Schweben statt im Stau stehen

In Städten wie London, Toulouse und bald auch Paris werden Seilbahnen als urbanes Verkehrsmittel betrieben, in Städten wie Amsterdam oder Bonn laufen die Planungen dafür. h_da-Verkehrsexperte Prof. Jürgen Follmann und sein Team um Bauingenieur Thomas Marx engagieren sich seit Jahren für Seilbahn-Strecken auch im Rhein-Main-Gebiet – aktuell für eine Trasse vom Offenbacher Kaiserlei zur Frankfurter Eissporthalle. Das Zukunftsthema ist auch Inhalt einer der ersten Lehrveranstaltungen im neuen inter- und transdisziplinären Studienfeld Mobilität an der h_da.

Von Astrid Ludwig, 20.9.2023

Wenn sich Jürgen Follmann etwas vorgenommen hat, ist der Verkehrsexperte und Mobilitätsbeauftragte der Hochschule Darmstadt nur schwer zu bremsen. Dass es heute einen 30 Kilometer langen Radschnellweg gibt, der bald von Frankfurt über Langen bis nach Darmstadt führt, ist in weiten Teilen dem Engagement und der Beharrlichkeit des Bauingenieur-Professors zu verdanken. Mit ähnlicher Intensität widmet er sich seit Jahren einem anderen Verkehrsmittel – der Seilbahn. Die sollte seiner Ansicht nach Fahrgäste nicht nur zu touristischen Zielen chauffieren, sondern als innovatives Transportmittel im urbanen Alltagsverkehr eingesetzt werden. „Seilbahnen sind unabdingbar, um in den Ballungsräumen künftig Lücken im ÖPNV-Netz – vielleicht sogar als Zwischenlösung – zu schließen.“

Mehrere Streckenvarianten geplant

Die Vorteile liegen für Follmann auf der Hand: Seilbahnen sind klimafreundlich, verursachen kaum Lärm oder Schadstoffe, haben einen geringen Flächenverbrauch und lassen sich kostengünstiger sowie schneller realisieren als etwa neue Straßenbahn- oder U-Bahnstrecken. Bis zu 5.000 Menschen können pro Stunde und Richtung in den Kabinen fahren, die alle 25 Sekunden heranschweben und mit bis zu 25 km/h unterwegs sind. Zum Vergleich: Die Durchschnittsgeschwindigkeit von Bus und Bahn in Ballungszentren liegt bei rund 18 km/h. Platz ist auch für Räder, Rollstühle oder Kinderwagen. Verspätungen? Fehlanzeige. Der h_da-Experte hält Seilbahnen zudem für sicher und zuverlässig.

Zusammen mit Studierenden haben Professor Follmann und Thomas Marx seither Planungen für mögliche Trassenführungen im Rhein-Main-Gebiet in den Blick genommen und dafür erfolgreich Kontakte zur Landes- und Kommunalpolitik, der Wirtschaft, zu Nachbarstädten wie Frankfurt und Offenbach, Verkehrsbetrieben, zum Regionalverband oder auch der IHK aufgenommen. 2019 kam durch die gemeinsame Initiative mit dem Regionalverband FrankfurtRheinMain der 1. Seilbahntag für die Region zustande, im Mai 2023 bereits der zweite.

Vor dem Hintergrund der Fußball-Europameisterschaft 2024 schien eine Trasse vom Flughafen Frankfurt über Neu-Isenburg zum „Deutsche Bank Park“ – ehemals Waldstadion – und der Frankfurter Straßenbahnstation Louisa längere Zeit als die aussichtsreichste. „Doch dann kam Corona“, bedauert der Professor. Für eine Verwirklichung bis 2024 ist der Zeitplan nun zu eng. Aktuell wurde auf dem 2. Seilbahntag daher eine weitere Streckenführung präsentiert, die bereits in den Nahverkehrsplan 2025+ der Stadt Frankfurt aufgenommen wurde: Vom Offenbacher Kaiserlei über die Frankfurter Riederhöfe bis zur Eissporthalle. Dazu gibt es sogar schon ein Modell. Zusammen mit Studierenden und Designern*innen der Offenbacher Hochschule für Gestaltung (HfG) wurde die „High¯Line“ entworfen und die Trasse von Offenbach nach Frankfurt weiterentwickelt. Sowohl beim 2. Seilbahntag als auch dem 24. Hfg-Rundgang stieß die High¯Line auf große Resonanz.

Seilbahnen sind ein Highlight im Stadtquartier

Die Trasse, so der Verkehrsexperte, „wäre ein echter Lückenschluss im ÖPNV“. Und ein positiver städtebaulicher Impuls für das bisher eher brachliegende Kaiserlei-Areal. Dass Seilbahnen eine innovative Mobilitätslösung für eine nachhaltige Stadt- und Regionalentwicklung sein können, hat eine Studie von „Bouwfonds Immobilienentwicklung“, einem der größten Projekt- und Gebietsentwickler in Europa, ergeben. An der Studie haben das Team um Follmann und Marx sowie das renommierte Architektenbüro UNStudio aus Amsterdam mitgearbeitet. Danach können Seilbahnen nicht nur verschiedenste Verkehrsarten als eine Art Mobilitäts-Hub verknüpfen. Ihre Stationen sind zugleich „ein Ort mit hohem Mehrwert für ein ganzes Stadtquartier“, lassen sich doch dort unterschiedliche Nutzungen wie Gastronomie, Einzelhandel, Sportangebote, soziale oder kulturelle Einrichtungen unterbringen.

Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr scheint das auch so zu sehen und hat 2022 einen Leitfaden für Kommunen und Verkehrsverbünde vorgestellt, um die Integration von Seilbahnen in die urbane Mobilität zu unterstützen. „Der Bund will Pilotprojekte in Deutschland als Ergänzung zum ÖPNV finanziell fördern“, berichtet Professor Follmann. Unter anderem sind Planungen in Bonn, Köln, München und Stuttgart angelaufen. „Die Fahrgäste jedenfalls lieben dieses Verkehrsmittel“, weiß er. Sein Team ist an der Realisierung der Seilbahn für das Bundesgartenschau-Areal in Mannheim beteiligt. Eigentlich sollte die Strecke temporär sein, nun gibt es jedoch Wünsche aus der Stadtgesellschaft, die Seilbahn dauerhaft zu betreiben. In Toulouse ging im Mai 2022 die Téléo, die längste urbane Seilbahn Frankreichs in Betrieb. Die drei Kilometer lange Trasse war anfangs mit 6.000 Fahrgästen am Tag geplant worden, „heute sind es bis zu 20.000“, so der h_da-Experte. Die „High¯Line“ zwischen Offenbach und Frankfurt, ist Follmann überzeugt, wäre sicherlich ein Renner, auch touristisch: „Allein der Blick auf die Skyline“.

Als Beschleuniger der Idee dürfte wirken, dass Frankfurt und die Rhein-Main-Region 2026 – nach Valencia, San Diego und Tijuana – den Titel „World Design Capital“ tragen wird. Seit 2008 werden alle zwei Jahre Städte oder Regionen für den Einsatz von Design in der wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und ökologischen Entwicklung gewürdigt. „In den Antrag eingebunden ist auch die Idee einer Seilbahn zwischen Offenbach und Frankfurt“, freut sich Follmann und ist zuversichtlich, dass „aus dem Projekt nun etwas werden kann“. Es stehen bereits Treffen unter anderem mit dem Regionalverband, der Frankfurter Nahverkehrsgesellschaft traffiQ und den Industrie- und Handelskammern Frankfurt und Offenbach im Kalender. Vielleicht verkehren bald tatsächlich Kabinen in luftiger Höhe zwischen Kaiserlei und Eisporthalle. Ein Problem könnte sich jedoch stellen: Die Strecke liegt an einem Kleingartengebiet und dem Frankfurter Ostpark, was Beschwerden auslösen könnte. Doch dafür gibt es technische Lösungen. „Der Blick aus den Kabinen lässt sich abschnittsweise verhindern“, sagt Follmann.

Thema der ersten Studienfeld-Veranstaltungen

Eine eigene Seilbahn-Trasse werden Studierende planen können, die sich im Wintersemester für das neue Studienfeld Mobilität angemeldet haben. Die Studienfelder starten zum Wintersemester 2023/24 und sind Teil der Hochschulstrategie der h_da, die vor zwei Jahren mit breiter Beteiligung von Hochschulangehörigen entwickelt wurde. Sie benennt drei Megathemen, für die drei inter- und transdisziplinäre Studienfelder eingerichtet wurden: Mobilität, Nachhaltige Entwicklung sowie Digitalisierung und Gesellschaft. Die Felder bündeln Kompetenzen zu den Themen und Lehrveranstaltungen, die Studierende aller Fachbereiche besuchen können. „Es gibt wohl keine andere Hochschule, die so etwas anbietet“, betont Follmann.

Der Professor hat das Studienfeld Mobilität mitentwickelt, nachdem er bei Schulbesuchen immer wieder von Schüler*innen gefragt wurde, wo sie denn „Mobilität“ studieren können. Die Vorstellungen zu Studieninhalten waren dabei sehr unterschiedlich „Wir müssen die jungen Leute heute bei der Studienwahl mit ihren Themen abholen“, ist er sicher. Angesichts von rund 70 Studiengängen an der h_da seien Jugendliche oftmals überfordert und könnten das Thema, das sie interessiert, nicht zuordnen. Die Studienfelder sollen das leichter machen. So sind für die Mobilität beispielsweise MINT-Fächer, Sozial- und Gesellschaftswissenschaften, Media oder Gestaltung eingebunden, die ganz unterschiedliche Aspekte einbringen: Antriebstechniken und Kunststoffe im Maschinenbau, Mobilitätsfragen einer alternden Gesellschaft, Barrierefreiheit in der Architektur- und Stadtplanung, Routenplanung in der Informatik, die Logistik oder auch Planung, Bau und Betrieb von Verkehrsanlagen. „Wir bieten eine generalisierte Grundausbildung in all diesen Kompetenzfeldern“, sagt Follmann. In den ersten drei Semestern können sich Studierende mit den vielen Facetten von Mobilität befassen und sich danach dann für einen vertiefenden Studiengang entscheiden.

Zum Einstieg hat der Verkehrsexperte zusammen mit Sofia Trunov und Thomas Marx eine Lehrveranstaltung konzipiert, die an 14 Terminen die Verknüpfung der Disziplinen sichtbar machen soll. Follmann hofft, „dass sich aus den unterschiedlichen Blickwinkeln der Studierenden auf die Mobilität interdisziplinäre Diskussionen und vielleicht ganz neue Ideen ergeben“. Planen sollen sie ein Seilbahnprojekt von Dieburg nach Darmstadt. Dabei wird es um technische und planerische Fragen gehen, konstruktive Elemente aus dem Bauingenieurwesen, mathematische Grundlagen, logistische Aspekte des Gütertransportes oder auch Grundzüge eines Businessplanes, denn meist müssen Bau und Betrieb einer Seilbahn mit öffentlichen Geldern finanziert werden. Zum Schluss, betont der h_da-Experte, müssen die jungen Leute ihre Planungen angemessen darstellen können. Mit einer medialen Präsentation vor großem Auditorium aus Vertreter*innen von HEAGmobilo, Kommunen an der Seilbahnstrecke, RMV und Dadina-Nahverkehrsgesellschaft. „Das wird auch ein Signal in die Region sein“, hofft er. Vielleicht wird so mit Hilfe der neuen Studienfelder und Studierenden eine Seilbahn-Lösung auch für Darmstadt attraktiv.

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Christina Janssen
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