„Die Denkweise der Menschen verändern“

Studierende und Lehrende mehrerer deutscher Hochschulen haben im April den Irak besucht, um dort gemeinsame Projekte anzubahnen. Die Reise fand im Rahmen des vom DAAD geförderten „Project Innovation Hub“ statt, an dem die Hochschule Darmstadt (h_da), die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, die Ernst-Abbe-Hochschule Jena und als Projektleitung die Technische Hochschule Brandenburg beteiligt sind. Ziel ist es, jungen Menschen aus Krisenregionen im Nahen Osten und Nordafrika den Zugang zur deutschen Hochschulbildung zu ermöglichen und Forschende miteinander zu vernetzen. Da das Geld für Reisen oft fehlt und die Sicherheitslage oder Visaprobleme einen Auslandsaufenthalt nicht zulassen, bildet eine digitale Lernplattform den Kern des Projekts. So können Studierende aus Ländern wie dem Irak, Sudan, Jordanien oder Libanon virtuell Kurse an deutschen Hochschulen belegen. Zum Aufbau der Plattform finden außerdem Projekttreffen vor Ort statt. Auf der ersten „Fact-Finding-Mission“ in den Irak besuchten die deutschen Gäste Baghdad, Erbil, Mossul und Duhok. Das Team kehrte mit intensiven Eindrücken zurück, die h_da-Studentin Sophie Bade in einem Film schildert.

Von Christina Janssen, 3.9.2024

Es gehe darum, die Denkweise der Menschen zu verändern, betont Prof. Dr. Kossay Al-Ahmady, Präsident der Universität Mossul: „Nachdem der ‚Islamische Staat‘ drei Jahre lang unser Leben und unsere Gedanken dominiert hat, brauchen wir einen Neuanfang. Doch die große Frage ist: Wie geht das?“ Die Universität Mossul startete nach der Befreiung der Stadt durch die irakische Armee 2017 eine groß angelegte Kampagne, um die Bürgerinnen und Bürger zu ermutigen – zu Weltoffenheit, Demokratie, Lebensfreude, einem friedlichen Miteinander: „Wir haben mehr als 150 Social-Media-Kanäle gestartet und jeden Tag beinahe stündlich etwas gepostet. So haben wir versucht, Schritt für Schritt etwas zu verändern. Das ist sehr schwierig, aber nach und nach ist es uns gelungen. Die Universität Mossul hat sich so zu einem wichtigen gesellschaftlichen Faktor entwickelt. Und wir machen weiter.“

Project Innovation Hub


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Film: Sophie Bade, Hochschule Darmstadt

Das „Project Innovation Hub“ (PIH) soll dabei unterstützen, das irakische Bildungssystem zu stärken. Bei den Besuchen der deutschen Delegation an Universitäten im ganzen Land tauschten sich deshalb deutsche und irakische Studierende in Workshops über ihre Erfahrungen im Studium aus, über ihre Forschungsinteressen und Weltanschauungen. „Es ist beeindruckend zu sehen, wie binnen so weniger Jahre Universitäten wiederaufgebaut und Bildung zur Priorität im Land wurde“, sagt Film-Studentin Sophie Bade von der Hochschule Darmstadt. Paul Grimm, Professor für Augmented und Virtual Reality am Fachbereich Media der h_da, ergänzt „Die Wissenschaft bietet ideale Voraussetzungen für kulturübergreifenden Austausch. Der Irak benötigt nun einen ‚Bologna-Moment‘, um Studierenden – wie in Europa durch eine Vereinheitlichung von Studiengängen und -abschlüssen – internationale Mobilität zu ermöglichen.“

Übergreifendes Thema der Studierendenakademie, die das Projektteam organisiert, ist die Digitalisierung von UNESCO-Weltkulturerbestätten. Die Kooperation zielt darauf ab, Lösungen für die digitale „Konservierung“ gefährdeter historischer Orte zu entwickeln. Anhand neuer Technologien wie Photogrammetrie, Laserscannings und 3D-Modellierung erstellen Studierende gemeinsam mit den Lehrenden digitale Zwillinge von Kulturschätzen, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und detailgetreu für nachfolgende Generationen bewahrt werden. In Jordanien nehmen mehrere Digitalisierungsprojekte dieser Art bereits Gestalt an – dabei geht es unter anderem um die berühmte Nabatäerstadt Petra und die Zitadelle in der Hauptstadt Amman (s. impact-Artikel „Virtuelle Wüstenwelten“).

Ein weiterer solcher Ort könnte die Zitadelle von Erbil sein, die derzeit aufgrund umfangreicher Restaurierungsarbeiten für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Sie ist nach Angaben der UNESCO einer der ältesten durchgängig bewohnten Orte der Welt, ihre Geschichte reicht bis ins 5. Jahrtausend vor Christus zurück. Die deutsche Besuchergruppe und ihre irakischen Gastgeber konnten das architektonische Highlight in Augenschein nehmen, um ihre Digitalisierungspläne zu konkretisieren. Unterstützt werden sie dabei auch von außeruniversitären Partnern wie dem Directorate of Antiquities and Heritage in Erbil und dem Jordan Museum.

Impressionen aus dem Irak. Alle Bilder: Paul Grimm. 

Für die deutschen Wissenschaftler:innen bot die Rundreise die Möglichkeit, ihre irakischen Kolleginnen und Kollegen kennenzulernen und Möglichkeiten gemeinsamer Lehr- und Forschungsprojekte auszuloten. „Die Situation ist nicht einfach“, erklärt Prof. Dr. Julia Schnitzer von der federführenden TH Brandenburg: „Das Beste, was wir in Anbetracht der aktuell angespannten Lage im Nahen Osten tun können ist weiterzumachen, die bestehenden Kooperationen auszubauen und das Vertrauen auf beiden Seiten zu stärken. Das ist ein langfristiger Prozess, doch er hilft beiden Seiten.“

Derzeit ist es aufgrund von Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes schwierig, Exkursionen in den Irak bewilligt zu bekommen. Eine enge Zusammenarbeit mit der Deutschen Botschaft in Bagdad und ein detailliertes Sicherheitskonzept, Schutz durch das Ministerium vor Ort waren nötig, um die Reise überhaupt durchführen zu können. Es war die erste Reise dieser Art, seit sich die Lage im Irak nach Kriegsende beruhigt hat. „Damit unser Vorhaben gelingt, war der starke Wunsch und Wille aller Beteiligten nötig“, resümiert Professor Paul Grimm von der h_da. „Ohne das besondere Engagement der TH Brandenburg und insbesondere des dortigen Hochschulpräsidenten Prof. Dr. Andreas Wilms wäre das nicht möglich geworden.“ Ein wenig Mut gehört eben auch dazu, ein solches Projekt auf die Beine zu stellen - und so einen Beitrag zu leisten zu mehr Austausch und Zusammenarbeit mit einer Region im Aufbruch.

Kontakt zur h_da-Wissenschaftsredaktion

Christina Janssen
Wissenschaftsredakteurin
Hochschulkommunikation
Tel.: +49.6151.533-60112
E-Mail: christina.janssen@h-da.de

Ansprechpartner an der h_da

Prof. Dr. Paul Grimm, Fachbereich Media:  
avrd.mediencampus.h-da.de/grimm/ 

Links

Projektwebsite: Project Innovation Hub

impact, 15.2.2023: „Virtuelle Wüstenwelten“