Grubengeräusche

Bläschen in der Grube

Für ihre Fossilien ist die Grube Messel bekannt – weltbekannt. Der Ort vor den Toren Darmstadts ist seit 30 Jahren Weltnaturerbe, weil er faszinierende Spuren vergangenen Lebens erlebbar macht. Das gegenwärtige Leben in der Grube Messel haben jetzt Studierende der h_da erkundet: beim „Field Recording“. Die daraus entstandene Sound-Ausstellung „Rezent / Living“ ist dort noch bis zum 18. Juli zu hören.

Von Daniel Timme, 10.7.2025

„Field Recording ist in gewisser Weise die Königsdisziplin des Aufnehmens“, sagt Professor Felix Krückels. „Es bringt viele Herausforderungen mit sich. Man muss antizipieren, was passieren kann – zumal, wenn Tiere im Spiel sind. Das ist tonhandwerklich eine sehr gute Übung.“ Der Professor für Broadcast Production and System Design am Mediencampus der h_da weiß um die Hürden, die „im Feld“ plötzlich im Weg stehen können.

„Hier draußen ist nicht das beste Mikrofon entscheidend, sondern die eigenen Ohren. Hinhören ist wichtig – und ausprobieren“, beschreibt es Dozent Nils Mosh. „Es ist ein anderes Arbeiten als im Tonstudio. Bei der Aufnahme muss man handwerklich sicherstellen, dass der Sound nicht durch Tiere, einsetzenden Regen oder einen selbst gestört wird“. Nicht zuletzt sollte man wissen und verstehen, was man hört.

Nils Mosh ist Field Recordist, Sound Artist und Dozent an der h_da für das „Field Recording Elective“ des Studiengangs Sound, Music and Production. Unter seiner Anleitung haben im Sommersemester zehn Studierende einen zwar berühmten, aber dennoch überraschend unbekannten Ort zwischen den h_da-Standorten in Darmstadt und Dieburg erkundet: die Grube Messel. Seit April haben sie die akustische Vielfalt von Flora und Fauna mit unterschiedlichen Mikrofonen eingefangen und zu künstlerischen Klangarbeiten verdichtet – die nun noch bis 18. Juli vor Ort zu hören sind.

Ein Friedhof mit Welterbe-Status

Dr. Lukardis Wencker, Leitung Presse und Marketing der Grube Messel, erinnerte bei der Eröffnung von „Rezent / Living - Sound Installations“ am 4. Juli daran, dass die Grube nach Ende des Ölschiefer-Abbaus um ein Haar zur Mülldeponie geworden wäre. Glücklicherweise wurde der Wert des Ortes als Fossilienlagerstätte erkannt und der Krater auch nicht auf die für Tagebauen typische Weise renaturiert. Als vor 47 Millionen Jahren die Evolution der Säugetiere gerade begonnen hatte, wurde der Messeler Maarvulkan-See zum Friedhof für Pflanzen und Tiere. Fossile Funde brachten der Grube Messel 1995 den Status des ersten deutschen UNESCO-Weltnaturerbes ein. Bis heute fördern Grabungen sehr gut erhaltene Fossilien von Tieren und Pflanzen zutage.

Das Kerngeschäft der Grube, die im versteinerten Urpferdchen ihr Wappentier hat, ist also „fossil“. Doch das Bewusstsein für das „Rezente“, das „gegenwärtig noch Lebende oder Auftretende“, ist beim Team der Grube Messel stark ausgeprägt, denn es ist ein Ort großen Artenreichtums. „Die Kooperation ist eine tolle Möglichkeit, Lehre und Biodiversität zu verbinden“, lobte Wencker. Sie dankte zudem dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur, das das Projekt unterstützt.

Qualitative Eindrücke der Biodiversität zu sammeln war ein wichtiges Anliegen der Lehrveranstaltung. Spannend war für die Sound-Profis zudem die besondere Akustik des Ortes mit seiner Kesselform. Der Klang im Raum war deshalb ein Schwerpunkt, erklärt Mosh: „Wie ändert sich der Klang, wenn ich meinen Standort verändere, mich entferne? Was davon kommt beim Empfänger an?“ Wenn Mosh über seine Arbeit spricht, verweist seine Wortwahl („die Aufnahme sichten“) auf einen weiteren wichtigen Aspekt: das enge Zusammenspiel von Hören und Sehen. „Wenn man mit den Ohren guckt, schaut man anschließend ganz anders auf die Dinge“, weiß er.

Gegenwärtiges Leben an akustischen Angeln

Wer oder was lebt hier – und wie hört sich das an? Auf der Suche nach Antworten warfen die Studierenden ab April ihre akustischen Angeln aus: Mono-, Stereo- und Surround-Mikrofone, Richtrohrmikrofone, Kontaktmikrofone und Hydrofone für Unterwasseraufnahmen. Wie tief sie dabei in die Materie eintauchten, belegt das Beispiel des Dungkäfers: Mithilfe eines Grashalmes und eines Kontaktmikrofons machten sie dessen Fraßgeräusche hörbar – in einem Haufen Wildschweinkot. Mit Sondererlaubnis durften sie ihre Mikrofone über Nacht in der Grube platzieren, wenn das Betretungsverbot gilt.

So fingen die Studierenden faszinierende Geräusche am Abend und in der Morgendämmerung ein: von großen und kleinen Säugetieren, Amphibien, Vögeln, Insekten und Pflanzen. Daraus und aus individuellen Aufnahmen in der und um die Grube Messel destillierten sie in mehreren aufwändigen Schritten neun sehr unterschiedliche Sound-Kompositionen. Ihre Zugänge sind mal dokumentarisch, mal pädagogisch, mal künstlerisch-abstrakt, Handwerk und Klangkunst individuell dosiert. Besucherinnen und Besucher der Ausstellungseröffnung lauschten den neun Arbeiten gemeinsam mit den Studierenden auf der kreisförmig angeordneten Outdoor-Soundanlage.

Runtergepitchte Fledermäuse und zweizylindrige Libellen

Da ist zum Beispiel der am Bahnhof Messel (Zug, Schranke) beginnende Hör-Spaziergang von Mouaz Sultan: Schritte, Vögel, Insekten, im Wind rauschende Bäume – und das akustische Eintauchen in den Teich vor dem Museum. Maira Weeke und Liv Hesse haben abends und nachts unter anderem vielstimmiges Vogelgezwitscher und Frösche eingefangen – und gewähren Rehbock, Wildschwein und Kuckuck kurze Gastauftritte. Und Tom Kienzlen bereitet Sounds von Zilpzalp, Feldgrille, Wildschwein und Fledermäusen kindgerecht hörspielartig auf und reichert sie mit Detailinfos an.

„Die Laute von Fledermäusen sind für uns Menschen normalerweise nicht hörbar“, ordnet Felix Krückels technisch ein. „Aber mit speziellen Mikrofonen können wir höhere Frequenzbereiche analog aufnehmen. Die Tonhöhen lassen sich anschließend in einen für uns hörbaren Frequenzbereich runterpitchen. Das ist eine Erweiterung unserer Wahrnehmung.“ Ein anderes wichtiges Stilmittel, die Variation der Abspielgeschwindigkeit, setzt Elisabeth Klingenberg eindrucksvoll ein, die sich auf die Fluggeräusche einer Libellenart konzentriert hat. Was da im Wechsel aus einem der fünf Lautsprecher kommt, erinnert einige der Zuhörenden an den charakteristischen Sound zweizylindriger Motorräder.

Photosynthese als Echtzeit-Hörstation

Zur Eröffnung der Ausstellung haben die Studierenden rund um das Museum der Grube Messel – auf der Wiese, unter einem Baum oder am Teich – zusätzlich Live-Hörstationen aufgebaut. Gegenstand und Geräuschquelle ist alles, was sie auch zuvor akustisch erforscht haben: Bäume, Vogelstimmen und Insekten, Bienen, das Erdreich oder die Unterwasserwelt. Über Kopfhörer können Besucherinnen und Besucher in Echtzeit hören, was die sensible Tontechnik einfängt.

Das Mikrofon, das am Rand des Museumsteiches im Schilf liegt, transportiert dezentes Geplätscher, viel Insektengesumme und Vogelgezwitscher  aber auchMenschengeplapper. Nur zwei Meter weiter eröffnet ein in den See eingetauchtes Hydrofon eine völlig andere Hörwelt: unter der Wasseroberfläche herrscht stabiles Grundrauschen. Hier und da hört man Knabbergeräusche (nicht eindeutig zuzuordnen). Und dann ist da noch – ein Knistern. „Das stammt von aufsteigenden Bläschen, die bei der Photosynthese an Wasserpflanzen entstehen“, erklären Liv Hesse und Maira Weeke. Die Live-Hörstationen lassen den Laien erahnen, wie knifflig es ist, Sounds einzufangen. „Beim Field Recording ist oft Geduld gefragt“, sagt Nils Mosh. „Es ist normal, wenn man erst mal fünf Minuten nichts hört – das kann aber auch zwei Stunden lang so sein.“

Abhören und Sichten mit Ohren und Augen

Die Wege bis zu den fertigen Klangarbeiten waren also weit. Für die Nachtaufnahmen hat die Gruppe ihre Mikrofone nachmittags ab 17 Uhr platziert und dann bis morgens um 10 Uhr mitgeschnitten, was nachts in der Grube passiert. Viele Stunden Material, teilweise auf mehreren Tonspuren – das Abhören braucht entsprechend viel Zeit. „Ich empfehle immer, zunächst mal die erste Stunde komplett anzuhören“, sagt Mosh: einhören, ein Gefühl für Geräusche und Klänge bekommen. Dirk Dullmaier hat das getan und sagt: „Es lohnt sich! Nachts passieren plötzlich Dinge, mit denen man nicht rechnet. Was man da aufgenommen hat, muss man aber erst herausfinden. So entdeckt man das eine oder andere Goldstück.“

Das Sehen, bestätigt Dullmaier, ist auch beim Abhören wichtig: „Die Ausschläge der Amplitude auf dem Frequenzband zeigen an, wann ein neues Geräusch hinzukommt oder wann es laut wird.“ Hier gilt also oft: Erst sehen, was man mutmaßlich hört, dann die Aufnahme abhören. Dem Abhören und Sichten mit Ohren und Augen folgte die künstlerische Klang-Arbeit. Mit Tontechnik arbeiteten die Studierenden heraus, was sie hervorheben und be-tonen wollten. „Dieser Prozess ist sehr subjektiv, er setzt sich aus vielen Entscheidungen zusammen“, sagt Mosh. Wichtig sei, dass Vision und Ziel klar sind. Gefordert waren im Kurs also tontechnisches Handwerk, biologisches Wissen, um das Aufgenommene zu verstehen, Kreativität, Kunstfertigkeit – und viel Geduld.

Nils Mosh dankte dem Team der Grube Messel für sein großes Engagement im Projekt und den Studierenden für ihren Einsatz und die tollen Arbeiten. „Es war eine unglaubliche Bereicherung, das gemeinsam mit euch zu machen.“ Das hat Studentin Elisabeth Klingenberg ähnlich empfunden: „Wir haben sehr davon profitiert, das mit Nils zu machen. Er ist mit einer wahnsinnigen Begeisterung dabei.“

Kontakt zur h_da-Wissenschaftsredaktion

Christina Janssen
Wissenschaftsredakteurin
Hochschulkommunikation
Tel.: +49.6151.533-60112
Mail: christina.janssen@h-da.de

Fotografie: Markus Schmidt

Studieren am Mediencampus

Übersicht über die Studiengänge am Mediencampus der h_da in Dieburg:
mediencampus.h-da.de/studium/

Studiengang Sound, Music and Production (SMP)

Werkschau in Dieburg

Am 17. und 18. Juli (Donnerstag und Freitag) zeigt der Fachbereich Media im Rahmen seiner studiengangsübergreifenden Werkschau auch die Sound-Kompositionen „Rezent / Living“.
Aktuelle Infos auf der Seite des Mediencampus

Hörprobe

Nils Mosh hat die neun Klangarbeiten zu einer kurzen Sound-Collage zusammengefügt. Klicken Sie aufs Foto!

Ausstellung in Messel

Die Sound-Ausstellung ist noch bis zum 18. Juli (Freitag) täglich von 10 bis 17 Uhr in der Grube Messel zu hören. Wegen des Jubiläums „30 Jahre Welterbe“ gibt es dort derzeit zudem weitere interessante Events.
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