EUT European Robotics Workshop

„Großer Impact in der Robotik-Community“

Die European University of Technology (EUT+) wächst zusammen: Wissenschaftler der Europäischen Hochschulallianz haben bereits zu verschiedenen Themen wie Nanotechnologie, Data Science und Nachhaltigkeitswissenschaften internationale Forschungsgruppen gegründet. Nun soll dies auch im Bereich Robotik geschehen. Gut 20 Expertinnen und Experten der neun EUT+- Partnerhochschulen kamen deshalb Anfang Juni auf dem Campus der Hochschule Darmstadt (h_da) zusammen – um sich persönlich kennenzulernen, gemeinsame Themen zu identifizieren und Pläne für Lehr- und Forschungsprojekte auf europäischer Ebene zu schmieden. Das Treffen fand im Rahmen der „EUT+ Darmstadt Week“ statt, einer von mehreren intensiven Arbeitswochen der Hochschulallianz in diesem Jahr.

Von Christina Janssen, 9.6.2025

„Der beißt nicht“, scherzt Till Weist bei der Vorführung des vierbeinigen Roboterhundes, den der Nachwuchsforscher per Konsolensteuerung durchs Labor laufen und hüpfen lässt. Bellen kann der Vierbeiner zwar nicht und ein freundliches Schwanzwedeln ist in Ermangelung des dafür nötigen Körperteils auch nicht drin. Trotzdem wirkt die Maschine überraschend hündchenhaft. „Fun stuff“ – so viel Spaß muss sein, findet das Team um Professor Sven Rogalski am Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik der h_da. Aber natürlich hat der Robo-Hund auch Aufgaben: „Er ist vor allem für den Einsatz in der Baubranche gedacht“, erklärt der Robotik-Experte Rogalski. „Mit Hilfe eingebauter Kameras und Sensoren kann er Gebäude exakt vermessen und bauliche Details erfassen.“ Rogalskis Labor ist eine von drei Stationen auf der „Lab Tour“, zu der sich die Gruppe von gut 20 Wissenschaftlern aus ganz Europa gemeinsam aufgemacht hat.

Sie alle lehren und forschen an einer der neun Universitäten, die der Hochschulallianz European University of Technology angehören. Und sie sind ausgesprochen interessiert an der Arbeit ihrer Kolleginnen und Kollegen. Als Doktorand Leon Pfennig einen Fliesenlege-Roboter vorführt, der auf Baustellen zahllose Bandscheibenvorfälle verhindern könnte, entspinnt sich schnell eine Diskussion: Wie lange die Programmierung der feinen Bewegungsabläufe gedauert habe, möchte ein Kollege wissen. Wie könnte eine Weiterentwicklung aussehen, wie groß ist das Interesse in der Industrie…?

Die Robotik ist ein weites Feld und C-3PO, der furchtsame Humanoide aus Star Wars, beinahe Realität: Vom einfachen Rasenmäh-Roboter über Montage-Robos in Autofabriken bis hin zu OP-Robotern in der Medizin oder Pflege-Robos in Seniorenheimen – die Einsatzgebiete scheinen unbegrenzt. Und so ist die Themenliste, mit der sich die Robotik-Forscher während der EUT+ Darmstadt Week beschäftigen, fast so lang wie die Teilnehmerliste: Es geht um Design, Mechanik und Steuerung von Robotern, den Einsatz Künstlicher Intelligenz, um die Interaktion zwischen Mensch und Robo, um Roboter in Industrie, Medizin, Raumfahrt oder Meeresforschung. Auch „Soft Robotics“ steht auf der Agenda – Roboter aus weicheren Materialien, die sich angenehmer „anfühlen“ oder gar menschenähnlicher wirken.

Aus Rumänien, Bulgarien, Italien, Frankreich, Spanien, Zypern, Irland und Lettland haben die Organisatoren, die Professoren Thomas Horsch, Stephan Neser und Karl Kleinmann von der h_da, ihre Kollegen zusammengetrommelt. Ziel ist es, sich erst einmal fachlich auszutauschen und sich persönlich kennenzulernen. So könnte der Workshop zur Keimzelle für die Gründung einer „European Research Group“ werden.

„Wir haben eine gute gemeinsame Grundlage“, stellt Professor Thomas Horsch fest, der das Robotik-Labor am Fachbereich Informatik der h_da leitet. Neben vielen fachlichen Überschneidungen gebe es auch Bereiche, in denen man sich komplementär ergänze, bestätigt sein italienischer Kollege Professor Filippo Arrichiello. „Das ist ein sehr guter Startpunkt.“ Im nächsten Schritt wolle die Gruppe nun kurz- und langfristige Strategien für die Zusammenarbeit in Lehre und Forschung entwickeln, erklärt Professorin Doina Pisla, Direktorin des Robotik-Forschungszentrums an der EUT+-Partnerhochschule im rumänischen Cluj-Napoca. „Wir könnten einen großen Impact in der Robotik-Community haben, wenn wir uns zusammentun.“ Die Expertin für Medizinrobotik ist als einzige Frau zu dem Treffen angereist. Darauf angesprochen lacht sie: „Ich kenne viele Frauen in der Robotik-Community und auch an meiner Universität habe ich tolle Kolleginnen.“

Die Labortour führt die Gruppe kreuz und quer über den Campus der Hochschule. Im h_da-Hochhaus erläutert Prof. Dr. Stephan Neser, welche Rolle Computer Vision im Bereich Robotik spielt. Der Tiago-Roboter, an dem das Team des Physikers arbeitet, erkennt Personen, kann sie ansprechen und am Gesichtsausdruck ihre Stimmung ablesen. Das Motto: Be happy! „Ein glückliches Gesicht erkennt das System bereits zu 100 Prozent“, stellt Neser zufrieden fest. Daran dass der Robo auch Gesten erkennen, interpretieren und adäquat darauf reagieren kann, arbeitet Masterstudentin Shahla Sadeghzadehdarandash von der Uni Padua, die für ein halbes Jahr in Nesers Labor zu Gast ist. Ein Handshake, wenn jemand die Hand reicht, ein freundliches Zurückwinken – worauf das abzielt, ist klar: die Interaktion von Mensch und Maschine, etwa in der Pflege oder der Gastronomie. Außerdem wird der Tiago-Robo für das Erstellen virtueller 3D-Modelle weiterentwickelt: Dabei umrundet er selbstständig ein Objekt und erstellt Sets aus unzähligen Bilddaten, die dann zu einem digitalen Zwilling des Gegenstands zusammengesetzt werden – ganz gleich ob Rennauto oder antiker Tempel. Die Technologie könnte unter anderem eingesetzt werden, um Kulturdenkmäler digital zu konservieren – ein Thema, an dem ein h_da-Team seit mehreren Jahren im Nahen Osten arbeitet.

Für mögliche Kooperationen hat die EUT+-Forschergruppe bereits verschiedene Themen ins Auge gefasst – zum Beispiel den Bereich Mensch-Roboter-Interaktion (HRI) oder auch Unterstützungsroboter für den sozialen Bereich. „Die Robotik ist ein interdisziplinäres Gebiet“, sagt Professor Filippo Arrichiello aus Cassino, der sich auf Unterwasser-Robotik spezialisiert hat. „Die Kolleginnen und Kollegen kommen aus dem Maschinenbau, der Informatik, der Künstlichen Intelligenz, der Regelungstechnik und der Medizintechnik. So können wir in ein und dasselbe Forschungsgebiet sehr unterschiedliche Kompetenzen einbringen.“

Die Vielfalt des Fachgebiets spiegelt sich auch auf der „Lab Tour“ wider. Dritte Station ist das größte Robotik-Labor der h_da. Hier führt Rudi Scheitler aus dem Team von Professor Thomas Horsch einen Panda-Roboter vor. Den Greifarm-Robo zeichnet eine Besonderheit aus: „Er spürt es, wenn man ihn anfasst“, erklärt Scheitler. Und zu hart angefasst werden möchte das Sensibelchen überhaupt nicht: Als Karlis Berkolds aus Riga den mehrgelenkigen Greifarm etwas zu energisch bewegt, schaltet der Robo sich ab. Der „Panda“ wird im Bereich Mensch-Robo-Interaktion eingesetzt. Er erkennt Gegenstände, kann sie greifen und benutzen. Zum Amusement der Gruppe lässt Scheitler ihn mit einem Salzstreuer hantieren. Die Bewegungen: erstaunlich filigran. „Man kann den Greifer völlig mühelos bewegen“, erläutert Informatik-Professor Thomas Horsch. „Das ist beispielsweise für Arbeitskräfte in Fabriken sehr angenehm.“ 

Im Nachbarraum wartet schon Dr. Heiko Koch vom Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik, der Industrieroboter präsentiert, die immense Kräfte entfalten können. Die Maschinen stehen deshalb – wie Gefängnisinsassen – hinter Gittern. Einer der Roboter soll in einem Kooperationsprojekt mit dem Fachbereich Architektur dafür genutzt werden, neuartige Backsteine aus einem Materialmix von Lehm und Steinen herzustellen. In diesem Teil der Tour drehen sich die Diskussionen mit den Gästen um Steuerungssysteme, Controller und Sicherheitsaspekte im Labor. „Unfälle mit Menschen hat es hier noch nie gegeben“, versichert Koch, „aber Fälle, in denen die Roboter sich selbst beschädigt haben, durchaus.“ Robos außer Rand und Band – auch das ist ein Teil der Robotik-Forschung.

Die Begeisterung für ihr Fachgebiet ist den Teilnehmenden anzumerken. Filippo Arrichiello, dessen Spezialgebiet erst einmal recht exotisch erscheint, zählt die praktischen Einsatzmöglichkeiten von Unterwasser-Robotern auf: „Sie werden in der Meeresbiologie, Archäologie und Geologie gebraucht, für die Umweltüberwachung, zum Müllabfischen aus dem Meer oder auf Unterwasserbaustellen.“ Ähnlich wie für seinen deutschen Kollegen Thomas Horsch und Professorin Pisla aus Cluj-Napoca sei nach dem ersten Kontakt mit dem Thema Robotik klar gewesen: Das ist es!

Die Initiative für das erste Robotik-Treffen der „European University of Technology“ ging von Thomas Horsch aus, der sich von Beginn an für die europäische Hochschulallianz engagiert hat. Der studierte Mathematiker brennt fürs Internationale ebenso wie für sein Fachgebiet: „Als Informatiker sitzt man meistens am Rechner, da passiert nichts Haptisches oder Visuelles. In der Robotik ist das ganz anders: Hier kann man etwas anfassen, bewegen, man freut sich, wenn der Robo es schafft, eine leere Flasche zu greifen und in den Müll zu werfen. Das hat mich immer fasziniert. Und ich bin begeistert von EUT+ und der Idee dahinter.“ Und damit ist der Darmstädter Wissenschaftler ganz offensichtlich nicht allein.  

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