer transformativen Forschung gehe es um „mentale Modelle, die sich bei allen Akteuren ändern müssen“. Hierzu entwickelten sie in einem experimentellen Setting gemeinsam Prozesse und Formate, um Impulse für eine Transformation zu setzen. „ECHT ist auf die Industrie ausgerichtet und will sie unterstützen.“

Eine zentrale Rolle spielt der direkte Austausch

Eine zentrale Rolle bei der Methodik spielt der direkte Austausch, der vor allem in gemeinsamen Workshops gefördert wird. Auf diese Weise haben die Beteiligten in einem ersten Schritt 16 Faktoren herausgearbeitet, die sich auf die Rückverfolgbarkeit von Chemikalien auswirken können. Zum Beispiel: der regulatorische Rahmen in einzelnen Ländern, Kooperationen entlang einer Lieferkette, das Konsumentenverhalten oder die Öffentlichkeit. Im nächsten Schritt wandte das Team die so genannte Szenariotechnik an, eine Methode zur Zukunftsanalyse und Strategieentwicklung der Darmstädter Unternehmensberatung Geschka & Partner.

Mit einer entsprechenden Analysesoftware wurden die einzelnen Faktoren in Bezug zueinander gesetzt und gewichtet, vor allem im Hinblick auf die Wechselwirkungen untereinander: Wenn der Einflussfaktor „Regulatorischer Rahmen“ strenger oder lockerer wird, inwiefern wirkt sich das verstärkend oder mindernd auf die Faktoren Konsumverhalten oder Öffentlichkeit aus? „Die Software bildet Matches“, erläutert Rehn-Groenendijk, „also Sets realistischer Einflussfaktoren, die Veränderungen bedingen und kohärent sind.“ Aus den sich daraus ergebenden Zukunftsszenarien wurden dann die beiden ausgewählt, die aufgrund der Analyse besonders schlüssig und realistisch erschienen. Ein bemerkenswertes Ergebnis ergab zudem eine ergänzende Abstimmung unter den Teilnehmenden:  Sie haben sich einstimmig für das progressive Szenario ausgesprochen, bei dem die Implementierung einer Rückverfolgbarkeit von Chemikalien zur Erfolgsgeschichte wird.

Im Streben nach mehr Transparenz und Nachhaltigkeit sind die ECHT-Beteiligten bereits einige Schritte weiter gegangen. So haben sie in drei Workshops gemeinsam eine Strategie zur Rückverfolgbarkeit erarbeitet, aus der gerade Aktionspläne entstehen. „Das Spannende ist die Auseinandersetzung“, hebt Jonas Rehn-Groenendijk den konstruktiven Effekt dabei hervor. „Im Dialog wird viel ausgehandelt“. Auch spielerisch. Bei dem eigens entwickelten Planspiel „Trace it“ etwa saßen die Vertreterinnen eines Sportbekleidungskonzerns und eines Umweltverbands an einem Tisch und überlegten gemeinsam, wie sie Rückverfolgungsstrategien umsetzen.

Impulse Richtung Brüssel

Auch ein „Policy Action Plan“ ist gerade am Entstehen. In dessen Zuge gab es vorigen Herbst in Brüssel ein Treffen mit einem erweiterten Kreis aus mehr als 50 Akteuren, darunter auch Vertreter von BASF oder der Europäischen Kommission. „Da wurde überlegt, welche Impulse wir in Richtung Politik senden wollen“, so Rehn-Groenendijk. Mehr in die Breite wirken, auch jenseits des ECHT-Kreises, will man zudem über eine Wissensplattform. Auch wurde ein Chat-Bot entwickelt, der Erkenntnisse und Informationen aus dem gemeinsamen Prozess reproduziert.

Ob das ECHT-Projekt helfen wird, Europa klimafreundlicher zu machen? Das wäre an dieser Stelle wohl ein unangebrachter Blick in die Glaskugel. Aber Effekte sind bereits feststellbar. „Da entsteht eine Dynamik“, sagt Martin Führ. Schon die Befassung mit Szenarien habe einen Veränderungsprozess in Gang gesetzt, weil man sich nicht in den Schützengräben des Lobbyismus verliere. „Meine Vermutung ist, dass der Rechtsrahmen dahinter das ohnehin fördern wird“, schiebt der Rechtsprofessor nach. „Und da stellt sich als Unternehmen die Frage: Will ich hinterherhecheln oder aktiv voran gehen.“

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Christina Janssen
Wissenschaftsredakteurin
Hochschulkommunikation
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