Restfette aus Großküchen werden Dämmstoffe

Wer sich in der Mensa genüsslich über einen Teller Currywurst mit Pommes beugt, macht sich meist keine Gedanken darüber, was mit den Resten geschieht: Tablett aufs Fließband, Geklapper hinter den Kulissen, hinten raus kommen saubere Teller – und fettiges Spülwasser. Dass man diesem noch etwas Verwertbares abgewinnen kann, mag die Fantasie von Frittenfans übersteigen, nicht aber die von Professorin Iris Steinberg, die sich an der Hochschule Darmstadt (h_da) seit mehr als zehn Jahren mit dem Thema Kreislaufwirtschaft befasst. In ihrem aktuellen Forschungsprojekt arbeiten sie und ihr Team in einem großen Konsortium daran, aus Abfallfetten Dämmstoffe für Hausfassaden herzustellen. Das Vorhaben wird vom Land Hessen mit knapp 500.000 Euro gefördert. Am 24. Juni besuchte Wissenschaftsminister Timon Gremmels die h_da, um sich über das Projekt zu informieren und den Fördervertrag zu übergeben.
Von Christina Janssen, 24.6.2025
Wenn man sich als Wissenschaftlerin ein Leben lang mit Müll beschäftigt, kann ein Fünkchen Selbstironie nicht schaden. Iris Steinberg hält mit ihrem trockenen Humor jedenfalls nicht hinterm Berg. Freimütig berichtet sie, wie sie im Bauingenieur-Studium „im Müll gelandet“ sei und warum sie ihre Promotionszeit in einem Kellerlabor verbracht hat: mit dem Müll, der sie faszinierte, andere aber ekelte. „Wir sind die dreckige Seite der Biotechnologie, die saubere Seite sitzt auf der anderen Seite vom Parkplatz“, scherzt die Professorin und deutet auf den blitzenden Neubau der Biologen und Chemiker gegenüber. Dabei sind die Zeiten, in denen man Müll an erster Stelle als Hygieneproblem sah, vorbei: „Früher war das Müll, heute sind das Sekundärrohstoffe“, erklärt Steinberg, die zu diesem Paradigmenwechsel durch ihre Forschung selbst beigetragen hat.
Seit vielen Jahren beschäftigt sich ihr Team am Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwesen der h_da mit der Frage, wie man das Allerletzte herausholen kann aus vermeintlichem Abfall. Dabei geht es nicht ums klassische Recycling von Kunststoffverpackungen. „Mein Herzblut hängt an den organischen Reststoffen“, stellt Steinberg klar, diesmal ironiefrei. Organische Reststoffe sind zum Beispiel im Bioabfall enthalten, aber auch im Sickerwasser aus Kompostierungsanlagen – also im Abfall aus einer Abfallbehandlungsanlage. Oder eben in Restfetten aus Großküchen: kostbare Kohlenstoffverbindungen, aus denen sich noch alles Mögliche herstellen ließe. Standardmäßig landen solche Fette, die in Restaurants, Lebensmittelfabriken oder Großküchen tonnenweise anfallen, in der Produktion von Biodiesel, Biogas oder im Abwasser. Steinberg und ihre Kolleg:innen glauben aber, dass es sinnvollere Verwendungen geben könnte.
Märchenhafte Verwandlung – aus Restfett wird Dämmstoff
Im Forschungsprojekt „BioRaff4BioPCM“ versuchen die Wissenschaftler:innen deshalb etwas Unerwartetes: Das Frittenfett soll seine letzte Bestimmung an Hausfassaden finden. Wissenschaftlich korrekt formuliert es Professorin Steinberg so: „Es soll für die Herstellung neuartiger Dämmstoffe verwendet werden, sogenannte Bio-Phase-Change-Materials.“ Die Bio-PCMs speichern Wärmeenergie besonders effizient und könnten einen wichtigen Beitrag zur Energieeffizienz im Gebäudesektor leisten. Es ist fast wie beim Rumpelstilzchen, das Stroh in Gold verwandelt: Aus „anrüchigem“ Restfett wird nachhaltiger Dämmstoff. Das hätte neben den hervorragenden thermischen Eigenschaften der Bio-PCMs etliche weitere Vorteile: Anders als im Biodiesel, dessen Verbrennung das gespeicherte CO2 wieder freisetzt, wäre das Kohlendioxid in den innovativen Dämmplatten dauerhaft gebunden. „Außerdem würde das neue Material die klassischen, erdölbasierten Platten ersetzen“, erläutert Steinberg. „Wir wollen den fossilen Primärrohstoff, der bislang verwendet wird, also durch einen Abfallstoff ersetzen.“ Der benötigt, anders als Dämmstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen, keine extra Anbauflächen und steht auch nicht in Konkurrenz zu Nahrungsmitteln. Und am Ende soll das Produkt sogar wieder recycelbar sein – im Sinne der Kreislaufwirtschaft, der sich Steinberg verschrieben hat.
So einfach wie im Märchen ist das allerdings nicht: Die Altspeisefette oder Restfette aus den Fettabscheidern von Kantinen und Gastronomiebetrieben müssen in komplizierten Verfahren gereinigt, die brauchbaren Kohlenstoffverbindungen extrahiert und chemisch optimiert werden. Ein aufwändiger Aufbereitungsprozess ist also nötig. Die Fette werden zunächst von Fremdstoffen wie etwa Speiseresten befreit, dann in ungesättigte und gesättigte Fettsäuren getrennt. In der richtigen Mischung werden die Fettsäuren dann verkapselt. Was schließlich entstehen soll, „wird wie ein mikrofeines, kleines Kissen sein“, erläutert Iris Steinberg. „Das wird in einen Schaum eingebunden und daraus wird eine Dämmplatte gemacht.“ Diese Bio-PCM-Platten wären sowohl für Neubauten als auch für die energetische Sanierung einsetzbar. Die neue Technologie könnte der Bauindustrie, die immer mehr auf klimaneutrale Materialien und Energieeffizienz setzt, also neue Perspektiven eröffnen. Produziert werden müssten dann aber auch entsprechende Mengen. Deshalb steht die Entwicklung einer automatisierten Raffinationstechnologie für die Herstellung des Bio-PCM im industriellen Maßstab im Zentrum des Projekts.
Ziel ist ein marktfähiges Produkt
Am Konsortium sind neben der h_da mehrere Partner beteiligt: Das Unternehmen Jager Biotech aus Groß-Zimmern und die TU Darmstadt, mit der Iris Steinberg seit ihrer Promotion enge Beziehungen unterhält, gehören zum Kernteam im Projekt. Als assoziierte Partner sind die Wissenschaftsstadt Darmstadt mit ihrem Eigenbetrieb für kommunale Aufgaben und Dienstleistungen (EAD) an Bord, der Abfallwirtschaftsbetrieb Alzey-Worms, der Betonhersteller Röser aus Neresheim und das Mindener Chemieunternehmen Follmann.
Die h_da ist in dem Großprojekt für die Koordination zuständig, für die Aufbereitung der Fette und dafür, eine Ökobilanz für den gesamten Produktionsprozess aufzustellen: „Wir schauen uns an, wie viel Energie wir für die Aufbereitung und für alle weiteren Schritte einsetzen müssen. Welche zusätzlichen Stoffe bauchen wir? Was müssen wir alles dazugeben? Welche Verfahrensschritte sind nötig, bis man zum Schluss das fertige Produkt hat?“, zählt Steinberg auf. Die Vorversuche hätten gezeigt, dass die neuen Bio-PCM-Platten mit herkömmlichen Materialien konkurrenzfähig seien, was die Dämmeigenschaften angeht. „Jetzt geht es darum, festzustellen, ob man diesen Prozess kontinuierlich und effizient umsetzen kann. Steht am Ende ein marktfähiges Produkt?“
Nicht nur das Forschungsteam, auch die hessische Landesregierung ist da offenbar optimistisch: Sie fördert das Vorhaben im Rahmen ihres LOEWE-Programms mit knapp 500.000 Euro. Bei seinem Besuch an der h_da betonte Wissenschaftsminister Timon Gremmels, das Projekt verbinde Klimaschutz, Ressourcenschonung und technologische Innovation auf vorbildliche Weise: „Das Projekt zeigt, wie durch die intelligente Verwertung von Abfällen praxisnahe Lösungen für zentrale Herausforderungen wie den Klimawandel und die Energiewende im Bauwesen entstehen.“ Auch Prof. Dr. Nicole Saenger, h_da-Vizepräsidentin für Forschung, Transfer und Nachhaltige Entwicklung, lobt das Projekt als Beispiel für exzellente angewandte Forschung mit gesellschaftlicher Wirkung: „Wir zeigen, wie technologische Innovation und nachhaltige Entwicklung Hand in Hand gehen. Damit leisten wir einen aktiven Beitrag zum Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis.“
Studierende fürs Thema Kreislaufwirtschaft begeistern
Professorin Iris Steinberg, ebenfalls positiv gestimmt, sieht trotzdem noch viele offene Fragen: „Ich bin gespannt. Wir hoffen, dass man das Fett später nicht riecht. Ich weiß ja nicht, wer in altem Frittenfett wohnen möchte…“ So viel ironisches Augenzwinkern muss dann doch noch sein. Man kann sich gut vorstellen, dass daran auch die Studierenden Spaß haben: „Es ist gut, etwas an die jungen Menschen weitergeben zu können. Die berufliche Tätigkeit außerhalb der Hochschule ist davon geprägt, dass man im Anlagenbau nun mal Anlagen verkaufen muss“, bilanziert die Forscherin, die vor ihrem Ruf an die Hochschule in der Industrie tätig war. „Hier kann ich junge Menschen davon überzeugen, Abfälle zu vermeiden. Die Müllabfuhr hat sich zu einer Ressourcenwirtschaft mit klimaneutralen Anlagen und Energiegewinnung verändert. Primärrohstoffe werden durch Sekundärrohstoffe ersetzt. Das hat einen gewissen Charme. Ich kann hier die eine oder den anderen unserer Studierenden begeistern, das finde ich sehr schön.“
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