Yvonne Haffner leitet Promotionszentrum Soziale Arbeit

Brückenbauerin für Geschlechtergerechtigkeit

Obwohl Frauen genauso qualifiziert sind, machen sie weniger Karriere als Männer. Wie kommt das und was kann man dagegen tun? Das ist das Lebensthema der Soziologin Yvonne Haffner. Als Professorin am Fachbereich Soziale Arbeit forscht und lehrt sie dazu, als Gleichstellungsbeauftragte der h_da kümmert sie sich um Chancengleichheit. In ihrer Forschung und Praxis zeigt sich: Mehr Geschlechtergerechtigkeit ist möglich, wenn man analytisch, systematisch und empathisch vorgeht. So hat sich der Anteil an Professorinnen in ihrer Dienstzeit erhöht.

Von Alexandra Welsch, 29.4.2025

Das Fenster in Yvonne Haffners Büro steht sperrangelweit auf. Frühlingswärme weht herein, vereinzelt schallen auch Verkehrsgeräusche von der Adelungstraße hoch. Hier, am Rande der Darmstädter Innenstadt und etwas ab vom Zentralcampus der h_da, ist der Fachbereich Soziale Arbeit angesiedelt. Und die Professorin für Geschlechter- und Bildungssoziologie wirkt dort als engagierte Forscherin und Förderin mit einem klaren Kompass. „Es ist eine demokratische Frage, dass man Frauen die gleichen Chancen einräumt“, sagt die 59-Jährige mit einer warmen Stimme, aus der Konsequenz und Gelassenheit gleichermaßen klingen.

Die Genderfrage ist ihr Thema seit Beginn ihrer Karriere, erzählt die zugewandte Frau mit der bürstigen Kurzhaarfrisur in ihrem lichtdurchfluteten Büro. Schon in ihrer Habilitation in Soziologie, damals an der Technischen Universität Darmstadt, hat sie sich mit der Karriere von Frauen im Bereich der MINT-Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik befasst. Die zentrale Frage dabei: Woran liegt es, dass Frauen bei gleicher Qualifikation weniger Karriere machen als Männer? Die Antworten, die ihre quantitative empirische Untersuchung zutage förderte, waren überraschend.

„Man braucht unterstützende Partner*innen“

„Wir konnten zeigen: Es sind nicht die Gründe, über die man immer spricht“, erläutert Haffner. Beispielsweise hätten sie Frauen in Teilzeitbeschäftigung ausgeklammert und festgestellt: Auch die übrigen waren trotz gleich guter Ausbildung oder Abschlüssen weniger erfolgreich als Männer. Herausgekommen ist, dass der Unterschied in einer anderen Lebenssituation liegt: „Man braucht unterstützende Partner*innen, damit man etwas mehr arbeiten kann als andere und Karriere machen kann“, formuliert die Soziologin die Erkenntnis. „Und das trifft auf Männer und Frauen gleichermaßen zu.“ Allerdings hätten Männer eher eine nicht berufstätige Partnerin an ihrer Seite, die sich um die Organisation des Privatlebens kümmert und so die notwendige Zeitinvestition in die Karriere ermöglicht. „Das ist ein gesellschaftlich strukturelles Problem“, betont die Professorin. Und schiebt nach: „Ich glaube, das gilt heute noch.“

Wie sich da effektiv gegensteuern lässt, zeigen ihre vielfachen Ansätze zur hochschulinternen Nachwuchs- und Frauenförderung. Dreh- und Angelpunkt ist das Gleichstellungsbüro, das Haffner mittlerweile in dritter Amtszeit gemeinsam mit ihrer Kollegin Julia Baumann leitet. Ein Meilenstein ist die erfolgreiche Teilnahme seit zehn Jahren am Professorinnenprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, bei dem die h_da wegen ihres überzeugenden Gleichstellungskonzepts zum wiederholten Mal teilnimmt. Dabei wird die Hälfte der Kosten für bis zu drei Professorinnen übernommen, die eine Erstberufung auf eine unbefristete Professur erhalten. „Wir haben darüber mittlerweile ein paar Millionen Euro bekommen“, erläutert die Gleichstellungsbeauftragte. Und das Ziel, darüber mehr Professorinnen in den Wissenschaftsbetrieb zu bekommen, ist aufgegangen: „Unser Professorinnenanteil ist gestiegen – von 13 Prozent im Jahr 2013 auf 24 Prozent 2023.“  

Wissenschaftliche Nachwuchsförderung mit Frauenfokus betreibt die engagierte Geschlechter- und Bildungssoziologin zudem am Promotionszentrum Soziale Arbeit, das die h_da seit 2019 im Verbund mit den anderen hessischen Hochschulen betreibt. Haffner gehört seit Anbeginn zum Leitungsgremium, und hat dort vor kurzem die erste Doktorandin bis zur Dissertation begleitet. Aktuell betreut sie vier weitere Promovendinnen, die sich allesamt mit Genderthemen befassen. Beispielsweise nimmt eine von ihnen eine quantitative Analyse vor, wie unterschiedlich Frauen und Männer in der Sozialen Arbeit publizieren. Eine andere geht in bundesweiten Interviews der Frage nach, inwiefern es in Drogenhilfeeinrichtungen spezielle Angebote für Frauen gibt.

Steigende Nachfragen im Promotionszentrum

„Die Nachfragen nehmen zu“, freut sich Yvonne Haffner, über ein wachsendes Interesse am Promotionszentrum. Es kämen auch immer mehr externe Anfragen aus anderen Bundesländern oder dem Ausland. Laut einer Zwischenbilanz vom Februar sind am Promotionszentrum Soziale Arbeit bislang 28 Promotionen abgeschlossen worden und aktuell 76 in Arbeit. Für Haffner eine klasse Entwicklung: „Dass die Wissenschaft der Sozialen Arbeit dort eigenständig im Zentrum steht“, sagt sie. „Für mich bekommt sie damit die Anerkennung, die ihr gebührt.“

In Netzwerken zusammenwirken und bei der Geschlechtergerechtigkeit weiterkommen: Diesen Ansatz verfolgt sie auch mit dem interdisziplinären Projekt „Hessen-Technikum“, das sie seit 2013 leitet. Jungen Frauen wird dabei nach dem Abitur ein Orientierungssemester an der h_da im Bereich der MINT-Fächer angeboten. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass technische Berufe eher als typisch männlich gelten und sich daher Schulabsolventinnen trotz Interesse und Talent aus Unsicherheit oft dagegen entscheiden. Die Teilnehmerinnen schnuppern ein Wintersemester hindurch jeweils einen Tag pro Woche an der Hochschule in Lehrveranstaltungen entsprechender Fächer hinein und durchlaufen an den vier übrigen Wochentagen zwei Praktika in zwei Unternehmen.

Mehr MINT-Studentinnen durch das „Hessen-Technikum“

Welche positiven Effekte das mit sich bringt, hat die Soziologie-Professorin in einer begleitenden Studie auf Basis von Befragungen untersucht. Im Fokus stand etwa die Frage, was die Schülerinnen zur Orientierung brauchen und was dabei besonders wirkt. Ein Aha-Effekt, so Haffner: „Das kurze Reinschnuppern in einer Lehrveranstaltung genügt, um einschätzen zu können, ob ein Fach etwas für sie ist.“ Unsicherheiten könnten auf diese Weise recht schnell ausgeräumt werden. Um auch Schülerinnen aus Nicht-Akademiker-Haushalten anzusprechen, wurden zudem passende Fördermaßnahmen entwickelt. Die Teilnehmerinnen bekommen etwa das Deutschlandticket bezahlt oder erhalten Begleitung in einem Mentorinnen-Programm.

Fazit: „Das Hessen-Technikum funktioniert hervorragend“, bilanziert die Projektleiterin. Nach dem Programmende hätten sich mehr als 90 Prozent der bisherigen Teilnehmerinnen für ein MINT-Studium entschieden und seien zufrieden bis sehr zufrieden mit ihrem heutigen Studium. Und weil es nachweislich erfolgreich und zielführend ist, wird das h_da-Pilotprojekt mittlerweile an allen hessischen Hochschulen angeboten.

Für Yvonne Haffner schließt sich da auch ein Kreis, ist sie doch selbst einst über den Frauenmangel in den MINT-Fächern zum Gender-Thema gekommen. Mehr als zwei Jahrzehnte später kann sie feststellen: „Da hat sich vieles verändert und verbessert.“ Klar ist aber auch: Die Themen und Projekte werden der engagierten Brückenbauerin für mehr Geschlechtergerechtigkeit nicht ausgehen.

Kontakt zur h_da-Wissenschaftsredaktion

Christina Janssen
Wissenschaftsredakteurin
Hochschulkommunikation
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