Wie Kunst helfen kann, seelisch Nöte zu heilen

Wie Kunst in der Arbeit mit psychisch erkrankten Menschen einzusetzen ist, das möchte Lisa Niederreiter den künftigen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern vermitteln. Auch möchte sie ihnen in Zeiten zunehmender Ausgrenzung ein menschenrechtlich-ethisches Fundament für ihre Arbeit mitgeben – und das, obwohl der Bachelor anstelle des Diploms ihrer Meinung das das Studium „verengt“.

Von Annette Wannemacher-Saal, 13.5.2024

An Projekten und Ideen mangelt es Lisa Niederreiter nicht. Und diese wollen untergebracht werden in einem vollen Terminkalender, den die Professorin für Soziale Arbeit an der h_da während des Semesters hat. „18 Stunden Lehre pro Woche sind nicht ohne“, sagt die diplomierte Kunsttherapeutin, die seit 1996 an der Hochschule Darmstadt Kunst in der Sozialen Arbeit lehrt.

„Kunst und Kultur sind wichtige Ressourcen für meine Arbeit“, sagt die Professorin, die auch als Künstlerin tätig ist und ein Atelier in Frankfurt hat. Eines ihrer Ziele in der Lehre ist es, den künftigen Sozialarbeitern und Sozialarbeiterinnen Impulse zu geben, wie sie Kunst in der Arbeit mit ihren Klienten einsetzen können. Dafür sei zunächst Voraussetzung, sich selbst mit Kunst auseinanderzusetzen, sagt die 62-Jährige, die sich durch ihre künstlerische und forschungsorientierte Projekt- und Atelierarbeit auch in der Kunstszene einen Namen erworben hat.

Neben Mentorengruppen für Sozialarbeiter:innen im Anerkennungsjahr bietet die Professorin für Bachelorstudierende auch ein offenes Atelier an. Vier Stunden pro Woche arbeiten die Studierenden an eigenen künstlerischen Themen wie Druck, Plastik, Textil oder Malen. Die Ideen bringen sie selbst mit – oder die Professorin setzt Impulse, lässt sie etwa mit Speckstein arbeiten. Neben der künstlerischen Arbeit als eigenständigem Prozess steht die Frage im Fokus, was Kunst in der Sozialen Arbeit bewirken kann und was man mit künstlerischer Arbeit bei bestimmten Zielgruppen, etwa bei Menschen mit psychischen und intellektuellen Handicaps, auch im Sinne der Teilhabe bewegen kann.

Befasst sich mit den heilenden Aspekten von Kunst: Professorin Lisa Niederreiter. Foto: privat.

„Kunst zu machen gibt eine Tagesstruktur“

„Es gibt Lerneffekte auf vielen unterschiedlichen Ebenen“, so die Hochschulprofessorin. „Kunst zu machen, gibt eine Tagesstruktur, bietet Erfolgserlebnisse.“ Kunstwerke, die entstehen, hätten oft symbolische Bedeutung und helfen dem Betroffenen, sich auszudrücken. „Dafür möchte ich die Studierenden sensibilisieren.“ Dass an den offenen Ateliers als Pilotprojekt im Rahmen „inklusive Hochschule" auch Psychiatrie-erfahrene Menschen teilnehmen, sei für beide Seiten eine Bereicherung – natürlich auch für die künftigen Sozialarbeiter.

Ein weiterer Schwerpunkt in Niederreiters Lehre ist die Praxisreflexion kombiniert mit arbeitsfeldspezifischer Theorie sowie Methoden. Einmal pro Woche begleitet sie Studierende, die im Projektmodul in Schulen, bei Ferienspielen oder etwa Wohneinrichtungen Erfahrungen im Umgang mit Inklusionskindern oder Erwachsenen mit Behinderung sammeln. In einer dreistündigen Veranstaltung tauschen die Studierenden Erfahrungen aus, schildern ihre Probleme. „Die Verzahnung von Theorie und Praxis ist sehr wichtig“, sagt Lisa Niederreiter, die vorher Sonder- und Kunstpädagogik studiert und als Kunsttherapeutin sieben Jahre lang auch klinische Berufspraxis gesammelt hat. Gemeinsam mit den Studierenden werden die Probleme erörtert und Lösungsansätze diskutiert.

Studierende sollen auch ein politisch-ethisches Fundament bekommen

Dabei geht es Lisa Niederreiter jedoch stets darum, „Menschen mit Beeinträchtigung zu ihrem Recht zu verhelfen – und nicht nur, Methoden und Konzepte im Umgang mit ihnen zu erörtern.“ Mit ihren Lehrveranstaltungen wolle sie den zukünftigen Fachkräften in der Sozialen Arbeit auch ein „menschenrechtliches und politisch-ethisches Fundament“ mitgeben, gerade in Anbetracht zunehmender Ausgrenzungsprozesse. „Das ist heute aktueller denn je.“ Das reiche von der Auseinandersetzung mit Trauma bis hin zur Sensibilisierung für Rassismus, Antisemitismus und entsprechenden Bildungs- und Präventionskonzepte.

Dazu passt, dass Lisa Niederreiter auch Exkursionen anbietet. Im vergangenen Jahr besuchte sie etwa im Rahmen der Lehrveranstaltung „Keine Zukunft dieser Vergangenheit“ mit einer Gruppe Studierender das Vernichtungslager Auschwitz. Die Eindrücke der Studierenden waren so intensiv, dass sie mit ihnen gemeinsam eine Ausstellung konzipierte, in denen sie Bilder, Plastiken, Podcasts sowie Schriften einiger Zeitzeugen präsentierten. „Damit haben sie eine klare Botschaft gegen Ausgrenzung und Gewalt gesendet.“

Veränderung der Schwerpunkte und Fachdebatten

Als „dienstälteste“ Kollegin im Fachbereich Soziale Arbeit hat sie nicht nur viele Generationen Studierender kommen und gehen sehen, sondern auch Entwicklungen im Fachbereich miterlebt. Schwerpunkte hätten sich verschoben – auch als Folge des Bachelors, der das Diplom abgelöst und das Studium ihrer Ansicht nach „verengt“ hat. „Auch verändern sich die Studierenden, und damit die Diskussionen und Fachdebatten.“

Dennoch habe sie nach wie vor die Möglichkeit, Schwerpunkte zu vertiefen. „Ich genieße die Freiheit der Lehre“, sagt die temperamentvolle Professorin. Ob sie allerdings den für 2029 geplanten Umzug des Fachbereichs von der Adelungstraße auf den h_da-Campus mitmacht, das lässt sie lächelnd offen.