Auf den Hund gekommen

Pflegebedürftige Menschen sollen möglichst lange in ihren eigenen vier Wänden leben können. Dazu will das Forschungsprojekt BIM-4-CARE am Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik der h_da einen Beitrag leisten: Unter Anwendung Künstlicher Intelligenz wollen die Wissenschaftler eine Lücke zwischen der fachlichen Umsetzung häuslicher Pflege und der Bauplanung für notwendige Umgestaltungen des eigenen Zuhauses schließen. Zum Einsatz kommt dabei auch ein Roboterhund, der Wohnungen mit Lasertechnik erfasst.

Von Alexandra Welsch, 14.6.2024

Er hat keine Ohren und keine Pfoten, er kann weder mit dem Schwanz wedeln noch bellen, und sein Körper ist auch nicht in Fell gehüllt, sondern besteht aus grauem Kunststoff und Aluminium. Aber wenn der Roboterhund sich bewegt, erinnert er frappierend an sein tierisches Vorbild: Er rennt los, bleibt abrupt stehen, dreht sich auf der Stelle im Kreis, hält an, geht in die Knie, verharrt kurz in tief geduckter Haltung, spring dann in einem großen Satz nach vorne, richtet sich auf und macht Männchen. Eine Extra-Kompetenz aber sticht dabei zunächst weniger ins Auge: Oben auf dem Rücken und vorne am Maul sitzen zwei Sensoren, die mit Lasertechnik die Umgebung abscannen.

Auf den Hund gekommen, im buchstäblichen Sinn, ist man am Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik (EIT) der Hochschule Darmstadt im Rahmen des Projekts BIM-4-CARE. Es dient, so der offizielle Titel, der „Erforschung und Entwicklung von KI-gestützten Algorithmen zur Auswertung körperlicher und geistiger Fähigkeiten von pflegebedürftigen Personen für die Ableitung individueller Maßnahmen der Pflegeassistenz, unter Berücksichtigung moderner Gebäudeautomatisierungstechnologien“. Das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) mit circa 1,4 Millionen Euro geförderte Forschungsvorhaben läuft zweieinhalb Jahre bis Sommer 2026 und soll dabei helfen, die Betreuung pflegebedürftiger Personen zu verbessern.

80 Prozent der Pflegebedürftigen werden zu Hause betreut

„Es geht darum, pflegebedürftige Menschen möglichst lange in ihren eigenen vier Wänden zu belassen“, erläutert Professor Sven Rogalski vom Fachbereich Elektrotechnik den Ansatz des Vorhabens unter seiner Leitung. Hintergrund ist die wachsende Zahl Pflegebedürftiger im Zuge der demografischen Entwicklung. Im Jahr 2019 seien bereits 4,1 Millionen Menschen pflegebedürftig gewesen, rund 80 Prozent würden zu Hause betreut. BIM-4-Care wolle dazu beitragen, eine aktuell existierende Lücke bei der Abstimmung zwischen der fachlichen Umsetzung der häuslichen Pflege vor Ort und der Bauplanung für Umgestaltungen in den eigenen vier Wänden zu schließen: Indem pflegerische und bauliche Notwendigkeiten unter KI-Einsatz unmittelbar miteinander verzahnt geplant und umgesetzt werden statt neben- oder gar nacheinander. Da erfasst beispielsweise die Pflegefachkraft eine fortgeschrittene Hüftarthrose, also schlägt eine Software automatisiert den Einbau einer ebenerdigen Dusche vor. Anhand der bereits erfassten baulichen Abmessungen kann ein Handwerkerbetrieb dann ohne Extra-Besuch die Umsetzung planen.

„Bei dem Projekt kommen viele verschiedene Kompetenzen zusammen“, unterstreicht Rogalski. Beteiligt sind neben einem dreiköpfigen Team seiner h_da-Forschungsgruppe AWA (Assisted Working and Automation) vier Projektpartner aus der Praxis: die Pflegedienste „Bruderhaus Diakonie“ und Pricura, das Architekturbüro Leinhäupl und Neuber sowie die Open Experience GmbH als Softwarenentwickler. Eingebettet ist das Ganze in das neue KI-Plattformprojekt „ForeSightNEXT“ im Rahmen des BMWK-Programms „Entwicklung digitaler Technologien“. Dabei sollen Smart-Living-Services über passende KI-Methodik für Projekte bereitgestellt werden, die darauf eigene Datenräume und Anwendungen aufbauen können. „BIM-4-Care setzt genau hier an, indem es gemäß dem Förderaufruf das Anwendungsfeld ‚Digitale Gesundheit‘ adressiert, insbesondere die häusliche Pflege“.

„Idee aufgrund privater Vorerfahrungen“

„Auf die Idee gekommen sind wir aufgrund privater Vorerfahrungen eines Projektpartners“, lässt der leitende Professor wissen. Bei dessen pflegebedürftigem Vater wurden heimische Umbauten nötig. Hierzu kamen allein schon für die Erfassung und Planung etliche Personen ins Haus, vom Handwerker bis zum Versicherungsvertreter. „Das ist Stress für die Betroffenen und Angehörigen.“ Dieser Prozess soll deshalb durch Einsatz automatisierter Erfassungssysteme effizienter werden – etwa mit Hilfe des Roboterhunds.

Durch den Laborraum des Fachbereichs tönt ein leises, durchgängiges Surren von seiner Schnauze her, wo eine Art Maulkorb rotiert. Dahinter sitzt ein Lidarsensor, der mit Lasertechnik den Nahbereich erfasst. Auf den Schultern des Kunststoffvierbeiners befindet sich ein zweiter Lasersensor zur Aufnahme des gesamten Raumes. „Roboterhunde haben den schönen Vorteil, dass sie Beine haben und auch unwegsames Terrain und Treppen gut überwinden können“, sagt Till Weist, Wirtschaftsingenieur-Masterstudent und gleichzeitig wissenschaftlicher Mitarbeiter. In diesem frühen Stadium des Projekts steuert er den Roboterhund noch per Konsole.

Doch das ist anders angedacht. „Die Intelligenz, dass er autark durch Räume läuft, einen Weg sucht und Objekte erfasst, muss man ihm noch mitgeben“, beschreibt Professor Rogalski die weitere Entwicklung. Von zentraler Bedeutung dabei ist das „Extension Board“, wie ein Rucksack eingelassen in der Rückenmitte und herausnehmbar. „Das ist das eigentliche Gehirn, auf das wir unsere Forschung aufbauen.“ In dieser Recheneinheit laufen die Daten der beiden Laser zusammen. Sie werden dort mittels KI-Algorithmik verarbeitet, um maßstabsgetreue, dreidimensionale Raumbilder zu generieren. Den „digitalen Zwilling der Wohnung“ nennt das Sven Rogalski.

Robo in action...

Daten von Pflegedienst und Architekturbüro

Daten erhalten die Forscher nicht nur durch die robotergestützte Raumerfassung. So steuert das beteiligte Architekturbüro etwa Informationen zu Vorschriften für behindertengerechte Umbaumaßnahmen bei. Und von den Pflegediensten kommen Daten zu Erkrankungen und Einschränkungen aus Interviews mit Pflegebedürftigen. „Wir erhalten dann jeweils Datencontainer“, erklärt Till Weist. Um sie zusammenzufügen, nutzt das Team vorhandene Open-Source-Software. Und programmiert sie durch Veränderung einzelner Parameter so um, dass sie der Einsatzbestimmung entspricht. „Die probieren wir dann immer weiter am Roboter aus.“

Ziel ist, dass er autark durch die Wohnung eines Pflegebedürftigen läuft und alles Bauliche erfasst, während eine Pflegekraft ein Interview führt zur Ermittlung der Bedürftigkeit. Auf die Weise könnte man alles in einem Besuch abhandeln. Eingepflegt in eine Software, erfolgt eine automatisierte und für die Betroffenen maßgeschneiderte Planung, was in der Wohnung umgebaut werden muss. „Wir entwickeln ein Vorschlagssystem, das die räumliche Situation erfasst und in Einklang bringt mit dem Krankheitsbild“, fasst Sven Rogalski zusammen. „Man kann auch Jahre später auf der Basis noch weiterplanen.“ Wenn etwa ein Mensch Multiple Sklerose hat und mit Fortschreiten der Krankheit die Notwendigkeit zusätzlicher Hilfsmittel, wie Handläufe, zur erwarten ist.

Mit Robotern sind auch Ängste verbunden

Doch obwohl das Forschungsvorhaben alleinig Verbesserungen im Sinne der Pflegebedürftigen im Sinn hat, stößt das Team auch auf Bedenken. „Leute haben Vorbehalte, als Pilotanwender zu fungieren“, stellt der Professor fest. Offensichtlich hätten ältere Menschen weniger Probleme damit, wenn Handwerker oder Pflegekräfte durch ihr Zuhause laufen, als ein Roboterhund. Das sei mit Ängsten verbunden, Stichwort gläserner Mensch. „Damit haben wir nicht gerechnet.“ Und es erschwere die Suche nach Protagonisten und Begehungsorten.

Aber sie seien noch am Anfang des Projekts und guter Dinge. Zurzeit werden methodische Ansätze zur autonomen Navigation und Vermessung erarbeitet, parallel führten die Pflegedienste Interviews, dann würden bald die ersten Wohnungsbegehungen beginnen. Und wenn man einen Ausblick wagt, in den Sommer 2026 zum Ende des Forschungsprojekts, dann sind sie sich sicher, dass alle gewonnen haben. „Dass wir einen Beitrag für die Digitalisierung der häuslichen Pflege geleistet haben und ein Vorschlagssystem entwickelt, das das erleichtert“, sagt Sven Rogalski. Und: „Dass der Prozess von der Beantragung bis zur Umsetzung von Umbauten verkürzt und vereinfacht ist“, ergänzt Mitarbeiter Tim Weist „Und dass man alten Menschen Sorgen nimmt und ermöglichen kann, länger in ihren Wohnungen zu bleiben.“

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