Soziale Arbeit als Demokratieschule

Der Rechtsruck in der Gesellschaft und zunehmend autoritäre Tendenzen bedrohen nicht nur unsere Demokratie, sondern stellen auch die Soziale Arbeit vor große Herausforderungen. Wie können Fachkräfte der sozialen und pädagogischen Arbeit mit rechtem Gedankengut, rassistischer Gewalt, mit Antifeminismus, Verschwörungstheorien und einem sich verschärfenden sozialen und politischen Klima umgehen? Diesen Fragen widmen sich Studierende, Lehrende und Mitarbeitende des Fachbereiches Soziale Arbeit der h_da am 26. Mai gleich einen ganzen Tag lang mit Workshops, Vorträgen und Diskussionen. Der Fachbereichstag steht auch Gästen offen.
Von Astrid Ludwig, 16.5.2025
Damit hatte niemand gerechnet. Als sich am Ende einer Erstsemester-Veranstaltung des Fachbereiches Soziale Arbeit die improvisierte Feedback-Tafel füllte, die Studierende für Kommentare ihrer neuen Kommilitonen*innen aufgehängt hatten, prangte dort ein Hakenkreuz. War es Provokation, ein dümmlicher Scherz oder gar Geisteshaltung? Das Erschrecken jedenfalls war groß, erinnert sich Christoph Goltz, Bachelorstudent der Sozialen Arbeit. „Mit dem Vorfall hat sich der gesamte Fachbereich auseinandergesetzt“, sagt Torsten Bewernitz, h_da-Professor für Gesellschaftliche Transformationsprozesse und kollektives Handeln in der Sozialen Arbeit. Auch eine Studentische Vollversammlung sowie der Fachbereichsrat befassten sich mit dem Thema und sammelten Ideen, wie darauf zu reagieren sei. Ein Vorschlag war unter anderem die Veranstaltung eines Fachbereichstages, wie er nun am 26. Mai stattfinden wird. An dessen Organisation und Programm haben Studierende, Lehrende und Beschäftigte des Fachbereiches sowie der studentische Arbeitskreis gegen Rechts mitgewirkt. Die Studierenden haben eine Vielzahl von Themen für die Workshops und Arbeitsgruppen eingebracht, darunter Themen wie Ein- und Ausstiegsprozesse im Rechtsextremismus, Reaktionsmöglichkeiten bei rechten Äußerungen oder auch rassistische Polizeigewalt und Handlungsstrategien.
„Soziale Arbeit gegen rechte Hegemonie“ lautet der Titel der Veranstaltung, die auch über den Fachbereich und die Hochschule hinaus nach außen strahlen soll, berichten Bewernitz und Goltz. Große mediale Themen wie das Treffen von AfD-Abgeordneten mit rechtsextrem Gesinnten, bei dem über Remigration von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland diskutiert wurde, der Streit über Zurückweisungen von Flüchtlingen an den Grenzen, Kürzungen von Sozialleistungen oder das Ergebnis der Bundestagswahl haben mittlerweile weitere Gründe für eine großangelegte Debatte am Fachbereich geliefert. „Wir reagieren auf die Bedürfnisse der Studierenden“, sagt der Politologe und Soziologe Torsten Bewernitz. Mittlerweile liegt die Zahl der Anmeldungen bei 80, darunter viele Studierende, aber auch Ehemalige im Ausbildungsjahr oder Interessierte von außerhalb der Hochschule. „Das Feedback ist gut“, berichtet der Professor.

Vermutlich auch, weil sich viele Studierende, aber auch Mitarbeitende aus der Praxis zunehmend hilflos fühlen. „Die Ratlosigkeit ist groß, wie man in der Sozialen Arbeit damit umgehen soll.“ Wie reagiere ich auf rechte Sprüche von Klienten*innen oder Kommilitonen*innen, wie beeinflusst das den Alltag und das Klima in der Sozialen Arbeit, wo und wie kann ich intervenieren? Unter den Studierenden, berichtet Bachelor-Student Christoph Goltz, herrscht große Sorge „und teilweise auch ein Gefühl der Überforderung“. „Wir sind als Sozialarbeiter ganz direkt von diesem gesellschaftlichen Wandel betroffen.“ Verschiedene Handlungsansätze sind Thema der Referate und Diskussionen beim Fachbereichstag. Von der Debatte und fachlichen Auseinandersetzung verspricht sich der Bachelorstudent viel. „Das Engagement der Hochschule ist sehr hilfreich“, findet Goltz.
Gelebte Demokratie durch Teilhabe
Für Torsten Bewernitz, der viele Jahre Erfahrung in der beruflichen und ehrenamtlichen Gewerkschaftsarbeit gesammelt hat, liegt ein möglicher Lösungsansatz in der „gelebten Demokratie durch Partizipation.“ Für ihn bedeutet das „Teilhabe nicht nur auf dem Papier, sondern im Alltag.“ Er stützt sich dabei unter anderem auf Studien, wonach rechte Tendenzen unter Mitarbeitenden vor allem in den Betrieben geringer sind, in denen die Mitbestimmung gut funktioniert. Dass die Gesellschaft einen Rechtsruck erlebt, dafür macht der 50-Jährige vielfältige Ursachen aus – auch abseits der aktuellen weltpolitischen Lage. Latent seien solche Geisteshaltungen schon vorher vorhanden gewesen, „aber jetzt ist ein Resonanzboden dafür vorhanden und wo es gesagt wird, wird es laut gesagt. Es gibt zudem eine Partei, die diese Meinung vertritt.“
Großen Anteil schreibt er auch Hass, Hetze und Fehlinformationen in den Sozialen Netzwerken zu, die von einer Vielzahl ungeprüfter Informationen geflutet würden, „von denen man gar nicht mehr weiß, was ist korrekt und was nicht.“ Hinzu kommen die sich verschiebenden Rahmenbedingungen für die Soziale Arbeit – Stichwort Kürzungen bei Sozialleistungen, dem Bürgergeld oder eine verschärfte Flüchtlingspolitik. „Dabei ist Soziale Arbeit eine Demokratieschule“, appelliert Bewernitz. Gleichzeitig warnt er jedoch auch vor einer Unterwanderung der Sozialen Arbeit durch rechte Kräfte. Parteien am rechten Rand versuchten etwa in der Kommunalpolitik Kürzungen für offizielle Sozialarbeit durchzusetzen, um so ehrenamtliche Hilfe für ihre Gesinnung zu etablieren.
Die perfekten Lösungen oder Reaktion auf rechte Hegemonie gibt es nach Ansicht von Torsten Bewernitz kaum und solche könne sicherlich auch der Fachbereichstag nicht anbieten. „Jeder Mensch und jede Situation ist anders“, so der h_da-Professor. Stärken soll der Austausch aber beispielsweise das professionelle Selbstbewusstsein der Akteure*innen der Sozialen Arbeit, das sie auch in die öffentliche Debatte einbringen sollten. „Wir müssen uns als Person positionieren, unsere Meinung sagen und entsprechend intervenieren.“ Wichtig ist dem Politikwissenschaftler „das Gegenüber ernst zu nehmen, ohne uns selbst inhaltlich klein zu machen.“ Sein Mittel gegen autoritäres Denken lautet gelebte Demokratie. Von der aktuellen Debatte um ein AfD-Verbot hält der Politikwissenschaftler übrigens nicht viel. „Das ist für mich der letzte Weg und kein besonders demokratisches Unterfangen. Das Problem ist damit nicht erledigt, die Gesinnung bleibt. So ein Verbotsverfahren kann auch scheitern und hätte dann gegenteilige Effekte.“
Dokumentation geplant
Die Organisatoren und Organisatorinnen wollen am Fachbereichstag möglichst viel Feedback der Teilnehmenden einholen. Die Erkenntnisse der Veranstaltung sollen als Nachbereitung in die Lehre einfließen und auch in kommende Studienprojektwochen. Geplant ist eine Dokumentation und eine Art Handreichung – digital oder auch in Papierform. Nachgedacht wird auch darüber, Fachbereichstage nun wieder öfter stattfinden zu lassen. „Wir wollen dazu beitragen, dass Akteure*innen und Studierende der Sozialen Arbeit besser vorbereitet sind“, hoffen Bewernitz und Goltz.
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