Innovative Turbine zur Stromerzeugung

Bis zum Jahr 2045 will Deutschland klimaneutral werden. Damit dies gelingen kann, sind an vielen Stellen Erfinder- und Forschergeist gefragt. Ein Beispiel dafür, wie eine gute Idee echten Impact generieren könnte, ist ein Projekt am Fachbereich Maschinenbau- und Kunststofftechnik der h_da: Dort arbeitet ein interdisziplinäres Team an der Entwicklung einer Turbine neuen Typs. Sie soll zwei Technologien in sich vereinen und könnte in Zukunft einen beträchtlichen Beitrag zur Stromversorgung leisten. Das Projekt wird vom Bundeswirtschaftsministerium mit insgesamt dreieinhalb Millionen Euro gefördert, davon geht gut eine Million an die Hochschule Darmstadt. Koordiniert wird das Vorhaben vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg, außerdem sind mehrere Industrieunternehmen beteiligt.
Von Christina Janssen, 3.6.2025
Klein, aber oho! Darauf könnte es hinauslaufen, wenn die Turbine, an der das Maschinenbau-Team der h_da mit seinen Verbundpartnern derzeit arbeitet, Marktreife erlangt. Entstehen soll eine Turbine zur Stromerzeugung, wie es sie in dieser Form noch nirgendwo gibt. Genau genommen sind es zwei Turbinen in einer: Die Forschenden wollen zwei Komponenten, die bislang nur separat funktionieren, in einem Gerät kombinieren.
Komponente 1 ist eine Mikrogasturbine. Diese kleinen Turbinen werden üblicherweise in der dezentralen Energieversorgung eingesetzt. Eine typische Anwendung sind Blockheizkraftwerke in Kläranlagen, Mülldeponien, landwirtschaftlichen Betrieben, in Hotels, Schwimmbädern oder Krankenhäusern. Die dort entstehenden Klär-, Deponie- oder Restgase werden mit Hilfe kleiner Gasturbinen für die Stromerzeugung genutzt, die Abwärme für Heizung oder warmes Wasser. Das Problem: Eine beträchtliche Menge an Energie geht dabei verloren: „Die Abgase, die aus so einer Turbine abströmen, haben immer noch Temperaturen um die 250 Grad“, erläutert Physiker Prof. Dr. Wolfgang Heddrich. „Die werden heute normalerweise in die Umwelt gepustet.“ Dabei könnte man damit doch „locker noch eine Pizza backen“, scherzt Maschinenbau-Professorin Brita Pyttel, die das Projekt an der h_da leitet. Und genau hier kommt Komponente 2 ins Spiel: eine kleine Dampfturbine, die auch die Pizza-taugliche Restwärme noch in Strom umwandeln soll, ein sogenanntes ORC-Aggregat.
Emissionsarme Alternative zum Diesel-Generator
Getrennt voneinander sind beide Technologien etabliert. Jetzt sollen sie in einer Maschine vereint werden. Das Ziel: ein höherer Wirkungsgrad, weniger Emissionen, weniger Bauteile. „Das ist, als würde ich Fahrrad fahren und ein Zweiter strampelt mit“, beschreibt Professorin Pyttel das bereits patentierte Prinzip. Das bedeutet letztlich mehr Nachhaltigkeit und günstigere Strompreise. Die Idee stammt von Michael Cremer. Der studierte Luftfahrt-Ingenieur war vor seinem Wechsel an die Hochschule Darmstadt in der Motorenentwicklung tätig. „Ich kenne mich also ein bisschen aus mit Turbinen“, schmunzelt der Tüftler und erklärt seine Erfindung so: „Wir machen es mit unserer Mikroturbine ähnlich wie bei einer großen Gas- und Dampfturbine: Wir nutzen die Restenergie, die in rauen Mengen vorhanden ist, möglichst optimal aus.“
Dafür hat sich Cremer einen Trick überlegt: Statt wie sonst üblich von Wasser wird die Dampf-Turbine von Alkohol angetrieben. Ethanol hat einen niedrigeren Siedepunkt und produziert deshalb auch bei niedrigeren Temperaturen ordentlich Dampf. Diesen Effekt und die Kombi-Power der beiden Komponenten will sich das Turbinen-Team zunutze machen: „Der typische Wirkungsgrad von Mikroturbinen ohne ORC-Kreislauf liegt bei gut 30 Prozent“, sagt Physiker Heddrich. „Damit ist man einem Dieselmotor mit einem Wirkungsgrad von circa 40 deutlich unterlegen. Das wollen wir ändern und mindestens denselben Wirkungsgrad erreichen – oder sogar etwas mehr.“ Denn anders als der Diesel-Generator produziert die Turbine Strom nahezu emissionsfrei. Wenn die neue Technologie also in puncto Wirkungsgrad konkurrenzfähig wird, wäre das ein Durchbruch.
Die Leistung einer Mikroturbine liegt normalerweise bei rund 40 Kilowatt, es können aber auch mal 200 bis 500 kW sein. Das erscheint wenig im Vergleich zu den 40 Megawatt klassischer Gas- und Dampfturbinen wie sie in großen Kraftwerken eingesetzt werden. „Wenn so eine kleine Turbine aber 24 Stunden läuft, produziert sie circa 2500 Kilowattstunden. Damit kann man 250 bis 300 Haushalte versorgen“, rechnet Turbinen-Experte Cremer vor. Das wäre also immerhin ein kleines Dorf oder eine Wohnsiedlung. Wenn man also dezentral an vielen Standorten – in Klärwerken, auf Bauernhöfen, in städtischen Abfallbetrieben oder Chemiekonzernen – die neuen Mikroturbinen in Blockheizkraftwerken einsetzen könnte, würden sie eine beträchtliche Menge an Strom produzieren. Und zwar schnell und flexibel: „Gas kann man speichern“, beschreibt Professor Heddrich einen der entscheidenden Vorteile, „und die Stromproduktion genau dann starten, wenn es im Netz gerade zu wenig Strom aus Erneuerbaren gibt. So kann man das System regional puffern.“
Derzeit werden knapp zehn Prozent des Stroms in Deutschland aus Biogas erzeugt. „Experten schätzen das Potenzial auf 20 bis 25 Prozent“, erläutert Lukas Zajac, der sich intensiv mit möglichen Anwendungsgebieten der neuen Technologie befasst. „Durch einen höheren Wirkungsgrad, wie wir ihn mit unserer Turbine anstreben, wäre hier deutlich mehr rauszuholen.“ Auch beim schnellen Laden von E-Autos könnten die neuen Turbinen zum Einsatz kommen, meint der Forscher.
„Physikalisch gesehen, wissen wir, dass es funktioniert“
Die Idee für das Projekt steht schon lange im Raum, schon während der Corona-Jahre haben zahlreiche Studierende ihre Bachelor- und Masterarbeiten zu einzelnen Aspekten des Turbinen-Themas verfasst, die in verschiedene Vorläufer-Projekte einflossen. Auch Prof. Dr. Thomas Betz vom Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik unterstützte die Vorarbeiten. Keimzelle für das aktuelle Großprojekt war eine interne Anschubfinanzierung der h_da. Von den rund 50.000 Euro stellte Professorin Pyttel Studierende als wissenschaftliche Hilfskräfte ein – auch um jungen Leuten in der Corona-Zeit zu Jobs zu verhelfen. „Seitdem waren immer viele Studierende an dem Projekt beteiligt, in ganz unterschiedliche Teilbereichen wie Konstruktion, Berechnung, Strömungssimulation oder Mechatronik“, berichtet die Wissenschaftlerin.
Auch Daniel König, der seinen Master in Mechatronik an der h_da abgeschlossen hat und das Team heute als wissenschaftlicher Mitarbeiter unterstützt, hat als „Hiwi“ angefangen. „Wir sind eine sehr heterogene Gruppe, was Kompetenzen und Lebenserfahrung betrifft“, freut sich Professorin Pyttel. „Wir ergänzen uns perfekt und sind ein gutes Team.“ Das gilt auch für die externen Partner: Koordiniert wird das Vorhaben vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesystem ISE. Außerdem ist die Orcan Energy AG Teil des Verbundprojekts, wie auch die beiden Keramikhersteller Paul Rauschert Steinbach und CeraFib, denn ein zentrales Bauteil der Turbine muss vollständig neu entwickelt werden: ein Wärmetauscher aus Keramik, der – anders als etwa in einer Klimaanlage – sehr hohen Temperaturen standhält.
Dass bis zum Ende der dreijährigen Projektlaufzeit tatsächlich der Prototyp der neuen Turbine entsteht, da sind sich die meisten Team-Mitglieder ziemlich sicher. „Physikalisch gesehen, wissen wir, dass es funktioniert“, betont Physiker Wolfgang Heddrich. „Jetzt geht es darum, das so raffiniert zu konstruieren, dass es auch in der Praxis läuft.“ Auch wenn Maschinenbau-Professorin Pyttel, die schon viele Projekte hat kommen und gehen sehen, vor zu großem Optimismus warnt, ist die Begeisterung im Team nicht zu überhören: „Wir gehen hier über die Grenzen hinaus“, freut sich Lukas Zajac. „Unser Entwicklungsziel ist es, gleichzeitig die Produktkosten zu senken und die Leistung der Maschine signifikant zu verbessern. In der Industrie haben wir gelernt, dass beides möglich ist.“ Mission possible? Am Ende heißt es hoffentlich: two in one – done!
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