Promotionszentrum Angewandte Informatik

Blick von unten auf die Hochhausfassade mit blauem Himmel
„Wir füllen einen weißen Fleck auf der Forschungslandkarte“

Die Zeiten, in denen Studierende der h_da ihren Doktortitel nur an einer Universität oder in Kooperationen mit einer Universität erwerben konnten, sind vorbei. 2018 ging das hochschulübergreifende Promotionszentrum für Angewandte Informatik (PZAI) an der Hochschule Darmstadt als erstes Zentrum seiner Art in Hessen an den Start. Seither wurden dort mehr als 125 Doktoranden*innen angenommen, von denen 27 bereits erfolgreich ihre Promotion verteidigt haben. Darmstadt und Hessen sind dabei in vielerlei Hinsicht Vorbild auch für andere Bundesländer, sagt der Informatik-Professor und Zentrumsleiter Bernhard Humm.

Von Astrid Ludwig, 23.4.2025

So manche Bewerber oder Bewerberinnen zieht es von weither nach Darmstadt. Da scheint kein Weg zu weit, um beim Professor seiner Wahl promovieren zu können. In diesem Fall im Team um Christoph Busch, Professor für Biometrie am h_da-Fachbereich Informatik und international anerkannter Experte für Cybersicherheit. Aus Kuba stammt das Paar Dailé Osorio-Roig und Lázaro Janier González-Soler, das Buschs Ruf bis Darmstadt nacheilte und 2022 sowie 2024 am Promotionszentrums für Angewandte Informatik (PZAI) ihre Doktortitel erworben hat. Rund zehn Prozent der Promovierenden stammen aus dem Ausland, berichtet Bernhard Humm, Professor am Fachbereich Informatik und Leiter des Darmstädter Zentrums.

Auf Wachstumskurs

Das PZAI ist eine gemeinsame Einrichtung der Hochschulen Darmstadt, Fulda und Rhein-Main sowie der Frankfurter University of Applied Sciences. Seitdem das Zentrum mit Sitz an der h_da vor sieben Jahren seine Arbeit aufnahm, steigt die Bewerberzahl der promotionswilligen Studierenden, aber auch der Professoren*innen, die in den Betreuungsteams mitarbeiten wollen, kontinuierlich. Aktuell sind 45 Professor*innen Mitglied im PZAI und über 125 Promovierende. „Ständig kommen neue Anträge“, freut sich Humm über den Erfolg. „Von Tag eins an zeigt die Kurve nach oben. Das Zentrum ist eindeutig auf Wachstumskurs.“

In Hessen gibt es derzeit insgesamt sieben Promotionszentren zu unterschiedlichen Fachrichtungen, drei davon hochschulübergreifend: Dazu zählen neben dem PZAI die Zentren „Public Health“ und „Sozialwissenschaften mit den Schwerpunkten Globalisierung, Europäische Integration, Interkulturalität“ an der Hochschule Fulda sowie die hochschulübergreifenden Zentren „Soziale Arbeit“, „Mobilität und Logistik“ sowie „Angewandte Informatik“. Das Promotionszentrum Nachhaltigkeitswissenschaften wurde 2019 an der Hochschule Darmstadt gegründet.

Der Weg war durchaus steinig, berichtet Informatiker Humm. Hessen war das erste Bundesland, das 2016 seinen Hochschulen für Angewandte Wissenschaften das Promotionsrecht zubilligte. Gegen den nicht geringen Widerstand der Universitäten, die bis dahin die Doktorwürde exklusiv vergeben durften und nun Qualitätsverluste fürchteten. Bedenken, die Bernhard Humm nicht nachvollziehen kann. „Wir haben bereits über drei Jahrzehnte lang Erfahrungen gesammelt in kooperativen Promotionsverfahren – etwa mit der University of Plymouth, dem Cork Institute of Technology oder der Norwegian University of Science and Technology.“ Also auch mit Promotionsordnungen anderer Länder, wie der Professor betont, der selbst an der australischen University of Wollongong seine promoviert hat. Rund 30 Doktortitel wurden in dieser Zeit an h_da-Studierende der Informatik verliehen. „Unsere Promovenden sind international anerkannt, erfolgreich und haben Preise gewonnen“, betont Humm.

Ende 2017 wurde das PZAI als das erste hochschulübergreifende Promotionszentrum in Hessen gegründet, Anfang 2018 nahm es die Arbeit auf. Das Besondere von Beginn an war die konsequente Anwendungsorientierung der Forschungsarbeiten. „Unsere Promovierenden und Betreuenden haben einen deutlich engeren Bezug zur Wirtschaft als dies an Universitäten üblich ist. Das macht einen Unterschied“, erklärt der Informatiker. Er ist überzeugt: „Wir füllen einen weißen Fleck auf der Forschungslandkarte und deshalb ist das PZAI auch so gefragt.“ In der Wirtschaft, aber auch bei den Bewerber*innen.

Die Promovierenden werden von einem Team betreut

Beim Aufbau des Zentrums übernahm Darmstadt die Federführung, da die h_da die größte Partnerhochschule im Bereich der angewandten Informatik ist – mit über 50 Professor*innen und rund 2.000 Studierenden alleine im Fachbereich Informatik. Aus dem Kreis der Absolventen*innen der h_da stammen auch die meisten Bewerbungen für die Aufnahme ins PZAI. Vielleicht ist das Interesse aber auch deshalb so groß, weil das Zentrum seine Promotionsordnung ganz anders gestaltet hat als bisher in Deutschland üblich. Hierzulande haben Promovierende meist einen Doktorvater oder eine Doktormutter, die zugleich auch Arbeitgeber und Gutachter der Doktorarbeit sind. „Das schafft Abhängigkeiten, die sich auch negativ auswirken können“, findet Humm. Im PZAI werden Anwärter*innen stattdessen von einem Team aus mehreren Lehrenden betreut. So kann ein Weggang, Wechsel oder Ausfall eines Betreuenden leichter aufgefangen werden. Zudem sind Betreuung und Begutachtung der Doktorarbeit personell strikt getrennt. „Das ist neutraler“, sagt der Zentrumsleiter.

Anders aufgebaut ist auch das Bewerbungs- und Promotionsverfahren selbst. Wer die Doktorwürde erlangen will, muss sich mit einem Exposé zunächst um die Aufnahme ins Zentrum bewerben. Darin sind das Thema und die Forschungsfragen beschrieben, die Gutachter*innen dann nach ihrer Promotionswürdigkeit beurteilen. Ist diese erste Hürde genommen und ein Betreuungsteam für das Forschungsthema gefunden, folgt nach eineinhalb Jahren ein Zwischenbericht, in dem die Doktoranden und Doktorandinnen den aktuellen Stand ihrer wissenschaftlichen Arbeit darlegen müssen. „Das ist nicht als Schikane gedacht, sondern als konstruktive Unterstützung. Wir wollen den Promovierenden helfen“, betont Humm. Manchmal zeige sich, dass bestimmte Aspekte vertieft werden müssten und vielleicht ein Wechsel oder eine Ergänzung im Betreuungsteam bis zur Abschlussarbeit nach maximal fünf Jahren sinnvoll ist. Der Informatiker nennt das die drei Meilensteine des PZAI. „Ein aufwändiges Verfahren, auch für uns Betreuende, aber wir wollen, dass unsere Doktoranden*innen erfolgreich sind und bei der externen Begutachtung zum Schluss sehr gut dastehen.“ Ein Ziel, das bislang aufgegangen ist.

Im deutschen Bildungssystem ist dieses Prozedere noch eine Seltenheit. In Hessen arbeiten jedoch alle sieben Zentren nach dieser Promotionsordnung. „Viele Bundesländern schauen deswegen ganz genau nach Hessen und auf uns“, weiß der Informatiker. Humm ist überzeugt, dass sich diese Ideen durchsetzen werden. Auch weil die Hochschule Darmstadt und das PZAI Erfolge vorzuweisen haben. Von den 125 Promovierenden haben 27 bisher erfolgreich ihrer Doktorarbeit abgeschlossen und verteidigt. 14 Abbrüche gab es seit 2018. „Das ist durchaus normal und liegt oft an familiären Umständen oder daran, dass der zeitliche Aufwand zu groß wird.“ Der Frauenanteil unter den Promovierenden beträgt rund 20 Prozent. „Das ist in der Informatik Durchschnitt, wenn auch nicht zufriedenstellend“, bedauert er.

Drei Schwerpunktthemen

Seit das Zentrum gegründet wurde, haben sich drei Themenschwerpunkte bei den Doktorarbeiten herauskristallisiert – drei „Special Interest Groups“, wie Humm sagt. Das sind zum einen Projekte rund um das Thema Künstliche Intelligenz – „ohne KI läuft aktuell in der Informatik-Forschung kaum etwas“, so der Professor. Die anderen großen Bereiche sind die Schnittstelle Mensch/Computer, z.B. mit Virtual bzw. Augmented Reality, und natürlich Infrastrukturthemen, also Arbeiten, die sich mit der Hardware, mit Netzwerken oder Cybersicherheit befassen. Das Informatikzentrum gibt auch interdisziplinären Forschungsthemen Raum, etwa solchen aus der Biologie oder Medizin. So schreibt eine Doktorandin aktuell an einer Arbeit, die Wildtiere – beispielsweise in Afrika – mit KI-Methoden anhand von Kameraaufnahmen klassifizieren kann. Sie will ein System entwickeln, das selbst auf Nachtaufnahmen erkennt, um welches, individuelles Tier es sich handelt. „Die Tiere müssten nicht länger gechipt werden, um ihre Bewegungsprofile nachzuvollziehen“, nennt Humm einen Vorteil. Auch ließen sich so detailliertere Bestandsaufnahmen erstellen. Eine weitere Doktorarbeit untersucht per KI und Kamera Aufbau, Struktur und Sozialleben in Ameisenkolonien.

Auch mit Problemen aus der Industrie, etwa der Fehleranalyse von Robotern in intelligenten Fabriken, befassen sich die Forscher*innen, die künftig den Titel Dr. rer. nat tragen wollen. Und natürlich mit den Klassikern der Cybersicherheit. Biometrische Systeme wie die Gesichtserkennung sind heute alltägliche Methoden der Authentifizierung. Sei es, um per Face ID das Smartphone zu entsperren oder sich bei Grenzkontrollen auszuweisen. Moderne Systeme liefern heute eine hohe biometrische Genauigkeit, sind jedoch immer wieder auch Ziel von Angriffen sowie Manipulationen und damit ein Sicherheitsrisiko. Mit neuen Ansätzen, wie sich dieses Risiko mindern lässt, befasste sich die Doktorarbeit eines jungen Norwegers am PZAI. Er hat die detaillierten Auswirkungen verschiedener digitaler und physischer Gesichtsmanipulationen auf Gesichtserkennungssysteme untersucht und schlägt neue Algorithmen zur Erkennung dieser Art Angriffe vor. Eine Arbeit, die als erste bisher am PZAI die Auszeichnung Summa cum laude erhielt, berichtet Humm.

Erfolgreiche Evaluation

Das Promotionsrecht an den Zentren der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften war vom Land Hessen zunächst auf fünf Jahre befristet. Das PZAI hat daher eine Evaluation durch eine hochkarätig besetzte Kommission durchlaufen, geleitet vom ehemaligen DFG-Präsidenten Prof. Matthias Kleiner, die ausgesprochen positiv war und an deren Ende 2022 die erfolgreiche Entfristung des Promotionsrechtes stand. „Wir standen sehr unter Beobachtung“, resümiert der Zentrumsleiter. Nach Weiterentwicklung von Satzung und Promotionsordnung ist eine größere Autonomie des PZAI der Lohn. So werden heute die professoralen Mitglieder des PZAI von einem Aufsichtsgremium bestehend aus den Hochschulleitungen bestellt. Zuvor lag die Entscheidung beim Ministerium.

Bernhard Humm sieht das PZAI weiter auf Erfolgskurs und hat ein Ziel für die Zukunft vor Augen: Er und seine Mitstreiter*innen wollen eine Kultur für Angewandte Forschung etablieren. Wo mehr auf Inhalte und gesellschaftlichen Nutzen geschaut wird, denn auf Zahlen wie die von Zitaten oder Publikationen.

Kontakt zur h_da-Wissenschaftsredaktion

Christina Janssen
Wissenschaftsredakteurin
Hochschulkommunikation
Tel.: +49.6151.533-60112
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