Influencer-Werbung und psychische Gesundheit

Wer zu Hause Teenager am Start hat, kennt das vermutlich: Wie aus dem Nichts „braucht“ die Tochter plötzlich neue Schuhe. Oder der Sohn schicke Kopfhörer. Wie sehr Jugendliche auf die Werbung von Influencern in sozialen Netzwerken anspringen, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Im Forschungsprojekt FAIR hat Tobias Vogel, Professor für Wirtschaftspsychologie an der h_da, gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut ISI und der Universität Mannheim untersucht, was Jugendliche für Influencer-Marketing besonders empfänglich macht. Ein Ergebnis: Der teils sinnentleerte Konsum kostet nicht nur Geld, sondern ist auch ein Risiko für die psychische Gesundheit. Das Forschungsteam hat deshalb praktische Vorschläge erarbeitet, um die Resilienz von Jugendlichen zu stärken. Gefördert wurde das Projekt vom Bundesministerium für Umwelt und Verbraucherschutz.
Interview: Christina Janssen, 8.5.2025
impact: Meine Tochter ist 14 und sagt: Ich erkenne, wer Influencer oder Influencerin ist, und lassen lasse mich nicht beeinflussen. - Wo ist also das Problem?
Prof. Dr. Tobias Vogel: Es gibt Influencer und Influencerinnen, die eine hohe Expertise haben und aufgrund ihrer Reichweite systematisch zur Aufklärung beitragen, die zum Beispiel mit Fehlinformationen im Bereich Gesundheitswesen aufräumen. Die größten Reichweiten gibt es aber in den Bereichen Beauty, Fashion et cetera. In sogenannten Fashion Hauls führen Influencerinnen beispielsweise 60 verschiedene Klamotten vor. Da sieht man dann innerhalb von einer Minute 10 Jacken oder Ähnliches. Das Problem daran ist, dass diesen Leuten vielleicht nicht von allen, aber von vielen Jugendlichen Expertise zugeschrieben wird: Das ist super, der oder die weiß genau Bescheid, was cool ist und was nicht.
impact: Warum sollte das uns Eltern Sorgen bereiten?
Vogel: Influencer vermitteln auf diese Weise oft bestimmte Wertvorstellungen. In diesem Fall haben wir es konkret mit einer Verstärkung von materialistischen Wertvorstellungen zu tun: Materielle Güter sind etwas, was mich definiert, was wichtig ist und woran man den Wert eines Menschen erkennt. Das ist aus unserer Sicht nichts, was wir begünstigen wollen.
impact: Weil diese Einstellung nicht nur sozial fragwürdig ist, sondern obendrein auch noch ein Gesundheitsrisiko…?
Vogel: Materialismus ist zum Beispiel ein Risikofaktor für Depressionen. Studien zeigen, dass durch materialistische Einstellungen eine Reihe von schwerwiegenden Problemen begünstigt wird. Denn vom Kaufen wird man nie satt: Ich kaufe etwas, vielleicht sogar etwas, das ich nie benutze. Das verschafft mir eine kurzfristige Befriedigung und dann falle ich wieder ins Loch. Eine Endlosschleife. Wirtschaftlich ist dieses Verhalten natürlich erwünscht ist. Aber für die Menschen selbst ist das nicht unbedingt etwas Gutes.
impact: Wie hängt dieses Kaufrauschverhalten mit dem Entstehen einer Depression zusammen?
Vogel: Das hat mit dem Selbstbild und mangelndem Selbstvertrauen zu tun: Ich habe ein geringes Selbstwertgefühl und erkaufe mir dann durch materielle Güter ein „besseres“. Dann merke ich aber, dass das langfristig nicht hilft. Und so geht das immer weiter. Das kann zu psychischen Erkrankungen führen.

impact: Lösen nur Influencer*innen so ein Kaufrauschverhalten aus, funktioniert die klassische Werbung mit Celebrities nicht genau so?
Vogel: Im Prinzip schon, aber bei einem Werbespot mit George Clooney ist jedem klar: Das ist ein gecasteter Spot, das ist alles gedreht. Wenn Werbung dagegen im Influencer-Content eingebettet ist, hat sie eine ganz andere Wirkung. Die berichten über das, was sie gerade machen: Sie schminken sich oder reden über Klamotten, Sport, manchmal auch Bildungsthemen und häufig über Gaming. Da wird dann ein bestimmtes Produkt verwendet, kurz erwähnt, vielleicht auch als cool bezeichnet. Und dann gibt es unten einen Link, über den man das Produkt direkt mit einem „persönlichen“ Rabatt online kaufen kann. Die Influencer*innen wirken dabei sehr nahbar, echt und wie Freunde. Dadurch vermischen sich alle Ebenen und Werbung ist schwerer als solche zu erkennen.
impact: Warum sind Jugendliche dafür anfälliger als Erwachsene?
Vogel: Entwicklungsbedingt gibt es ein paar Besonderheiten während der Adoleszenz: Die soziale Orientierung nimmt zu: Jugendliche haben stärker das Bedürfnis, sich Rollenvorbilder zu suchen, zu denen sie aufschauen. Das sind nicht mehr die Eltern, der Anpassungsdruck aus der Peer Group wird größer. Da fungieren Influencer oft als Meinungsführer. Wenn Sie zu Ihrer Tochter gehen und sagen: „Das ist cool“, wird sie antworten, „Das weißt du nicht.“ Aber der Influencer oder die Influencerin weiß es. Die sind viel näher dran an der Zielgruppe und genießen mehr Vertrauen. Dazu kommt die mangelnde Impulskontrolle, die in der frühen Adoleszenz typisch ist: Man sieht etwas – und will es sofort haben.
impact: Gibt es innerhalb der Gruppe der Teenager besonders gefährdete Personengruppen?
Vogel: Ja, zum einen geht es um das Alter: je jünger, desto empfänglicher. Dann spielen Bildungsfaktoren eine Rolle, außerdem das Bedürfnis nach sozialen Beziehungen. Und Materialismus ist eben so ein Risikofakor. Ungeachtet aller anderer Einflüsse sehen wir: Wenn Kinder von zu Hause materialistisch geprägt sind, sind sie insgesamt gefährdeter. Die sozialen Medien sind also nicht die einzigen Risikofaktoren.
impact: Wie haben Sie das herausgefunden?
Vogel: Für die Studie, über die wir hier sprechen, haben wir mehr als 1000 Jugendliche befragt und analysiert, wie der Konsum von Influencer-Content mit verschiedenen Effekten korreliert: zum Beispiel mit einem gesteigerten Kaufwunsch oder mit „maladaptivem“ Kaufverhalten. Das heißt: Die Jugendlichen kaufen etwas und bereuen es später, weil sie es nicht gebraucht und nicht genutzt haben. Oder sie hatten nicht einmal das Geld dafür. Das führt dann möglicherweise sogar auch zu sozialen Konflikten, zum Beispiel Streit mit den Eltern.
impact: Hängt dieses „maladaptive“ Verhalten mit der täglichen Dauer des Social-Media-Konsums zusammen?
Vogel: Wie viele Stunden die Jugendlichen diesem Content folgen, ist erst einmal nicht zentral. Entscheidend ist die Frage, wie viel Werbeinhalte es auf einem bestimmten Kanal gibt. Der gesteigerte Kaufwunsch hängt damit zusammen, wie häufig Werbeinhalte bei einem Influencer oder einer Influencerin zu sehen sind.
impact: Also sind Social Media nicht an sich „böse“?
Vogel: Nein, das würde ich nicht unterschreiben. Das wird zwar weltweit politisch diskutiert. Ich würde aber Maßnahmen, wie sie mit dem Social-Media-Verbot in Ländern wie Australien getroffen wurden, nicht unterschreiben.
impact: Warum nicht?
Vogel: Jugendliche brauchen den Platz, sich zu erfahren und das zu üben. Wir haben in Australien ein Social-Media-Verbot bis zum Alter von 16 Jahren, dann sehen die Jugendlichen diese Social-Media-Welt zum ersten Mal. Ich halte es für den besseren Weg, wenn sie das früher erleben, in einem geschützten Rahmen, solange noch Bezugspersonen dabei sein können. Insgesamt sehen wir in unseren Studien, dass die negativen Effekte mit dem Alter und zunehmenden Kompetenzen abnehmen. Das spricht für mich dafür, dass Jugendliche aus ihren Erfahrungen lernen: Wenn ein Jugendlicher dreimal von jemandem etwas gekauft hat, den er für einen Freund hält, und dann merkt: Ich habe kein Geld mehr und das Produkt war auch noch schlecht, lernt die Person vielleicht, dass man nicht alles für bare Münze nehmen sollte.
impact: Sie sagen dennoch: Es muss mehr geschehen, um insbesondere Kinder und Jugendliche zu schützen.
Vogel: Ja, die negativen Konsequenzen könnten ein Stück weit abgefangen werden. Wir haben deshalb ein Manual entwickelt, das allerdings nicht allein auf unseren Studien basiert. Ziel ist es, Jugendliche zu stärken, damit sie die soziale Vorbildfunktion von Influencer*innen hinterfragen und für sich erkennen, dass es wichtigere Werte gibt, als schnell etwas zu kaufen.
impact: Was genau schlagen Sie vor?
Vogel: Es ist ein Manual für die Schulsozialarbeit, die Zielgruppe sind Kinder von etwa zwölf bis 14 Jahren. Es enthält verschiedene Module. Eines besteht zum Beispiel darin, Freundschaften zu reflektieren: Warum mag ich jemanden, warum bewundere ich jemanden? Es war uns wichtig, dieses Manual nicht so aufzusetzen, dass Verhalten bewertet wird. Es geht darum, zur Reflexion anzuregen und zu herauszufinden: Was tut dir gut? Wenn die Antwort am Ende lautet: ein neues Gamingpad – dann ist das eben so. In einem anderen Kapitel geht es um die Frage: Ist ein Leben als Influencer oder Influencerin wirklich so erstrebenswert, ist es genau so, wie man es auf dem Bildschirm sieht? Die Jugendlichen sehen immer nur einen kleinen Ausschnitt, nicht aber, warum viele Influencer irgendwann mit Burnout aufhören.
impact: Sie haben als Projektteam auch politische Forderungen formuliert. Was sagen Sie zum Thema Kennzeichnungspflicht?
Vogel: Bei der Kennzeichnungspflicht gibt es eine klare Handhabe, wenn Influencer Geld oder geldwerte Vorteile erhalten, ist das kennzeichnungspflichtig. Das ist notwendig, aber nicht hinreichend. Denn der bloße Hinweis, dass irgendwo im Beitrag auch Werbung enthalten ist, geht schnell unter. Und Jugendliche erkennen durch den Hinweis nicht unbedingt, dass ein Produkt nur deshalb beworben wird, weil die Influencerin Geld dafür bekommt. Es braucht also auch die nötige Edukation, dass Jugendliche, aber auch Erwachsene, mit diesen Hinweisen etwas anfangen können.
impact: Und wie sieht es mit den Erwachsenen aus? Wenn man sich zum Beispiel die riesige Szene mit Fitness-Influencern et cetera anschaue, die den Leuten Proteinriegel und Shakes unterjubeln – ist das das auch ein Thema?
Vogel: Das ist unbedingt ein Thema. Kinder haben vielleicht stärker das Bedürfnis nach sozialer Bestätigung und Vertrautheit. Das heißt aber nicht, dass Erwachsene das nicht auch haben.
impact: Herr Vogel, vielen Dank für das Gespräch.
Vogel: Dankeschön (lacht), und ich schaue direkt aufs Handy…
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