Musik in der Sozialen Arbeit

Bunt gemischte Kindegruppe auf dem Boden sitzend beim Musizieren
Musik tut gut – und verbindet Menschen

Bei den Darmstädter Ferienkursen, die am Wochenende zu Ende gegangen sind, wird musiziert, gesungen, experimentiert – und diskutiert. 450 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus aller Welt sind bei der Sommerakademie dabei und bei rund 50 öffentlichen Konzerten zu sehen und zu hören. Andere treffen sich zum Austausch über aktuelle Forschungsprojekte, wie etwa das Cluster „Social Impact of Music Making“ an der Hochschule Darmstadt, das Sara Hubrich vom Fachbereich Soziale Arbeit organisiert hat.

Von Annette Wannemacher- Saal, 7.8.2025

„Musik prägt den Menschen in jedem Fall.“ Ein kurzer Satz, den wohl alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Ferienkurse für Neue Musik unterschreiben würden. Ganz gleich, ob sie als Komponisten, Instrumentalisten oder Forschende bei der zweiwöchigen Bienale in Darmstadt dabei sind.

Das Zitat stammt von Viktoria Varkonyi, 35 Jahre alte Geigerin und Musikvermittlerin aus Österreich. Sie ist zur Abschlussveranstaltung eines dreitägigen Seminars des Forschungsclusters „Social Impact of Music Making (SIMM)“ nach Darmstadt gereist und macht sich ein Bild davon, was ein Dutzend Forscherinnen und Forscher aus aller Welt zum Thema „Participative Opera und Music theatre projcets“ zusammengetragen haben. Und das sei eine ganze Menge, so die ungarische Musikerin, die das nächste Treffen 2027 in Wien organisieren wird.

„Leuchtturmstelle“ an der Hochschule

Diesen Sommer in Darmstadt war dies die Aufgabe von Sara Hubrich, Professorin für „Musik im Kontext von Kulturarbeit am Fachbereich Soziale Arbeit“ an der Hochschule Darmstadt. An der eher auf technische Fächer ausgerichteten Hochschule hat die temperamentvolle Geigerin eine Professur für Musik inne – eine „Leuchtturmstelle“ nennt sie dies, weil in Deutschland längst nicht alle Hochschulen und Studiengänge für Soziale Arbeit einen solchen Lehrstuhl hätten.

Ziel ist es nicht, den Studentinnen und Studenten ihres Wahlpflichtfaches ein einzelnes Instrument beizubringen; vielmehr sollen sie sich etwa durch Erfahrungen in vielen Gestaltungsaufgaben, Stimmbildung, Musizieren, Musik hören, Tanztheater oder digitalen Musikprojekten persönlich ausdrücken und weiterentwickeln. „Es ist toll zu sehen, was in nur wenigen Monaten passieren kann.“

Diese Erfahrungen setzen sie dann etwa in Einrichtungen für Geflüchtete, Schulen, Wohngruppen oder Altenheimen um: gemeinsam wird Musik gehört, gemacht und ausgedacht, dazu gemalt, gesungen, getanzt. Die gemeinsamen Erfahrungen orientieren sich an der Lebenswelt der Teilnehmenden, und der Austausch darüber steht im Mittelpunkt dieses prozess-basierten Arbeitens. Neue Perspektiven entstehen und die Beteiligten schöpfen neuen Mut, ihre oft sehr herausfordernden Lebensumstände anzupacken.

„Gut-Tun“ zu messen, ist komplex

„Offensichtlich tut das allen gut“, sagt Sara Hubrich. Das Problem sei allerdings: Das „Gut-Tun“ zu messen und nachzuweisen, sei komplex, spezifisch und so vielschichtig, dass griffige Daten mit hoher Reichweite schwer zu erstellen seien. Zwar sei unbestritten, dass „Kulturaktivitäten auf das Wohlbefinden und den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft wirken“. Das aber werde aus den genannten Gründen häufig übersehen. So hätten Sozialarbeiterinnen, Organisationen oder Kunstschaffende Schwierigkeiten, die sozialen Auswirkungen ihrer Projekte „Nicht-Fachleuten und politischen Entscheidungsträgern effektiv zu vermitteln“. Als Folge davon seien diese Bereiche anfällig für Sparmaßnahmen; Projekte würden gekürzt oder entfielen komplett.

Belegen kann sie dies mit einer Entscheidung der UNESCO. So sei Kultur im Entwurf des „Pact for the Future“ noch enthalten gewesen, da sie zum Wohlbefinden der Menschen beitrage. In der Direktive von 2024 jedoch war der Bereich gestrichen – im Gegensatz zum Bereich Sport, wo man Erfolge anhand von validierten Skalen leichter belegen kann. Vergleichbare Messmethoden gebe es in der Musik noch nicht: „Man kann noch nicht griffig genug nachweisen, dass Kultur der Gesamtheit der Gesellschaft guttut. Doch wir sind an der Aufgabe dran, unsere Wirkungsforschungen in dieser Hinsicht weiterzuentwickeln“, so das Fazit der Professorin.

Zahlreiche Beispiele erfolgreicher Projekte in aller Welt

Das ist auch den Teilnehmenden des Forschungsclusters in Darmstadt bewusst, die bei ihrer Abschlussveranstaltung in der Schader-Stiftung am 30. Juli 2025 von unterschiedlichen Erfahrungen in ihren Herkunftsländern berichten. Ob in Australien, Deutschland, England, Frankreich, Griechenland, Italien, Kroatien, Niederlande oder Uruquay: Beispiele von erfolgreichen Projekten gibt es reichlich. Eine Teilnehmerin erfuhr während des Seminars, dass die Partnerschule ihres Projekts mit dem Prädikat „Kulturschule“ ausgezeichnet wurde.

Doch auch da stellt sich die Frage: Wer misst deren Erfolg und wie kann man deren sozialen Wirkungen sichtbarer machen? Muss das überhaupt sein? Wie kann man erreichen, dass noch mehr Entscheidungsträger von der Wirkung dieser Projekte wissen und noch mehr Menschen mit kaum Zugang zu kulturellen Projekten daran teilhaben können?

Künftige Förderung trotz der Erfolge fraglich

Viele Projekte sind so erfolgreich, dass sie sich von selbst weiterentwickeln und immer mehr Menschen einbinden, wie etwa in Friesland, wo Amateurmusiker in Kirchen zusammenkommen und spontan musizieren. Oder in London, wo Sex-Arbeiter auf Basis ihrer Lebenserfahrung mit eigenen Kompositionen und Unterstützung von Profi-Musikern eine Oper aufführen? Oder in Lissabon, wo junge Straffällige eigene Kompositionen auf die Bühne bringen? Oder in Barcelona, wo am Gran Teatre del Lieu 300 Amateure und 50 Profis ein Programm bieten, das so erfolgreich war, dass ein zweites in Planung ist. Die Frage der Förderungssicherheit bleibt trotzdem bestehen.

Dabei sind nicht alle Kulturprojekte gleich kostenintensiv. Bei all diesen Projekten kommen viele Menschen zu Kultur und werden berührt und getragen und erfahren Weiterentwicklungspotential – ganz gleich, ob auf der Bühne, hinter der Bühne, beim Schneidern von Kostümen, beim Beleuchten. Jeder hat Anlagen, Talente. Man muss nur jeden das machen lassen, was er kann, sagt Sean Gregory von der Guildhall School of Music an Drama in London. Schließlich sei es „ein menschliches Bedürfnis, zusammenzuarbeiten“, so der Komponist.

Tun sie dies, spüren sie eine soziale Zugehörigkeit, ergänzt Sara Hubrich. Mit Kompetenz- und Autonomieerfahrung seien dies drei Komponenten, die zum Wohlergehen beitragen – „und die man messen kann“. Mit Begeisterung berichtet sie von einem Projekt mit Neuntklässlern in Köln, das sie mit Kollegin Dr. Fiona Stevens, ebenfalls Fachbereich Soziale Arbeit, an einer Brennpunktschule umgesetzt hat.

Gemeinschaftsgefühl durch Musikerfahrung

Die Schüler einer Hauptschule, 80 Prozent mit Migrationshintergrund, lernten zunächst Musikerinnen und Musiker von Concerto Köln kennen, denn Beziehungsgestaltung trägt, so Hubrich, weitreichend zum Erfolg dieser Projekte bei. Sie teilten ihre Erfahrungen mit Musik und entwickelten etwas auch aus eigenen Liedern und Raps, die sie gemeinsam beim Konzert von Concerto Köln im Wallraf-Richartz-Museum zeigten, bei dem auch Hubrich mitwirkte. Damit stellten sie eine Verbindung her zu der Musik, die sie selbst hörten und konnten mit der Musik Concerto Kölns in Kontakt kommen. Diese wurde gemeinsam gehört, es wurde diskutiert, eine Beziehung zu klassischer Musik hergestellt, zu Tiktok-Beiträgen getanzt; einig brachten Instrumente mit. Gespräche mit den Schülern vor und nach dem Projekt belegten: „Es entstand ein nachhaltig wirkendes Gemeinschaftsgefühl geschaffen und das Wohlergehen gesteigert.“ Genau sei das Ziel.

Ab Herbst Jam Sessions im Staatstheater

In Darmstadt steht das nächste Projekt schon in den Startlöchern. Im Herbst sind Jam Sessions im Staatstheater geplant, wo Studierende der Akademie für Tonkunst in Tandems mit h_da-Studierenden der Sozialen Arbeit mit wechselnden Bands improvisieren wollen. „Was passiert, ist offen – aber ein Gemeinschaftsgefühl wird in jedem Fall entstehen.“

Ein Projekt im Chor der vielen Projekte, über die sich die Teilnehmer des Forschungsclusters künftig stärker austauschen wollen. Tandems von Musikerinnen und Musikern mit Fachkräften der Sozialen Arbeit können einen wertvollen Beitrag zur Weiterentwicklung der Projekte und deren Sichtbarkeit leisten, weil sie sich in ihrer jeweiligen Expertise sinnvoll und bereichernd ergänzen. Ein interdisziplinärer Dialog sei ebenso wichtig wie eine ethische Reflektion, strengere Forschungsmethoden und proaktive institutionelle Reformen, fasst Professor Lukas Pairon, der Gründer von SIMM zusammen. Und Organisatorin Sara Hubrich? Sie ist nach dem dreitägigen, intensiven Seminar ein wenig erschöpft – aber mehr als zufrieden mit dem Verlauf. Auch hier gibt es kein „messbares“ Ergebnis, aber einen konstruktiven Austausch über die unterschiedlichen sozialen Herangehensweisen an Musik- und Theaterprojekte. „Nur so kann man die eigenen Methoden weiterentwickeln.“

Kontakt zur h_da-Wissenschaftsredaktion

Christina Janssen
Wissenschaftsredakteurin
Hochschulkommunikation
Tel.: +49.6151.533-60112
Mail: christina.janssen@h-da.de