Im Labor für Optische Diagnosemethoden und Erneuerbare Energien der h_da (ODEE) um Professor Dirk Geyer hat Doktorand Konrad Koschnick einen Versuchsaufbau entwickelt, der in dieser Form weltweit einmalig ist: Er kombiniert ein neues chemisches Syntheseverfahren mit einer hochkomplexen Laser-Messmethode. Ziel ist es zu erforschen, wie man Grundstoffe, die von der chemischen Industrie in großen Mengen benötigt werden, nachhaltig herstellen kann. Die extrem anspruchsvolle Technik macht das Vorhaben wissenschaftlich einzigartig. Eine junge Spitzen-Nachwuchsforscherin aus den USA schloss sich deshalb für ein Jahr dem ODEE-Team an: Alison Ferris, die in Stanford promoviert hat, startet im Juli ihre Junior-Professur in Princeton. Eine weitere Zusammenarbeit mit der h_da ist bereits besiegelt.
Von Christina Janssen, 13.5.2024
Wenn man sie fragt, was sie nach Darmstadt gebracht hat, kann sich Alison Ferris ein Schmunzeln nicht verkneifen: Das „schöne“ Novemberwetter bei ihrem ersten Besuch sei es jedenfalls nicht gewesen, sagt die junge Wissenschaftlerin, die 2020 ihre Promotion an der Elite-Universität Stanford in Kalifornien abgeschlossen hat. Die Motivation, ein Postdoc-Jahr in Darmstadt zu verbringen, erklärt die 34-Jährige so: „Ich bin hierhergekommen, um etwas Neues zu lernen.“ Die Gelegenheit dazu boten ihr die Lasermesstechnik-Experten Professor Dirk Geyer von der h_da und Professor Andreas Dreizler von der TU Darmstadt, die seit vielen Jahren eng kooperieren. Auf einer internationalen Konferenz lernte Ferris Dreizler persönlich kennen, plante einen Kurzbesuch in der Rhein-Main-Region und ließ sich von „rainy Darmstadt in November“ nicht abschrecken, für ein ganzes Jahr zurückzukehren.
Für Menschen, die sich ums Wetter scheren, ist das ODEE-Labor der h_da ohnehin nicht der richtige Platz: Der Raum, in dessen Mitte ein grüner Laserstrahl das Dunkel durchschneidet, ist komplett abgeschottet. Kein Lichtstrahl von außen darf die Messvorgänge im Innern stören. Ein Jahr lang hat Alison Ferris hier gemeinsam mit Doktorand Konrad Koschnick Licht ins Dunkel gebracht: Mit aufwändiger Laser-Messtechnik werden im ODEE-Labor Verbrennungsprozesse mit nachhaltigen Brennstoffen wie beispielsweise Wasserstoff und Eisen untersucht, die so künftig in Turbinen, Motoren oder Kraftwerken zum Einsatz kommen. Neuerdings sind auch katalytische chemische Reaktionen ins Blickfeld der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gerückt. Ziel dieses innovativen Forschungsfeldes ist es, chemische Grundstoffe nachhaltig zu erzeugen.
Hightech Marke Eigenbau
Dafür tüftelte Doktorand Konrad Koschnick, den das Professorenteam Geyer - Dreizler kooperativ betreut, vier Jahre lang an einem Versuchsaufbau, der weltweit seinesgleichen sucht: In einem Strömungskanal strömt gasförmiges Ethanol zusammen mit Sauerstoff über eine Katalysator-Platte aus Metall und reagiert dabei zu Acetaldehyd, einer Substanz, von der jährlich weltweit rund 1,5 Millionen Tonnen produziert werden, mit steigender Tendenz. Neu daran ist – quasi alles: Statt dem bislang üblichen, erdgasbasierten Ethylen verwendet das ODEE-Team als Ausgangsstoff Bio-Ethanol, also einen nachhaltigen Rohstoff. Statt eines teuren Platin- oder Palladium-Katalysators in giftiger Chloridlösung experimentiert Koschnick mit pulverförmigem Eisenoxid. „Das ist eigentlich nichts anderes als eine Art Rost.“
In Koschnicks Strömungskanal wird die chemische Reaktion in Echtzeit durch eine Kombination aus Hochleistungslaser und einem aufwändigen spektroskopischen Verfahren analysiert. So wollen die Wissenschaftler:innen herausfinden, wie man den gesamten Vorgang ressourcenschonend optimieren kann. Der Chemiesektor ist weltweit der größte industrielle Energieverbraucher und der drittgrößte Verursacher direkter CO2-Emissionen. Daher könnten Fortschritte an dieser Stelle ein „Game Changer“ in puncto Klimaschutz sein. Die aufwändige Lasermesstechnik hat hier trotz ihrer immensen Komplexität große Vorteile, wie Koschnick erläutert: „Sie ist wie ein Fenster, durch das wir in sehr komplexe Prozesse hineinschauen können.“ Mit herkömmlicher Messtechnik würde man etwa im Falle eines Verbrennungsmotors die Emissionswerte am Auspuff messen. Wie genau der Prozess im Motor abläuft, bleibt dabei eine Art “Black Box“. „Durch die Lasermesstechnik können wir dagegen im Labor berührungslos direkt ‚im Prozess‘ messen, ohne diesen zu stören, einfach nur mit Licht.“
Im Prinzip geht es dabei um die Interaktion von Licht und Materie. „Es gibt Streuungsprozesse wie das ‚Rayleigh Scattering‘, das das Abendrot erzeugt. Es ist auch der Grund, warum unser Himmel blau ist. Unsere Messungen basieren auf demselben Prinzip: Licht, in diesem Fall unser Laser, interagiert mit Gas-Molekülen. Daraus entstehen Photonen mit einer bestimmten Farbe, durch die wir bestimmen können, von welchem Molekül das Photon ursprünglich ausging.“ Als „Raman Scattering“ bezeichnen Fachleute diesen Vorgang. So können Gaskonzentrationen und Temperaturen im Strömungskanal zu jedem Zeitpunkt exakt gemessen werden. Und dann kommt die Mathematik ins Spiel: „Unsere Messdaten werden mit Hilfe von komplexen Algorithmen ausgewertet und anschließend in numerische Modelle eingespeist. Auf dieser Grundlage können wir dann simulieren, wie der Prozess ablaufen würde, wenn wir verschiedene Parameter verändern.“ Im Projekt sind also vom klassischen Maschinenbau über Chemieingenieurwesen und Optotechnik bis hin zu Statistik und Numerik vielfältige Kompetenzen gefragt.
Global an der Spitze
Koschnicks Betreuer Professor Dirk Geyer sieht im aktuellen Projekt deshalb auch ein Alleinstellungsmerkmal: „Wir haben den Strömungskanal und das Spektrometer selbst entwickelt und gebaut. In dieser Kombination gibt es das weltweit derzeit an keiner anderen Forschungseinrichtung.“ Das liegt auch daran, dass Geyer und sein ODEE-Team sich auf die oben beschriebene Methode spezialisiert haben: die Anwendung der Raman-Spektroskopie in Gasgemischen bei hohen Temperaturen. Nur etwa eine Handvoll Gruppen beherrscht diese herausfordernde Technik. „Und genau das hat mich hierhergebracht“, erklärt Alison Ferris. „Mein eigener fachlicher Hintergrund ist eine andere Methode, die Laser-Absorptions-Spektroskopie. Dabei schauen wir uns an, wie Licht von Molekülen absorbiert wird. In der Raman-Spektroskopie untersucht man quasi das Gegenteil, nämlich wie Moleküle Licht streuen. Absorption versus Streuung – das ist der Hauptunterschied. Für mich war es wichtig, hier in Darmstadt auch über die Raman-Spektroskopie etwas zu lernen.“
2016 startete Dirk Geyer den Aufbau von „ODEE“ mit einem leeren Labor. Inzwischen kooperiert er seit vielen Jahren eng mit der TU Darmstadt: „Eine Säule unserer Zusammenarbeit ist das Thema ‘Optische Diagnosemethoden und Erneuerbare Energien‘. Wir haben einen sehr aktiven Austausch von Promovierenden und Studierenden und bearbeiten viele Projekte gemeinsam.“ Die Expertise und das internationale Renommee der gemeinsamen Gruppe mit rund 40 Forschenden machte den Standort Darmstadt für Alison Ferris attraktiv. „Ohne beträchtliche finanzielle Unterstützung auch durch das h_da-Präsidium wäre es allerdings nicht möglich gewesen, das Labor für ein so aufwändiges Projekt auszustatten“, betont Dirk Geyer.
Nach einem Jahr mit Spitzenforscherin Alison Ferris an Bord blicken die Beteiligten zufrieden auf die ersten Ergebnisse: „Der Prozess funktioniert“, freut sich Konrad Koschnick, „und wir haben eine sehr hohe Selektivität. Das heißt, wir erzeugen sehr viel vom gewünschten Produkt und sehr wenig unerwünschte Nebenstoffe. Der Prozess läuft über eine lange Zeit stabil. Das ist für die spätere Anwendung in der Industrie sehr wichtig.“ Einige Veröffentlichungen werden aus der einjährigen Zusammenarbeit hervorgehen. „Das ist ein gutes Ergebnis“, bilanziert Alison Ferris. „Wir haben viel gelernt – darüber, was funktioniert, und auch darüber, was nicht funktioniert. Beides sind wertvolle Erkenntnisse.“ Von Dirk Geyer und seinen Studierenden habe sie viel gelernt, merkt die angehende Princeton-Professorin an. „Das Teamwork war großartig, und nur so konnten wir all die Fortschritte erzielen, die wir jetzt in wenigen Monaten geschafft haben.“
Einladung nach Princeton
Kurzzeitig waren übrigens auch einige unerwünschte Gäste im Labor unterwegs: „Fliegen mögen helles Licht“, berichtet Koschnick lachend. „Und ein Laser ist sehr helles Licht.“ Zu den Fliegen gesellte sich dann auch noch eine Spinne hinzu: „Die hat sich direkt an einer der 300 Euro teuren Scheiben im Strömungskanal eingenistet. Über Nacht. Plötzlich war sie da.“ Der Spinne ist nichts geschehen, doch das Bauteil musste ersetzt werden, denn die Glasscheiben sind mit einer hauchfeinen Nano-Struktur überzogen. „Wenn man das einmal anfasst, ist es kaputt. Und die Spinne hat sich einfach draufgesetzt.“
Dies ist allerdings die einzige Panne, von der die Koschnick und Ferris nach längerem Nachdenken durchaus amüsiert berichten. Ein wenig „Bammel“ habe er vor Alisons Ankunft gehabt, erzählt Koschnick. Er habe ihr deshalb vorab eine Art Disclaimer geschrieben: „Ich habe ihr gesagt: Im Projekt läuft noch nicht alles, das ist sehr explorativ. Ich kann dir nicht versprechen, dass du hier in einem Jahr tolle Ergebnisse rausbekommst.“ Doch alle Bedenken lösten sich im Handumdrehen in Wohlgefallen auf: „Alison hat sich gleich am ersten Tag die Handschuhe angezogen und mit mir am Strömungskanal herumgeschraubt. Sie hat überhaupt kein Problem damit, sich die Finger schmutzig zu machen, und war eine Riesenunterstützung.“
Ab Juli wird Alison Ferris an der Princeton University ein eigenes Labor aufbauen: „Ich habe mich immer für Treibstoffe interessiert“, sagt die Maschinenbau-Ingenieurin. In Princeton wird sie sich deshalb zunächst wieder auf das Thema „fuel science“ konzentrieren: „Es geht in meiner Forschung darum, wie man Treibstoffe verbrennt, aber auch darum, wie man sie so designen kann, dass sie effizienter und sauberer verbrennen.“
Wenn der straffe Zeitplan es zulässt, wird Alison Ferris lnach Darmstadt zurückkehren, denn so Manches hat sie auch außerhalb des Laser-Labors schätzen gelernt: „Vieles ist wirklich toll in Deutschland – das Bier, die Weihnachtsmärkte, das Deutschlandticket und die Deutsche Bahn, wenn sie denn funktioniert…“ Die Achse Darmstadt – Princeton steht. Und Doktorand Konrad Koschnick dürfte einer der ersten sein, die davon profitieren. Das Flugticket an die Ostküste ist zwar noch nicht gebucht. Fest steht aber schon jetzt: Sobald der 30-Jährige seine Dissertation abgeschlossen hat, wird er einige Zeit in Princeton verbringen. Aussichten, von denen die meisten nur träumen können.
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Christina Janssen
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Prof. Dr. habil Andreas Dreizler
Prof. Dr. Alison Ferris auf LinkedIn und der Website Princeton University
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