Im Forschungsprojekt „Bio4ensics“ unterstützen Biometrie-Spezialisten der Hochschule Darmstadt (h_da) das Hessische Landeskriminalamt (HLKA) im Kampf gegen Kinderpornografie. Hierbei nutzen sie neue biometrische Methoden in der Cyber-Forensik. Die Herausforderung: Die biometrische Gesichtserkennung von Kindern ist noch nicht ausgereift, die Fehlerrate hoch. Hier gelang den h_da-Forschern jetzt ein Durchbruch: Sie fütterten den Algorithmus mit künstlich erzeugten biometrischen Daten von Kindergesichtern und konnten so dazu beitragen, dass auch reale Kindergesichter besser als zuvor in der Datenflut wiedererkannt werden.
Von Simon Colin, 2.12.2024
Es ist ein harter Job: Spezialist*innen im hessischen Landeskriminalamt müssen täglich kinderpornografische Materialien sichten. Ziel ist immer, die Kinder aus der sexuellen Gewalt zu retten. Wichtig für die Ermittlungen ist hierbei unter anderem, einschätzen zu können, wie häufig Kinder von pornografischer Gewalt betroffen sind. Dazu müssen Kinder wiedererkannt werden. Die Ermittelnden sind angesichts der immens steigenden Datenflut darauf angewiesen, Gesichter betroffener Kinder automatisiert und zuverlässig in der Datenmasse wiederzuerkennen. Doch hier gab es bislang ein Problem: Die biometrische Gesichtserkennung von Kindern ist noch nicht ausgereift und somit ungenau und fehleranfällig.
Über die „Forschungsförderung Cybersicherheit“ des Hessischen Innenministeriums kamen die h_da-Forensiker ins Spiel. Das Biometrie-Team um Prof. Dr. Christian Rathgeb vom Fachbereich Informatik der h_da hatte es sich im Rahmen des Forschungsprojekts „Bio4ensics“ zusammen mit dem HLKA und unter strategischer Steuerung des hessischen Innenministeriums zum Ziel gesetzt, die Gesichtserkennung von Kindern zu verbessern. „In diesem Bereich herrscht tatsächlich Datennot“, sagt Rathgeb, Spezialist für digitale Forensik und Mitglied im Nationalen Forschungszentrum für angewandte Cybersicherheit (ATHENE). „Wir arbeiten hier mit so genannten tiefen neuronalen Netzwerken. Das sind lernende Systeme, die massig Trainingsdaten brauchen, um Gesichter wiederzuerkennen. Bei jüngeren Menschen fehlten jedoch bislang solche Datenbanken. Die Erkennungsleistung nahm daher ab, je jünger die Person wird.“
In den kinderpornografischen Materialien lägen Kindergesichter zu Trainingszwecken zwar massenhaft vor. Diese streng gesicherten Materialien bekommen außer den HLKA-Ermittlern aber keine weiteren Personen zu sehen – die h_da-Forscher schlossen zudem aus, mit den Materialien zu arbeiten. Sie entschieden sich daher, Kindergesichter massenhaft künstlich zu erzeugen und mit dieser Datenbank den Algorithmus zu trainieren. Die h_da–Forscher generierten pro synthetischer Identität gleich mehrere, täuschend echt wirkende Gesichtsausdrücke zur Optimierung der realistischen Anmutung. Hierbei gingen sie von künstlich erzeugten Erwachsenengesichtern aus, die sie Schritt für Schritt verjüngten. Mit Erfolg: Der trainierte Algorithmus erkennt nun auch reale Kindergesichter besser als zuvor. „Synthetische Fotos können biometrische Gesichtserkennungssysteme also verbessern, sie sind zudem eine datenschutzfreundliche Variante in der Cyber-Forensik“, bilanziert Prof. Dr. Christian Rathgeb.
Mit zwei weiteren Motivbereichen beschäftigten sich die h_da-Biometrieforscher. In kinderpornografischen Materialien sind von den Täterinnen und Tätern meist nur Hände und Tattoos zu sehen. Doch hieraus lassen sich Rückschlüsse ziehen. Das h_da-Team erzeugte daher neben künstlichen Kindergesichtern auch massenhaft synthetische Erwachsenenhände in verschiedenen Posen und Gestiken. „So gelang es, einen der ersten Algorithmen zu entwickeln, der die Qualität von vorliegenden Echtfotos bewerten kann“, sagt Prof. Dr. Christian Rathgeb. Auch mit Blick auf die Wiedererkennung von Tattoos wurde die Datengrundlage verbessert.
Die Arbeit der h_da-Forscher könnte zudem dazu beitragen, seit längerem vermisste Kinder aufzuspüren. Per Gesichtserkennung ließen sich Kindergesichter altern, um so einen realistischen Eindruck davon zu bekommen, wie die Person heute aussehen könnte. Neueste Methoden in der Cyber-Forensik könnten so auch dabei helfen, alte Fälle aufzuklären. Die Botschaft an die Täterinnen und Täter ist unmissverständlich: Ihr könnt euch niemals sicher sein, die Ermittlerinnen und Ermittler geben nicht auf.
Hintergrundinfo: Forschungsförderung Cybersicherheit in Hessen
Um die Forschungslandschaft im Bereich Cybersicherheit im Land Hessen gezielt fördern zu können, hat das Hessische Ministerium des Innern, für Sicherheit und Heimatschutz (HMdI) eine Förderrichtlinie „Cybersicherheitsforschung in Hessen“ entwickelt. Das Land Hessen stellt mit dieser Richtlinie ein Förderprogramm für die Cybersicherheitsforschung bereit, über das Forschungsergebnisse aus dem Bereich Cybersicherheit generiert und allgemein verfügbar und nutzbar gemacht werden sollen. Ziel ist es, das Vertrauen in die Integrität und Verlässlichkeit der digitalen Welt zu bewahren und weiterzuentwickeln. Das Land Hessen gewährt nach Maßgabe dieser Förderrichtlinie Zuwendungen für Projektförderungen an Hochschulen des Landes Hessen sowie an außeruniversitäre Forschungseinrichtungen mit Sitz im Land Hessen zur Förderung von Forschungsvorhaben im Bereich Cybersicherheit. So wurde das Projekt „Bio4ensics“ ebenfalls über diese Förderrichtlinie des HMdI gezielt gefördert.
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Simon Colin
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